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Komplementärmedizin

Was ist evidenzbasiert in der Onkologie?

Viele Tumorpatienten wenden komplementärmedizinische Verfahren an. Deren Wirksamkeit ist häufig nicht eindeutig belegt. Außerdem können vor allem pflanzliche Zubereitungen mit der onkologischen Therapie wechselwirken. Die S3-Leitlinie zur Anwendung komplementärmedizinischer Verfahren in der Behandlung onkologischer Patienten gibt hier eine gute Hilfestellung.
Christoph A. Ritter
02.06.2024  08:00 Uhr

S3-Leitlinie Komplementärmedizin

Um dieser Unsicherheit zu begegnen, wurde im September 2021 die erste S3-Leitlinie zur Anwendung komplementärmedizinischer Verfahren in der Behandlung onkologischer Patienten veröffentlicht (7). Sie befindet sich derzeit in Überarbeitung; bislang liegt aber nur eine noch nicht abgestimmte Konsultationsfassung vor.

Diese Leitlinie ordnet die Verfahren vier Gruppen zu: medizinische Systeme, Mind-Body-Verfahren, manipulative Körpertherapien und biologische Therapien. Zu den biologischen Therapien zählen vor allem Vitamine, Spurenelemente sowie Phytotherapeutika.

Aus einer Auswahl von 44 Verfahren und 31 möglichen Symptomen wurden 133 symptombezogene Therapiemaßnahmen identifiziert und bewertet. Das Ergebnis der Bewertung resultiert in einer Empfehlung, die in die Empfehlungsgrade A, B und 0 eingeteilt ist.

  • Bei Empfehlungsgrad A handelt es sich um starke, nachdrückliche Empfehlungen (soll, soll nicht).
  • Empfehlungen des Empfehlungsgrades B werden mit weniger Nachdruck gegeben (sollte, sollte nicht).
  • Bei Empfehlungsgrad 0 wird es dem Behandelnden oder Anwender überlassen, das Therapieverfahren anzuwenden (kann, kann nicht).

Die Stärke der Empfehlung ergibt sich aus den jeweils zugrunde liegenden Studienergebnissen.

Zusätzlich sind den Empfehlungen je nach Art der zugrunde liegenden Studien und anderer Literatur Evidenzlevel sowie Konsensstärken zugeordnet. Letztere ergeben sich aus dem Anteil der stimmberechtigten Mitglieder der Leitlinienkommission, die der jeweiligen Empfehlung zugestimmt haben.

Für 53 symptombezogene Therapiemaßnahmen formulierten die Autoren der Leitlinie aufgrund mangelnder Daten keine Empfehlung.

Phytotherapeutika: Was kann empfohlen werden?

Für Patienten, die in der Apotheke nach CAM fragen, sind Vitamine und Spurenelemente, andere Nahrungsergänzungsmittel und Phytotherapeutika besonders interessant. Tatsächlich benennt die Leitlinie einige Phytotherapeutika und Spurenelemente, die – allerdings mit einer Empfehlungsstärke 0 – angewendet werden können (Tabelle 1).

Verfahren (EL/KS) Symptom Krebsart der Patienten Kontext/Anmerkung
Cimicifuga racemosa (2b/SK) menopausale Symptome Frauen mit Brustkrebs Endpunkt therapieassoziierte menopausale Symptome
Ginseng (2b/SK) Fatigue Krebs
Ingwer (2b/SK) Übelkeit und Erbrechen Krebs zusätzlich zur leitliniengerechten Antiemese
Mistelgesamtextrakt, subkutan (1a/K) Lebensqualität solide Tumoren Endpunkt globale Lebensqualität
Natriumselenit (2b/SK) Mukositis Frauen mit Gebärmutter- oder Gebärmutterhalskrebs unter Selendefizit, Endpunkt Mukositis des Beckenbereichs (Diarrhö)
Natriumselenit (2b/SK) Mukositis fortgeschrittene Kopf-Hals-Tumoren unter Selendefizit, Endpunkt Mukositis des Mundes
Zink Mukositis Kopf-Hals-Tumoren Endpunkt strahlenassoziierte Mukositis des Mundes
Tabelle 1: Empfehlungen zur Anwendung von pflanzlichen Zubereitungen, Vitaminen und Spurenelementen des Empfehlungsgrads 0 (Empfehlung offen, »kann«) der S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patienten (7)

