Wenn Arzneimittel Nerven schädigen |
Systemisch gegebene Azol-Antimykotika können ebenfalls Polyneuropathien auslösen, wobei die Häufigkeit in der Literatur unterschiedlich angegeben wird. Während Hersteller die Nebenwirkung teilweise als gelegentlich einstufen oder gar keine Angabe machen, berichten klinische Studien von deutlich höheren Raten.
Eine Studie aus 2011 gibt zum Beispiel eine Prävalenz von 9 Prozent bei Voriconazol und 17 Prozent bei Itraconazol an (19). Besonders gefährdet sind Patienten mit Diabetes mellitus, möglicherweise wegen einer bestehenden Prädisposition für Nervenschäden.
Der pathophysiologische Mechanismus ist noch nicht abschließend geklärt. Eventuell spielen mitochondriale Schädigungen eine Rolle. Genetische Polymorphismen in CYP450-Enzymen, die Azol-Antimykotika metabolisieren, können zu individuell variierenden Wirkspiegeln und auch neurotoxischen Konzentrationen führen.
Symptomatisch äußert sich die Neuropathie meist in Form von Parästhesien wie Kribbeln und Taubheitsgefühlen, die nach dem Absetzen der Medikation oft reversibel sind. Die Beschwerden treten typischerweise symmetrisch auf. Bei längerer Anwendung sollte vor allem bei Risikopatienten eine neurologische Verlaufskontrolle erfolgen. Treten unter Therapie sensorische Beschwerden auf, ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung nötig (3, 7).
Medikamenten-induzierte Neuropathien können so belastend sein, dass Betroffene die Therapie abbrechen oder auf weniger wirksame Medikamente ausweichen müssen. Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathien (CIPN) sind beispielsweise eine häufige, oft therapielimitierende Nebenwirkung bei Brustkrebspatientinnen, die mit Taxanen behandelt werden.
Bisher gibt es keine nachweislich wirksamen Maßnahmen zur Vorbeugung. Allerdings gibt es aktuelle Forschungen, die Hoffnung machen.
Die POLAR-Studie zeigte kürzlich, dass einfache nicht medikamentöse Maßnahmen wie Handkühlung oder -kompression das Risiko signifikant senken können (20). Die 122 Brustkrebspatientinnen wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert. In einer Gruppe wurde die dominante Hand mit einem Gefrierhandschuh gekühlt, in der anderen mit zwei zu kleinen OP-Handschuhen komprimiert. Dies erfolgte jeweils 30 Minuten vor, während und nach der Taxan-Gabe. Die jeweils andere Hand diente als unbehandelte Kontrolle. Die Ergebnisse zeigten einen deutlichen Nutzen beider Verfahren: In der Kühlgruppe traten bei 29 Prozent der Frauen sensorische Neuropathien ab Schweregrad 2 auf, in der unbehandelten Kontrollhand bei 50 Prozent. In der Kompressionsgruppe lagen die Zahlen bei 24 versus 38 Prozent. Beide Interventionen reduzierten somit das Risiko für höhergradige Nervenschäden signifikant.
Physiotherapie kann helfen, Kraft und Beweglichkeit zu erhalten oder wieder aufzubauen. / © Adobe Stock/Racle Fotodesign
Möglicherweise könnte auch Vitamin E vorbeugend helfen. Eine Metaanalyse von neun randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 486 Patienten zeigten, dass Vitamin E die Inzidenz von CIPN signifikant reduzierte (21). Allerdings ergab eine Subgruppenanalyse, die ausschließlich doppelblinde Studien berücksichtigte, keinen signifikanten Unterschied. Daher sind weitere hochwertige, doppelblinde Studien zu Vitamin E in der Prävention der CIPN erforderlich.
Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Signalwege, insbesondere Proteinkinase C (PKC) und MAP-Kinasen, bei der Entstehung der Neuropathie eine Rolle spielen. Der PKC-Hemmer Tamoxifen konnte neuropathische Symptome bei Mäusen, die mit bestimmten Chemotherapeutika behandelt wurden, lindern (22).