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mRNA-Vakzine

Warum der Curevac-Impfstoff floppte

Die mRNA-Impfstofftechnologie hat in der Coronapandemie ihren großen Durchbruch erlebt. Doch der Impfstoff von Curevac enttäuschte. Warum ist das so? Wissenschaftler suchen nach Erklärungen – und Lösungen.
Theo Dingermann
01.07.2021  15:30 Uhr

Mitte Juni musste die Firma Curevac melden, dass für ihren Coronaimpfstoff-Kandidaten CVnCoV in einer Zwischenauswertung der Phase-IIb/III- Studie HERALD eine Wirksamkeit von nur etwa 47 Prozent ermittelt werden konnte. Mittlerweile wurde dieses Zwischenergebnis nach der finalen Auswertung der Studie bestätigt. Über alle Altersgruppen hinweg wurde eine Impfstoffwirksamkeit von 48 Prozent gegen Covid-19 jeglichen Schweregrades ermittelt. Die detailliertere Auswertung für die Studienteilnehmer zwischen 18 und 60 Jahren ergab eine Wirksamkeit von 53 Prozent gegen eine Erkrankung jeglichen Schweregrades, eine Wirksamkeit von 77 Prozent gegen einen moderaten und schweren Krankheitsverlauf und einen vollständigen Schutz vor einem Krankenhausaufenthalt oder vor dem Tod. »Bei Teilnehmern über 60 Jahre, die 9 Prozent der untersuchten Fälle darstellen, ermöglichten die vorhandenen Daten keine statistisch eindeutige Bestimmung der Wirksamkeit«, heißt es in der Mitteilung des Unternehmens.

Die Enttäuschung ist groß, denn prinzipiell hat die mRNA-basierte Plattform längst ihren Eignungstest zur Entwicklung sehr effizienter Impfstoffe bestanden. Ursachenforschung ist in diesem Fall besonders wichtig, einmal für das Unternehmen Curevac, da nicht auszuschließen ist, dass ein systematischer Fehler übersehen wurde. Zum anderen aber auch für diejenigen, die sich auf der Welle der Erfolgsmeldungen zu mRNA-Wirkstoffen rüsten, dieses Prinzip für andere Indikationen zugänglich zu machen.

Problem Virustyp-Heterogenität

Zur Erklärung gibt es zwei Haupthypothesen. Nach der ersten könnte das mäßige Abschneiden des Impfstoffs daran liegen, dass während seiner Testung weit mehr Coronavirus-Varianten kursierten als das bei den analogen Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna der Fall war. Als diese vor circa sechs Monaten getestet wurden, kursierte praktisch nur ein Virustyp von SARS-CoV-2: die ursprüngliche »Wuhan-Variante«. Von diesem Virus wurde auch das S-Protein-Antigen abgeleitet, sodass das Immunsystem der Geimpften genau gegen das zirkulierende Virus aktiviert werden konnte.

Das war bei der klinischen Prüfung des Curevac-Impfstoffkandidaten ganz anders. Durch großflächige Sequenzierung fast aller Viren, die bei den Studienteilnehmern Covid-19 verursacht hatten, konnte gezeigt werden, dass mindestens 13 Virusvarianten beteiligt waren. Mehr als die Hälfte davon (57 Prozent) waren als besorgniserregende Varianten (VOC) klassifiziert und bei 42 Prozent handelte es sich um weniger charakterisierte Varianten. Weniger als 1 Prozent der Infektionen waren durch das »Wuhan-Virus« verursacht worden.

Ob allerdings die Virustyp-Heterogenität während der Prüfung von CVnCoV tatsächlich eine Erklärung für die mäßige Effizienz sein könnte, muss mit vielen Fragezeichen versehen werden. Denn die anderen mRNA-Impfstoffe scheinen mit den Virusvarianten recht gut klarzukommen. So berichteten beispielsweise Forscher aus Großbritannien, dass die Impfung mit der Biontech/Pfizer-Vakzine einen 92-prozentigen Schutz vor symptomatischen Fällen von Covid-19 bietet, die durch die Alpha-Variante verursacht wird. Gegen die Beta-Variante scheint der Impfstoff immer noch eine Effektivität von 83 Prozent zu haben. Eine Studie in Katar ergab ebenfalls, dass der Biontech/Pfizer-Impfstoff zu etwa 90 Prozent gegen den Alpha-Stamm und zu 75 Prozent gegen die Beta-Variante wirksam ist.

Problem unzureichende Dosierung

Experten war allerdings in der Phase-I-Studie ein anderes Warnsignal aufgefallen: Während gesunde Probanden nach der Impfung mit der Biontech/Pfizer-Vakzine im Durchschnitt circa vierfach höhere Titer an neutralisierenden IgG-Antikörpern entwickelten als Patienten, die von Covid-19 genesen waren, entsprachen die Antikörpertiter von Probanden, die mit CVnCoV geimpft worden waren, nur denen von Genesenen. Somit scheint wohl eher die zweite Hypothese zur Ursache für die weniger gute Effizienz von CVnCoV zuzutreffen: eine zu geringe Dosierung von CVnCoV. »Meiner Meinung nach ist die Dosis der Übeltäter«, sagte auch Professor Dr. Peter Kremsner, der Leiter der HERALD-Studie, dem Fachjournal »Nature«.

