Arzneimittel für Früh- und Neugeborene |
Aufgrund ihres unreifen Immunsystems sind Früh- und Neugeborene besonders anfällig für schwere bakterielle Infekte, die lebensbedrohlich verlaufen können. Eine frühzeitige Erkennung ist entscheidend für die Prognose. Deshalb sollte bei Neugeborenen und Säuglingen unter drei Monaten mit Fieber ab 38 °C (rektal gemessen) immer Rücksprache mit einem Kinderarzt gehalten werden, da eine schnelle antibiotische Therapie und gegebenenfalls eine stationäre Überwachung erforderlich sein können (41).
Bei folgenden Warnzeichen sollten Apotheker den Eltern unbedingt empfehlen, umgehend einen kinderärztlichen Notdienst aufzusuchen (41):
Die neonatale Sepsis (Neugeborenen-Sepsis) ist eine systemische, meist bakterielle Infektion während der Neugeborenen-Phase und eine gefürchtete Komplikation, die schnelles Handeln erfordert. Abhängig vom Zeitpunkt der Manifestation unterscheidet man die Early-Onset- (EOS) und die Late-Onset-Sepsis (LOS) (Tabelle 4). Eine EOS wird in den ersten 24 Lebensstunden klinisch auffällig und ist pränatal über infiziertes Fruchtwasser oder perinatal durch die mütterliche Vaginalflora erworben (vertikale Infektion). Eine LOS wird in der Regel im Krankenhaus erworben und manifestiert sich in den ersten 72 Lebensstunden (42,43).
Merkmale | Early-Onset-Sepsis (EOS) | Late-Onset-Sepsis (LOS) |
---|---|---|
Manifestation | innerhalb von 24 h nach Geburt | innerhalb von 72 h nach Geburt |
Erwerb | pränatal, perinatal | postnatal |
häufige Erreger | Escherichia coli, GBS | Staphylococcus aureus, Enterobakterien |
Risikofaktoren | GBS im Anogenitalbereich der Mutter während Schwangerschaft und Geburt / Fieber der Mutter während Geburt / Blasensprung länger als 18 h vor Geburt / Frühgeburt vor der 37. SSW | intensivmedizinische Maßnahmen (Gefäßkatheter und Beatmungstuben als Eintrittspforten) / mangelhafte Stationshygiene |
Die klinischen Merkmale sind recht unspezifisch. Hyper- oder Hypothermie, Atemstörungen, Erbrechen, Trinkschwäche, Blässe und Lethargie zählen zu den Hauptsymptomen. Bei Frühgeborenen können die Symptome schwächer ausfallen (42). Bei Nichtbehandlung kann es zu einer Meningitis oder zum septischen Schock kommen. Die Mortalität der neonatalen Sepsis liegt bei 10 bis 25 Prozent, bei Frühgeborenen sogar bei 50 Prozent (45, 46).
Eine antibiotische Therapie muss bei klinischem Verdacht auf eine neonatale Sepsis unverzüglich starten, auch wenn der Erregernachweis noch nicht abgeschlossen ist (empirische Antibiotikatherapie) (42). Das gewählte Antibiotikum sollte ein möglichst breites Erregerspektrum erfassen. Typisch ist eine Kombination aus Aminopenicillin (Ampicillin, Piperacillin) mit Aminoglykosid (Gentamicin, Tobramycin), in schweren Fällen ergänzt durch ein Cephalosporin der dritten Generation (Ceftazidim, Cefotaxim) (14). Wenn die Blutkultur negativ ausfällt und keine klinischen Symptome vorliegen, kann die Antibiose nach 36 bis 48 Stunden beendet werden (42).
Obwohl die Begriffe »empirische« und »kalkulierte« Antibiotikatherapie oft synonym verwendet werden, unterscheiden einige Quellen die beiden Methoden. Bei beiden Strategien handelt es sich um eine antibiotische Initialtherapie, bevor ein Erreger nachgewiesen wurde.
Bei der empirischen Therapie ist neben dem Erreger auch der Fokus unbekannt. Sie ist bei lebensbedrohlichen Infektionen, zum Beispiel bei (Neugeborenen-)Sepsis, indiziert und besteht aus einem Breitband-Antibiotikum.
Die kalkulierte Therapie wird bei bekanntem Fokus, zum Beispiel bei Harnwegsinfekten oder Pneumonie, angewendet. Die Wahl des Antibiotikums beruht auf der größten Erregerwahrscheinlichkeit für die entsprechende Infektion (51, 52).
Ebenfalls kritisch sind Harnwegsinfektionen (HWI), die mit einer Prävalenz von etwa 2 Prozent zu den häufigsten bakteriellen Infektionen von Neugeborenen gehören (14). Zu den klinischen Symptomen zählen Erbrechen, Trinkschwäche, Gewichtsverlust und Ikterus, wohingegen hohes Fieber, anders als bei Säuglingen und Kindern, eher selten ist (14, 47). Anders als im späteren Alter sind neugeborene Jungen häufiger betroffen als neugeborene Mädchen (47, 48).
Infektion | Therapiedauer (Tage) |
---|---|
Meningitis mit Erregernachweis im Liquor | E. coli, gramnegative Erreger: 21 / Streptokokken Gruppe B: 14 |
Meningitis ohne Erregernachweis im Liquor mit positiver Blutkultur | gramnegative Erreger: 14 / grampositive Erreger: 10 |
Sepsis mit positiver Blutkultur | 7 bis 14 |
Harnwegsinfektion | 7 bis 14 |
SIRS ohne Erregernachweis | 5 bis 7 |
positiver Abstrich ohne klinische Symptome | keine Therapie |
Das Antibiotikum muss meist schnellstmöglich ausgewählt werden, bevor die Ergebnisse der Erregeranalysen vorliegen. Auswahlkriterium ist daher die größte Erregerwahrscheinlichkeit (kalkulierte Antibiotikatherapie) (14, 49). Neugeborene benötigen bei HWI grundsätzlich eine intravenöse Antibiotikatherapie über 7 bis 14 Tage (Tabelle 5). Übliche Kombinationen sind Ampicillin plus Aminoglykoside Gentamicin (beide zugelassen ab 0 Jahren) oder Tobramycin (zugelassen ab einer Woche) oder Ampicillin plus Cephalosporin der dritten Generation, zum Beispiel Ceftazidim (zugelassen ab 0 Jahren) (49, 50).