Herausforderung auf kleinstem Raum |
17.01.2017 13:20 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Mehr als zwei Monate war die Pharmazeutin Bettina Beran ehrenamtlich mit dem Hospitalschiff Africa Mercy in Benin in Westafrika. Über das Leben und Arbeiten an Bord des weltweit größten privaten Krankenhausschiffes sprach die Apothekerin mit der PZ.
PZ: Seit 1978 bringt die Hilfsorganisation Mercy Ships medizinische Hilfe in die ärmsten Länder der Erde. Wie kam es, dass Sie Ende letzten Jahres Ihren Arbeitsplatz von der Apotheke im Markt in Teltow vorübergehend nach West-Afrika verlegt haben?
Fotos:Mercy Ships
Beran: Ich wollte schon seit Längerem im Ausland arbeiten. Die Idee von Mercy Ships, mit einem modernen schwimmenden Hospital im Hafen eines der ärmsten Länder der Welt zu liegen, um dort medizinische Hilfe zu leisten, fand ich großartig. Auf der Africa Mercy werden schwierigste Eingriffe durchgeführt. Dazu gehören Gesichtswiederherstellungen, enstanden durch entstellende Gesichtstumore, Kiefer- und Gaumenspalten-Korrekturen oder gynäkologische Fisteloperationen. Brandopfer, die durch Vernarbungen ihre Glieder kaum noch bewegen können, finden hier ebenso Hilfe wie blinde Kinder, die mit Katarakt zur Welt kamen oder Kinder mit orthopädischen Missbildungen.
Das Schiff liegt jeweils acht bis zehn Monate im Hafen, die Patienten werden in dieser Zeit kostenlos behandelt. Die Menschen in Benin sind sehr arm. Ein Taxifahrer bat mich einmal um die Kekse in meiner Tasche, weil er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
PZ: Wie erfahren die Menschen im Land von dem Schiff, und wie viele kommen zur Behandlung?
Beran: Bevor das Schiff im Hafen des jeweiligen Landes anlegt, war schon eine Delegation vor Ort, um Termine mitzuteilen und sogenannte Screening-Orte zu organisieren. Es steht in den Zeitungen, Flyer werden verteilt und es spricht sich herum. Mercy Ships ist eine große, gut strukturierte Organisation. Zum Teil kamen die Menschen von sehr weit her, auch aus den Nachbarländern Togo und Nigeria. Die Ärzte schauen sich die Patienten zunächst an und entscheiden dann, wer auf dem Schiff behandelt wird und wer nicht. Zu diesen Screening-Days, also den Voruntersuchungen zur Vergabe von Behandlungs- und OP-Terminen, kommen mehr als 1000 Männer, Frauen und Kinder. Die orthopädische Abteilung war zum Beispiel sehr schnell voll. Seit Beginn ihrer Arbeit hat Mercy Ships mehr als 81 000 Operationen und 370 000 zahnmedizinische Behandlungen ermöglicht.
PZ: Wie sah Ihr pharmazeutischer Arbeitsalltag auf dem Schiff aus?
Beran: Es gibt eine kleine Apotheke an Bord und immer drei Pharmazeuten. Ich habe mit zwei Kanadierinnen zusammengearbeitet – von 8 bis 17 Uhr. Die Arbeitszeit ist genau geregelt. Not- und Nachtdienst kommen hinzu.
Apothekerin Bettina Beran beim Abfüllen von Kapseln in der Schiffsapotheke.
Wir versorgten die sechs Stationen und vier Operationssäle zunächst jeden Morgen mit Arzneimitteln: Anästhetika, Infusionslösungen, Analgetika, Muskelrelaxanzien und so weiter. Auf einem Schiff ist es eng, die Stationen haben nur kleine Schränke, welche täglich nachgefüllt werden müssen. BtM-Arzneimittel werden in einem abschließbaren Schrank aufbewahrt und ihr Verbrauch akribisch dokumentiert. Meistens fehlen direkt 20 oder 30 Morphin-Ampullen, die neu eingeräumt werden müssen. Viele Operationen dauern lange – teilweise zehn bis zwölf Stunden.
Übervorräte werden am Nachmittag aus den Containern geholt und in der Apotheke aufgefüllt, um am nächsten Morgen wieder die Stationen versorgen zu können. Schön ist, dass man auf den Stationen auch mit den Patienten in Kontakt kommt. Anhand der Kranken-Akten checken wir die Arzneimittel auf Wechselwirkungen, und wir stellen die sogenannte Take-Home-Medicine zusammen – also zum Beispiel Antibiotika und Analgetika für die Zeit zu Hause nach der Operation. In den mehr als zwei Monaten meiner Arbeit an Bord waren das alleine etwa 3000 individuell zusammengestellte Arzneimittel-Päckchen. Wichtig ist das Beschriften der Etiketten: mit dem Namen des Patienten, der Indikation und dem Verfallsdatum – alles auf Französisch, der Landessprache in Benin.
Es gibt 635 verschiedene Arzneimittel an Bord. Die lagern in zwei Containern, einer davon ist gekühlt. Die Apotheke, der ganze Hospitalbereich, ein Labor für Blutuntersuchungen, ein Biotechnologie-Raum und die Arzneimittel-Container sind alle im untersten Deck untergebracht, wo früher die Autos verschifft wurden. Die Africa Mercy ist eine umgebaute Fähre.