Extrakte der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) wurden zur Linderung therapieassoziierter menopausaler Beschwerden bei Brustkrebspatientinnen untersucht. In jeweils einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) konnte die Einnahme von Extraktpräparaten zusätzlich zu einer Therapie mit Tamoxifen oder GnRH-Analoga Hitzewallungen und Schweißausbrüche verringern. In zwei weiteren RCT konnten entsprechende Phytopharmaka nur das Auftreten von Schweißausbrüchen senken. Allerdings entsprach die Studiendauer nicht den Vorgaben der Zulassungsbehörden und es wurden Frauen vor und nach der Menopause eingeschlossen. Die Einnahme von Tamoxifen war in den Untersuchungsgruppen ausgeglichen.

Für die Wirksamkeit von Arzneimitteln mit Extrakten von Traubensilberkerze gegen Wechseljahresbeschwerden bei gesunden Frauen ist die Evidenzlage laut Leitlinienautoren deutlich besser. Hierfür liegt eine positive Empfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA vor.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Wirksamkeit nur für zugelassene Arzneimittel gezeigt werden konnte. Zudem sollte – wegen einer nicht ganz auszuschließenden stimulierenden Wirkung von Inhaltsstoffen von Traubensilberkerze auf hormonsensitives Gewebe – die Anwendung solcher Arzneimittel bei Patientinnen mit Brustkrebs oder anderen hormonabhängigen Tumoren nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Extrakte des Ginseng (Panax Ginseng) können bei Krebspatienten mit Fatigue erwogen werden. In zwei von vier RCT wurde eine relevante Verbesserung der Symptomatik erzielt. Die Wirksamkeit scheint von der Dauer der Behandlung und der eingenommenen Dosis abhängig zu sein. Die besten Ergebnisse wurden erzielt, wenn täglich eine Dosis von mindestens 2000 mg Extrakt standardisiert auf 5 Prozent Ginsenoside über acht Wochen eingenommen wird. Außerdem scheinen Patienten unter einer aktiven Krebsbehandlung mehr zu profitieren als Personen, bei denen die Behandlung bereits abgeschlossen ist.

Auch für Präparate mit Ingwer gegen Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen sind die Ergebnisse aus klinischen Studien nicht eindeutig. Aus zwei älteren systematischen Übersichtsarbeiten lässt sich keine Wirksamkeit ableiten, allerdings scheint eine Tagesdosis von 1 g und mehr Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen sogar zu verstärken. In vier von neun neueren RCT verbesserten Ingwerpräparate die Symptomatik und in zwei weiteren konnte dies für Subgruppen gezeigt werden. In allen Studien wurden die Phytopharmaka in Kombination mit einer Standard-Antiemese eingenommen. Eine Tagesdosis von 1 g wurde nicht überschritten.

Eine Analyse von Subgruppen legt nahe, dass Frauen gegenüber Männern und Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren gegenüber Patienten mit Lungentumoren mehr profitieren. Außerdem scheint der Nutzen bei hoch emetogener Therapie höher zu sein als bei moderat emetogener Therapie. Die Autoren der Leitlinie empfehlen die Einnahme von Ingwerpräparaten in Form von Tabletten oder Pulver in einer Tageshöchstdosis von 1 g. Von Ingwertee wird wegen einer möglichen Schleimhautreizung abgeraten.

Zur subkutanen Anwendung von Mistelgesamtextrakten zur Steigerung der Lebensqualität werteten die Leitlinienautoren vier systematische Übersichtsarbeiten aus. Die zugrunde liegenden Studien sind in ihrer Qualität sehr heterogen. Dies betrifft die untersuchten Tumorentitäten und die Messinstrumente, mit denen die Lebensqualität bestimmt wurde. In der Mehrzahl der Studien hatten Mistelextrakte einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität als Ganzes oder auf Teilaspekte. In der Konsensuskonferenz wurde daraus die Empfehlung abgeleitet, dass die subkutane Anwendung von Mistelgesamtextrakten zur Steigerung der Lebensqualität bei Patienten mit soliden Tumoren erwogen werden kann.

Die Einnahme von Präparaten mit Johanniskraut gegen Symptome einer Depressivität wird in der Leitlinie erwähnt, ohne eine eigene Empfehlung auszusprechen. Zur weiteren Orientierung wird an die Nationale Versorgungsleitlinie Depression (8) verwiesen.

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