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Dehnen, Magnesium und Chinin

Was tun bei häufigen Wadenkrämpfen?

Wadenkrämpfe sind meist kein muskuläres Problem, sondern ein neurologisches. Zur Vorbeugung empfiehlt die Leitlinie Dehnungsübungen und die Einnahme von Magnesium. In besonders schweren Fällen kann Chininsulfat die Beschwerden lindern.
Annette Mende
23.10.2019  17:00 Uhr

Es ist ziemlich schmerzhaft, wenn sich Muskeln »von allein« stark zusammenziehen und verkrampfen. Die meisten Menschen machen dann intuitiv das Richtige: Sie dehnen den verkrampften Muskel, indem sie etwa bei einem Wadenkrampf den Fuß hochziehen, wodurch sich der Krampf in der Regel schnell wieder löst. Auch zur Vorbeugung von Wadenkrämpfen empfiehlt die S1-Leitlinie regelmäßige passive Dehnübungen, zum Beispiel durch Vorbeugen des Körpers im Stand, ohne dass die Fersen den Bodenkontakt verlieren. Darauf weist aktuell die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hin.

Ein Wadenkrampf entstehe nicht in der Muskulatur, sondern durch spontane Depolarisierungen der Nervenmembranen, so die DGN. Daher könnten Elektrolytverschiebungen, etwa durch verstärktes Schwitzen im Sommer, die Entstehung von Krämpfen begünstigen, da sie die Reizbarkeit der Nerven erhöhen. Aber auch Schädigungen der Nerven-Schutzscheide Myelin durch diabetische Polyneuropathie, Schilddrüsenerkrankungen, Medikamente, Alkohol oder Vitamin-B-Mangel könnten die Neigung zu Wadenkrämpfen erhöhen. Ein weiterer begünstigender Faktor sei das Alter.

Die Wirksamkeit einer Magnesium-Supplementation ist laut DGN nicht ausreichend belegt. Wegen des geringen Nebenwirkungspotenzials soll sie aber dennoch versucht werden. »Viele Patienten berichten, dass Magnesium bei ihnen die Neigung zu Muskelkrämpfen lindert«, so Dr. Rainer Lindemuth, Erstautor der Leitlinie. »Aufpassen müssen lediglich Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion.« Sie sollten vor der Dauereinnahme mit ihrem Arzt sprechen. Magnesium führe an der Muskelmembran zu einer Stabilisierung und reduziere Aktionspotenziale, die Kontraktionen im Muskel auslösen, erläutert der Neurologe den Wirkmechanismus.

Chinin in weniger restriktiv einsetzen

Erst wenn alle behandelbaren Ursachen ausgeschlossen sind und eine Magnesiumtherapie versucht wurde, soll bei häufigen und sehr schmerzhaften Krämpfen Chinin zum Einsatz kommen. In Deutschland sind Chinin-haltige Fertigarzneimittel wie Limptar® seit 2015 verschreibungspflichig. Der Grund dafür, den zuvor frei verkäuflichen Wirkstoff unter Verschreibungspflicht zu stellen, waren mögliche schwere Nebenwirkungen wie Blutbildveränderungen, insbesondere Thrombozytopenie, und Herz-Rhythmus-Störungen. Auch war eine missbräuchliche Anwendung bei gleichzeitiger Einnahme von Chinin mit Loperamid befürchtet worden.

Dennoch sollte Chinidin verstärkt eingesetzt werden, so die DGN. Eine aktuell im Fachjournal »MMW – Fortschritte der Medizin« veröffentlichte Studie mit knapp 600 Teilnehmern habe die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Chininsulfat bei erwachsenen Patienten mit sehr häufigen und schmerzhaften nächtlichen Wadenkrämpfen bestätigt. »Ich denke, es ist möglich, diese Präparate weniger restriktiv einzusetzen, als es die Leitlinien derzeit vorsehen«, so Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Erstautor der aktuellen Studie.

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