Wenn Arzneimittel Nerven schädigen |
Antibiotika-induzierte periphere Neuropathien kommen in erster Linie im Kontext langwieriger Therapien wie bei der Tuberkulose vor. Am häufigsten treten schmerzhafte Polyneuropathien unter Isoniazid auf. Die Inzidenz steigt mit der Dosis und ist bei HIV-Infizierten bis zu vierfach höher. Der Beginn der Symptome hängt von der Dosierung ab: Höhere Dosen führen schneller zu Symptomen.
Isoniazid wirkt neurotoxisch, indem es Pyridoxalphosphat inaktiviert, die aktive Form von Vitamin B6. Das Vitamin ist essenziell für zahlreiche neurologische Prozesse wie die Neurotransmittersynthese und den Energiestoffwechsel. Ein Mangel führt zu sensorischen symmetrischen Neuropathien. Die vorbeugende Gabe von Pyridoxin kann das Risiko vor allem bei vulnerablen Gruppen wie HIV-positiven, unterernährten, schwangeren oder älteren Patienten senken. Eine generelle Prophylaxe bei allen mit Isoniazid behandelten Personen wird kontrovers diskutiert (16).
Auch Linezolid, ein Reserveantibiotikum bei multiresistenter Tuberkulose, ist häufig mit reversiblen und irreversiblen Neuropathien assoziiert. Die Schäden können bereits nach wenigen Wochen Therapie auftreten. Die Datenlage zur Neurotoxizität ist uneinheitlich, da häufig Vorbehandlungen mit neurotoxischen Substanzen erfolgt sind.
HIV-positive Patienten haben ein besonders hohes Risiko für DIPN. Die Immunaktivierung, Mangelernährung, mögliche Koinfektionen und die häufig simultane antiretrovirale Therapie verstärken das Risiko. Die Prävalenz neurotoxischer Nebenwirkungen kann bei HIV-TB-Koinfektion bei über 30 Prozent liegen (3, 17).
Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) sind ein Bestandteil der hoch aktiven antiretroviralen Therapie bei HIV (HAART). Sie können zu Neuropathien mit Symptomen wie brennenden oder stechenden Schmerzen, distaler Muskelschwäche und herabgesetztem Achillessehnenreflex führen. Die Häufigkeit variiert je nach Substanz und ist ein häufiger Grund für das Absetzen der HAART.
Zidovudin und Lamivudin scheinen im Vergleich zu anderen NRTI seltener periphere Neuropathien auszulösen. Woher diese bessere Verträglichkeit kommt, ist bislang unklar (17).
Zu den Risikofaktoren für NRTI-induzierte periphere Neuropathien zählen bereits bestehende – insbesondere HIV-assoziierte – Neuropathien, maligne Grunderkrankungen sowie eine ausgeprägte Immunsuppression. Höhere Dosierungen sowie Kombinationstherapien steigern das Risiko. Genetisch oder altersbedingt eingeschränkte Stoffwechselprozesse können die Ausscheidung der Wirkstoffe behindern und so die Neurotoxizität verstärken. Ein weiterer verstärkender Faktor ist Alkoholmissbrauch (3).