Zweimal Geimpfte nur schlecht vor Omikron geschützt |
Annette Rößler |
08.12.2021 11:34 Uhr |
Professor Dr. Sandra Ciesek von der Universität Frankfurt am Main hat mit ihrer Arbeitsgruppe erste Erkenntnisse zur Schutzwirkung der Impfung gegen die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 gewonnen. / Foto: Imago Images/Ipon (Archivbild)
Professor Dr. Sandra Ciesek, Virologin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, informierte heute auf Twitter über erste Erkenntnisse zum Immunescape der Omikron-Variante von SARS-CoV-2. Sie hatte mit ihrem Team die Neutralisationsfähigkeit von Sera verschiedener Probanden gegen die neue besorgniserregende Variante getestet: Personen, die zweimal mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff Comirnaty® geimpft waren, Personen, die zweimal mit dem Moderna-Impfstoff Spikevax® geimpft waren, und Personen, die einmal mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff Vaxzevria® und einmal mit Comirnaty geimpft waren.
In allen drei Fällen zeigte sich sechs Monate nach der jeweils zweiten Impfung keinerlei Neutralisationsfähigkeit mehr gegen Omikron. Bei Personen, die mit Comirnaty grundimmunisiert und ebenfalls mit der Biontech/Pfizer-Vakzine geboostert waren, lag die Neutralisationsfähigkeit bei 25 Prozent, während sie gegen die zurzeit in Deutschland dominante Delta-Variante 95 Prozent betrug. Ciesek spricht in dem kurzen Tweet von einer bis zu 37-fachen Reduktion der Neutralisationskapazität bei Omikron im Vergleich zu Delta.
Dieser Abfall der Neutralisationsfähigkeit ist dramatisch. Die Virologin betont allerdings auch, dass die Daten nichts über den Schutz der Impfung vor Omikron-bedingten schweren Covid-19-Verläufen aussagen. Sie bekräftigen aber laut Ciesek, dass die Entwicklung eines an Omikron angepassten Impfstoffs sinnvoll sei, zumal sich die monoklonalen Antikörper Casirivimab und Imdevimab – wie erwartet – bei Omikron als wirkungslos erwiesen hätten.
Ebenfalls auf Twitter gab gestern der Virologe Professor Dr. Alex Sigal vom Africa Health Research Institute in Südafrika erste Ergebnisse von Experimenten bekannt, die er mit seinem Team genauso wie die Ciesek-Gruppe mit Omikron-Virusisolaten (also nicht mit Pseudoviren) gemacht hatte. Die Südafrikaner hatten ausschließlich die Wirkung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs untersucht.
In der Arbeit, die Sigal et al. demnächst auf der Preprint-Plattform »MedRxiv« einstellen werden und die auf der Website des Instituts bereits zugänglich ist, ist die Rede von einem Rückgang der Neutralisationskapazität gegenüber Omikron im Vergleich zum Wildtyp-Virus bei doppelt Comirnaty-Geimpften um den Faktor 41. Auch in diesem Fall betont allerdings ein Fachmann, nämlich der Leiter des Forschungsinstituts Professor Dr. Willem Hanekom, dass das Ergebnis zwar einen geringeren Schutz der Impfung vor Infektion nahelege, der Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod aber wahrscheinlich erhalten bleibe.
Weitere Ergebnisse der Sigal-Experimente sind: Auch die Omikron-Variante braucht den ACE2-Rezeptor, um in Wirtszellen einzudringen. Und Personen, die zunächst eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und dann mit Comirnaty geimpft wurden, sind besser geschützt als zweimal Geimpfte.
Zusammenfassend lassen sich aus diesen beiden Studien – die noch nicht das Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben – folgende vorläufigen Erkenntnisse ableiten: Wer nicht infiziert war, sollte sich zum Schutz vor der Omikron-Variante dringend boostern lassen, und zwar mit einem der verfügbaren mRNA-Impfstoffe. FFP2-Masken und alle weiteren Hygienemaßnahmen werden weiter unentbehrlich bleiben, um Durchbruchinfektionen zu verhindern. Zumindest für vulnerable Gruppen wird wahrscheinlich auch bald eine zusätzliche Boosterung mit einem angepassten Impfstoff notwendig werden.
Auch Biontech und Pfizer legten heute erste Ergebnisse von Labortests zur Wirkung ihres Impfstoffs BNT162b2 gegen die Omikron-Variante vor. Wie die beiden Unternehmen mitteilen, zeigten In-vitro-Untersuchungen mit Blutseren und Pseudoviren bei zweimal mit Comirnaty Geimpften ein durchschnittlich mehr als 25-fach reduziertes Neutralisierungspotenzial gegenüber der Omikron-Variante. »Dies deutet darauf hin, dass zwei Dosen BNT162b2 keinen ausreichenden Schutz gegen eine Infektion mit der Omikron-Variante bieten«, so die Hersteller. Von einem weiter vorhandenen Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen sei aber auszugehen, da die überwiegende Mehrheit der Epitope, gegen die sich die impfstoffinduzierten T-Zellen richten, nicht von den Mutationen der Variante betroffen seien. Durch eine Boosterung ließ sich laut der Mitteilung der Titer an neutralisierenden Antikörpern wieder um den Faktor 25 erhöhen, sodass bei Geboosterten von einer ähnlichen Schutzwirkung gegen Omikron auszugehen sei wie bei zweifach Geimpften gegen den Wildtyp von SARS-CoV-2 und andere Varianten.
Zum Zeitrahmen einer möglicherweise erforderlichen Anpassung ihres Impfstoffs an die Omikron-Variante schreiben Biontech und Pfizer: »Die ersten Chargen des angepassten Omikron-Impfstoffs können hergestellt werden und bei Genehmigung durch die Behörden innerhalb von 100 Tagen ausgeliefert werden.« Allerdings müssten zunächst weitere Ergebnisse aus Labortests und Real-World-Daten abgewartet werden, um »über die effektivste Vorgehensweise zu entscheiden«. Man sei aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen zuversichtlich, »bei Bedarf einen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff im März 2022 ausliefern [zu] können.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.