Wohl kein Guillain-Barré-Syndrom durch SARS-CoV-2 |
Annette Rößler |
16.12.2020 18:00 Uhr |
Das Coronavirus SARS-CoV-2 gehört einer aktuellen Untersuchung zufolge offenbar nicht zu den Erregern, die ein Guillain-Barré-Syndrom auslösen können. / Foto: NIH
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine schwere akute Erkrankung der peripheren Nerven, die mit Lähmungserscheinungen und Missempfindungen einhergeht. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die Myelinscheiden der peripheren Nerven angegriffen werden. Auslöser seien in drei Viertel der Fälle Infektionen, etwa eine bakterielle Darmentzündung mit Campylobacter jejuni oder eine Infektion der oberen Luftwege mit dem Zytomegalievirus oder anderen Viren. Auch das Zikavirus kann ein GBS auslösen.
Weil zu Anfang der Covid-19-PandemieFälle von GBS im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion beschrieben wurden, vermutete man, dass auch das neue Coronavirus ein GBS-auslösender Erreger ist. Die DGN gab Ende April eine entsprechende Pressemitteilung heraus. Nun haben britische Forscher den Sachverhalt noch einmal gründlich untersucht – und geben im Fachjournal »Brain« Entwarnung.
Anhand der gemeldeten Fälle von GBS in der UK National Immunoglobulin Database verglich die Gruppe um Dr. Stephen Keddie vom University College London die Fallzahlen aus den Jahren 2016 bis 2019 mit denen, die während der Covid-19-Pandemie neu aufgetreten waren. Demnach wurden im Vergleichszeitraum zwischen 1,65 und 1,88 Fälle von GBS pro 100.000 Personen und Jahr gemeldet. In den Monaten März bis Mai 2020 sank die Inzidenz verglichen mit demselben Zeitraum der Vorjahre. GBS- und Covid-19-Fallzahlen waren in verschiedenen Landkreisen unterschiedlich häufig und korrelierten nicht miteinander.
Unabhängig davon betrachteten die Autoren eine Kohorte von 47 GBS-Patienten, die Ärzte während der Pandemie an ein zentrales Register gemeldet hatten. Von diesen 47 Patienten waren 13 nachgewiesen SARS-CoV-2-positiv, 12 wahrscheinlich positiv und 22 negativ. Es gab keine signifikanten Unterschiede im Muster des Krankheitssymptoms Schwäche, im zeitlichen Verlauf der GBS-Erkrankung, in der Neurophysiologie, in Markern der Zerebrospinalflüssigkeit sowie im Outcome.
Einen Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und GBS vollständig auszuschließen, sei zwar nicht möglich, schreiben die Forscher. Sie hätten aber in der vorliegenden Untersuchung weder einen epidemiologischen noch einen phänotypischen Hinweis darauf gesehen, dass das neue Coronavirus ein GBS auslösen könne. Im Gegenteil: Die Inzidenz der Nervenkrankheit sei während der Pandemie sogar gefallen. Dies könne möglicherweise daran liegen, dass die Übertragung von anderen Erregern wie Campylobacter jejuni und respiratorischen Viren, die nachgewiesenermaßen mit GBS assoziiert seien, durch die allgemeinen Hygienemaßnahmen zurückgegangen sei.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.