Was kann erhöhte Leberwerte auslösen? |
Eine zunehmend wichtige Differenzialdiagnose ist die arzneimitteltoxische Hepatopathie, die im angloamerikanischen Raum auch als »DILI« (drug-induced liver injury) bezeichnet wird. Zahlreiche Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel und Phytotherapeutika können ein DILI auslösen (Tabellen 1 und 2).
In der Vergangenheit gab es zahlreiche Medikamente, die wegen einer Hepatotoxizität gar nicht erst zugelassen wurden oder deren Zulassung ganz zurückgezogen beziehungsweise deren Indikation eingeschränkt wurde. Während in den USA und Europa konventionelle Medikamente die Hauptursachen arzneimitteltoxischer Hepatopathie sind, wird diese in Asien vorwiegend durch komplementärmedizinische Stoffe sowie Nahrungsergänzungsmittel verursacht (29).
Pflanzliche Zubereitungen und Nahrungsergänzungsmittel (Beispiele) | Art der potenziellen Leberschädigung |
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Heil- und Giftpflanzen | |
Actaea racemosa, syn. Cimicifuga racemosa (Trauben-Silberkerze) | AHH, ACH |
Atractylis gummifera L. (Mastixdistel) | AHH, ACH, ALV |
Azadirachta indica (Niembaum) | mikrovesikuläre Steatose |
Borago officinalis (Borretsch) | AHH, ACH |
Callilepis laureola L. (Südafrikanische Ox-Eye Daisy) | AHH, ALV |
Camellia sinensis (Teepflanze) | AHH, ACH, ALV |
Cassia angustifolia (Senna) | AHH, ACH |
Catha edulis (Kathstrauch) | AHH, ACH, ALV |
Chelidonium majus (Schöllkraut) | AHH, ACH, chronische Hepatitis, Cholangitis |
Hedeoma pulegioides (Frauenminze) | AHH, ACH, ALV |
Larrea tridentata (Kreosotbusch) | AHH, ACH, Cholangitis, chronische Hepatitis/Zirrhose |
Mentha pulegium (Polei-Minze) | AHH, ACH, ALV |
Morinda citrifolia (Noni) | AHH, ACH, ALV |
Pflanzen mit Pyrrolizidin-Alkaloiden (Crotalaria, Senecio, Heliotropium, Symphytum officinale) | akutes und chronisches SOS |
Piper methysticum (Kava-Kava) | AHH, ACH, ALV, chronische Hepatitis |
Serenoa repens (Sägepalme) | ACH |
Teucrium chamaedrys (Echter Gamander) | AHH, ACH, ALV, chronische Hepatitis, Zirrhose, Cholangitis |
Teucrium polium (Polei Gamander) | AHH, ACH, ALV |
Asiatische Phytotherapeutika, unter anderem chinesische, japanische und ayurvedische Präparate aus Pflanzen | |
Dysosma pleiantha (Boh-Gol-Zhee)/Bu Ku Zi | AHH,ACH |
Brena officinalis (Chi R Yun) | AHH |
Chaso und Onshido | AHH, ACH, ALV |
Dai-Saiko-To | AHH mit Autoimmunreaktion |
Ephedra (Ma Huang) | AHH mit Autoimmunreaktion |
Ganoderma lucidum (Linghzi) | AHH |
Lycopodium serratum (Jin Bu Huan) | AHH, ACH, ALV |
Polygonum multiflorum (Shou-Wu-Pian) | AHH, ACH |
Sho-Saiko-To (Xiao-Chai-Hu-Tang) | AHH/chronische Hepatitis |
Nahrungsergänzungsmittel | |
Hydroxycut® | AHH, ACH, ALV, AHH mit Autoimmunreaktion |
Illegale anabole androgene Steroide | AHH, ACH, Leberadenom, HCC, SOS |
Linolsäure | AHH |
Plethory® (Vitamin A, Schilddrüsenhormone) | AHH, ACH, chronische Hepatitis, Zirrhose |
Usninsäure mit zusätzlichen Inhaltsstoffen, zum Beispiel LipoKinetix®, UCP-1®, Oxy ELITE® | AHH, ALV |
ACH: akute cholestatische Hepatitis; AHH: akute hepatozelluläre Hepatitis; ALV: akutes Leberversagen; HCC: hepatozelluläres Karzinom; SOS: sinusoidales Okklusionssyndrom
Zur Inzidenz des DILI liegen bisher wenige Daten vor. Aus zwei populationsbasierten Studien lässt sich ein Auftreten von 14 bis 19/100.000 Einwohnern abschätzen (5, 25). Sowohl in Europa als auch in den USA ist die arzneimitteltoxische Hepatopathie die häufigste Ursache für akutes Leberversagen (14, 18).