Was zum Apothekeralltag immer dazu gehörte: das Abfüllen von Tabletten. Die kommen nicht in Schachteln fertig verpackt, sondern in großen Säcken an Bord und müssen kontinuierlich abgezählt und in Tütchen verteilt werden. Es gibt Vorräte, die meistens während der Reparatur- und Wartungszeit des Schiffes von Mitarbeitern angelegt werden, aber die sind schnell weg. Abfüllen mussten wir also immer, zum Beispiel 1000 Amoxicillin 500 in Tütchen zu je 30 Stück: Dafür braucht man dann etwas Zeit.
Eine Herausforderung ist es abzuschätzen, wie lange welche Arzneimittel reichen werden. Es gibt Erfahrungswerte, aber Patienten und Krankheiten wechseln ja ständig, ebenso die Verschreibungsgewohnheiten der jeweils behandelnden Ärzte. Es dauert etwa drei bis vier Monate, bis ein Container aus Holland, England oder den USA mit neuen Medikamenten ankommt. Die Pharmazeuten ordern zwei- bis dreimal jährlich Arzneimittel. Betäubungsmittel kommen nur einmal im Jahr und unterliegen sehr strengen Kontrollen. Man braucht einen guten Überblick über alles, was verbraucht wird.
PZ: Gibt es auf See auch Lieferprobleme?
Beran: Die wichtigen Arzneimittel und Medizinprodukte für die Operationen sind immer da, auch Notfallmedikamente. Wenn aber ein spezielles Antibiotikum fehlt, muss man nach Alternativen mit einem möglichst ähnlichen Wirkspektrum suchen. Oder fehlt beispielsweise Betaisodona-Salbe, greift man auf eine Salbe zurück, die zwar nicht identisch, aber genauso wirksam ist. Bei einem Pilzbefall im Ohr muss auch mal eine Augensalbe mit einem fungiziden Wirkstoff helfen. Auf einem Schiff lernt man, zu improvisieren. Die Absprachen zwischen Apothekern und Ärzten funktionieren dabei sehr gut – man sitzt ja buchstäblich in einem Boot.
Im Alter von fünf Jahren begann bei dem heute zwölfjährigen David ein entstellender Weichteiltumor zu wachsen. »Er ist weg«, so der Junge glücklich nach erfolgreicher Operation.
PZ: Ist die Schiffs-Offizin durchgehend besetzt?
Beran: Es muss immer ein Pharmazeut vor Ort in der Apotheke sein, auch die Crew wird ja mal krank. Für Besatzungsmitglieder gibt es eine eigene Arztpraxis. Von dort werden Rezepte direkt in die Apotheke gemailt, bearbeitet und die Medikamente dann dem Kranken ausgehändigt. Die Etiketten für die Crew müssen in Englisch beschriftet werden. Auf dem Schiff kommen über 400 Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammen. Die Verständigung erfolgt auf Englisch.
Crew-Mitglieder kommen jedoch auch ohne Rezept in die Apotheke. Im OTC-Bereich sind zum Beispiel Vitamine, Zink- und Eisentabletten gefragt. Auch Mittel gegen Verdauungs- und Magen-Darm-Beschwerden oder leichte Schmerzen werden verlangt. Teilweise sind sie kostenlos, sehr teure Mittel müssen anteilig bezahlt werden, zum Beispiel Malaria-Tabletten.
PZ: Stichwort Kosten: Sie arbeiteten nicht nur ehrenamtlich, auch Reisekosten, Unterbringung und Verpflegung haben Sie selbst bezahlt.
Beran: Mercy Ships ist eine christliche Organisation und wird mithilfe von Spenden finanziert. Ich habe meine Arbeit und meine Zeit zur Verfügung gestellt – die Apotheke, in der ich zurzeit angestellt arbeite, hat mich für einen Monat freigestellt. Die restliche Zeit waren Jahresurlaub und Überstunden. Außerdem fielen 700 Dollar monatlich für Kost und Logis an. Für das Flugticket, ein sogenanntes Missionarsticket, bekam man einen Rabatt von der Fluggesellschaft. Die Route ging von Hamburg über Paris bis Cotonou in Benin. Den Transfer vom Flughafen bis zum Schiff organisiert Mercy Ships.
PZ: Würden Sie nochmal anheuern auf der Africa Mercy?
Beran: Ja, ich würde es wieder machen.Auch Arbeiten in anderen Abteilungen an Bord sind ja zum Beispiel möglich. Zum einen sind die Einsätze auf dem Schiff ziemlich sicher: Mercy Ships fährt zum Schutz seiner Mitarbeiter nicht in Kriegsgebiete und hat einen hervorragenden Wachschutz an Bord. Vor allem aber kann man dort wirklich helfen. Viele Leute kommen wieder. Eine Zahnärztin, mit der ich mir meine Zweibett-Kabine geteilt habe, war zum vierten Mal da. Man kommt mit vielen gleichgesinnten Menschen in Kontakt, teilweise entstehen intensive Freundschaften. Aber man sieht auch viel Armut und Leid und nimmt teil an persönlichen Schicksalen. Da kann man auch mal an seine emotionalen Grenzen stoßen. /
Weitere Informationen: www.mercyships.de