Wenn Essen das Leben bestimmt |
Die vermeidend-restriktive Essstörung gehörte in der letzten Leitlinienfassung von 2018 zur großen Gruppe der atypischen und nicht näher bezeichneten Essstörungen. Fachleute bezeichnen sie als ARFID, eine Abkürzung für »Avoidant-Restrictive Food Intake Disorder«. Sie ist auch als Picky Eating bekannt: Betroffene zeigen ein extrem wählerisches Essverhalten, das sich auf Konsistenz, Farbe, Geruch oder Geschmack der Lebensmittel bezieht: Sie essen beispielsweise nur Püriertes oder nur eine spezielle Sorte Obst. Meist beginnt die Störung im frühen Kindesalter.
»In der neuen Leitlinie wird ARFID erstmals als spezifische Essstörung aufgeführt«, erklärt Koordinatorin Herpertz-Dahlmann. Anders als bei den meisten anderen Essstörungen spielt beim Picky Eating die Sorge um das Körpergewicht und die Figur kaum eine Rolle.
Ein wichtiges Unterscheidungskriterium zu der häufig anzutreffenden »Mäkeligkeit« von Kindern: Bei einer ARFID reicht die Nahrungsaufnahme nicht aus, um den Nährstoff- und Energiebedarf zu decken. Dadurch kommt es zu Gewichtsverlust und/oder Untergewicht, Mangelerscheinungen sowie Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen.
Viele Kinder sind in bestimmten Lebensphasen wählerisch und mäkelig beim Essen, ernähren sich aber insgesamt ausreichend. / Foto: Adobe Stock/zinkevych
Als eine Sonderform der ARFID sehen manche Experten die sogenannte Orthorexia nervosa, bei der die Betroffenen zwanghaft auf (vermeintlich) gesunde Nahrungsmittel fixiert sind.
Wie die ARFID hat auch das Pica-Syndrom im 2022 erschienenen ICD-11 erstmals eine eigene Codierungsziffer erhalten. Die Betroffenen verzehren Substanzen, die keine Lebensmittel sind, zum Beispiel Steine, Papier oder sogar Kot. In der Folge kommt es oft zu Vergiftungen oder Verletzungen des Verdauungstrakts. Meist tritt Pica bei Kindern mit geistiger Beeinträchtigung auf, seltener bei Erwachsenen.
Menschen mit einer Ruminationsstörung würgen bereits geschlucktes Essen wieder hoch und kauen es noch einmal oder spucken es aus. Das geschieht willkürlich und ohne begleitende Übelkeit oder Ekel. Oft tritt die Störung im Säuglingsalter auf und verschwindet nach einiger Zeit wieder. Fachleute stellten die Diagnose erst im Alter von mindestens zwei Jahren.
Im Gegensatz dazu bezeichnet »Chewing and Spitting« das Ausspucken gekauter Nahrung vor dem Schlucken, das bei anderen Essstörungen als Technik zur Gewichtskontrolle gilt.
Bisher nicht als eigenständige Erkrankung anerkannt ist das Night-Eating-Syndrom. Betroffene decken einen Großteil ihres Energiebedarfs nach dem Abendessen. Tagsüber verspüren sie nur wenig Appetit. Viele wachen nachts mit Heißhunger auf und haben Angst, ohne Essen nicht mehr einschlafen zu können. Obwohl das nächtliche Essen nicht unbedingt mit einer übermäßigen Kalorienzufuhr verbunden ist, haben Patientinnen und Patienten das Gefühl, keine Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme zu haben.