Typ der Hepatotoxizität | Arzneistoffe (Beispiele) |
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intrinsisch | Paracetamol, Amiodaron**, anabole Steroide, Antimetabolite, Colestyramin*, Ciclosporin, Valproat, HAART-Medikamente (highly active antiretroviral therapy), Heparine*, Nikotinsäure, Statine** |
idiosynkratisch | Allopurinol, Amiodaron**, Amoxicillin-Clavulansäure***, Bosentan, Dantrolen, Diclofenac, Disulfiram, Felbamat, Fenofibrat, Flucloxacillin, Flutamid, Halothan, Isoniazid, Ketoconazol, Leflunomid, Lisinopril, Lapatinib, Methyldopa, Minocyclin, Nitrofurantoin, Pazopanib, Phenytoin, Pyrazinamid, Propylthiouracil, Statine**, Sulfonamide, Terbinafin, Ticlopidin, Tolvaptan, Tolcapon |
*) geringe ALT-Erhöhung ohne Ikterus; **) sowohl intrinsisch als auch idiosynkratisch; ***) Clavulansäure-Anteil für idiosynkratische Toxizität verantwortlich
Prinzipiell werden bei der medikamenteninduzierten Lebertoxizität zwei Mechanismen klassifiziert.
Die sogenannte intrinsische oder direkte Toxizität ist typischerweise dosisabhängig und beginnt kurz, meist innerhalb von Stunden bis Tagen nach Therapiestart (9). Der Effekt ist voraussagbar, da er bei einem großen Teil der Personen auftritt, die das Medikament einnehmen.
Bekanntestes Beispiel ist Paracetamol, das mit über 50 Prozent der Fälle den häufigsten Grund für akutes Leberversagen in den USA und Teilen Europas darstellt (9). Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stuft Paracetamol daher als gefährlich ein. Die leberschädigende Wirkung kann tödlich sein und bei Überschreiten der Tageshöchstdosis von 50 mg/kg Körpergewicht eintreten. Dies entspricht 750 mg für ein 15 kg schweres Kind. Die deutschen Giftinformationszentren weisen jedoch darauf hin, dass nach einer einmaligen Paracetamol-Überdosis unter 150 mg/kg ohne Therapie beim Gesunden keine Leberschädigung zu erwarten sei. Bei Risikopatienten wie Früh- und Neugeborenen sowie Kleinkindern mit hohem Fieber und Appetitlosigkeit liege die toxische Dosis bei größer/gleich 100 mg/kg (Mitteilung des GGIZ Erfurt).
Die idiosynkratische Lebertoxizität ist dagegen dosisunabhängig, von variabler Latenzzeit und nicht vorhersehbar. Dennoch besteht meist eine Dosisschwelle von 50 bis 100 mg/Tag. Die Latenzzeit bis zum Eintreten der Toxizität kann von Tagen bis hin zu Monaten dauern. Nur ein kleiner Teil der Personen, die diese Medikamente einnehmen, ist betroffen; der Grund dafür ist unklar. Für beide Toxizitätsformen sind wichtige Medikamente in Tabelle 2 zusammengefasst.