Dabei ist die gewählte niedrige Dosis nicht etwa das Resultat von Sparsamkeitsüberlegungen. In Phase I-Studien hatte sich gezeigt, dass eine Dosis von 12 µg mRNA gerade noch von den Probanden toleriert wurde. Bei höheren Dosierungen zeigte der Impfstoff eine kaum noch akzeptable Reaktogenität, also entsprechend starke Impfreaktionen.

RNA: ein hochpotentes Adjuvans

Wie kommt diese hohe Reaktogenität zustande? Virale RNA selbst ist ein hochpotentes Adjuvans. Der Grund sind die sogenannten Toll-like Rezeptoren (TLR), für deren Entdeckung Professor Dr. Jules Hoffmann und Professor Dr. Bruce Beutler im Jahr 2011 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhielten. Diese Entdeckung führte zu einem Paradigmenwechsel in dem Verständnis der angeborenen Immunität. Erstmals konnte erklärt werden, wie das Immunsystem von Säugern typische Muster verschiedener Krankheitserreger zu erkennen vermag. Die Rezeptoren, die zum Beispiel bei dendritischen Zellen und Makrophagen entweder auf der Zelloberfläche oder fixiert in intrazellulären Membranen vorkommen, binden an funktionale Bestandteile von Viren, Pilzen und Bakterien und lösen eine Immunreaktion aus.

So sind zum Beispiel virale RNA-Moleküle spezifische Agonisten an den endosomalen TLR 3, 7 und 8. Infiziert ein DNA-Virus einen Organismus, aktiviert die genomische DNA TLR 9. Die aktivierten Rezeptoren veranlassen dann die Zellen, verschiedene Zytokine zu produzieren und so das angeborene Immunsystem zu aktivieren. Mittlerweile weiß man, dass neben viraler RNA auch endogene mRNA, die mit apoptotischen Zellen assoziiert sind, sowie in vitro transkribierte mRNA an TLR binden und diese Rezeptoren aktivieren können. Hingegen sind RNA, die neben den klassischen Nukleobasen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Uracil (U) auch modifizierte Basen oder Nukleoside enthalten, deutlich schwächere Liganden an TLR als unmodifizierte RNA.

Im Kontext der mRNA-Impfstoffe sind diese Erkenntnisse von höchster Relevanz. Denn injiziert man eine mRNA, die für ein Antigen kodiert, in einen Muskel, riskiert man eine fulminante Reaktion des angeborenen Immunsystems. Während die Induktion einer Immunantwort Grundvoraussetzung  für einen Impfstoff ist, führt eine unkontrollierte Immunaktivierung zu allergischen Reaktionen bis hin zum anaphylaktischem Schock.

Da mRNA also zusätzlich zu ihrer spezifischen Kodierungsfunktion für Antigene auch Adjuvanzien sind, kann die Impfstoffdosis einer zu applizierenden mRNA nicht beliebig gesteigert werden. Denn ab einer gewissen Schwellendosis wird die Reaktogenität des Impfstoffs zum limitierenden Faktor.

Modifizierte RNA erhöht die Verträglichkeit

Um die Verträglichkeit von mRNA-Impfstoffen zu erhöhen, sind zwei Ansätze denkbar. Der eine wird von Biontech/Pfizer und von Moderna genutzt und besteht in der Modifikation der mRNA.

2005 konnten Dr. Katalin Kariko und Mitarbeiter der University of Pennsylvania in Philadelphia in grundlegenden Studien zeigen, dass viele in menschlicher RNA natürlicherweise vorkommenden Basenmodifikationen, zum Beispiel Pseudouridin, Thiouridin oder 5-Methylcytidin, das immunstimulierende Potenzial der RNA senken. Diese Nukleobasenmodifikationen reduzieren die TLR-3-Aktivierung und steigern zudem die Proteinproduktion aus den synthetischen mRNA. Das gilt auch für die natürlicherweise nicht vorkommende Basenmodifikation N1-Methyl-Pseudouridin (m1Ψ).

Im Falle der Covid-19-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und von Moderna wird eine mit m1Ψ modifizierte mRNA verwendet. In diesen beiden Impfstoffen sind alle U-Nukleobasen, sowohl in den untranslatierten Regionen als auch im kodierenden Bereich durch m1Ψ ausgetauscht. Die modifizierte Nukleobase m1Ψ trägt dazu bei, mRNA-Impfstoffe von dem unspezifischen Immunsystem teilweise abzuschirmen und eine unerwünschte Immunstimulation einzuschränken. Zusätzlich ist nicht ausgeschlossen, dass durch die Modifikation die mRNA auch effizienter translatiert wird.

Die Curevac-Alternative

Im Gegensatz dazu setzte Curevac auf seine »unmodifizierte mRNA-Impfstofftechnologie« RNActive®, wohl auch, weil das Unternehmen aus patentrechlichen Gründen keinen Zugang zu der m1Ψ-Technologie hatte.

Die Forscher des Unternehmens setzten also keine modifizierten Nukleotide ein, sondern veränderten die mRNA-Sequenz. Durch die Modifikation der Nukleotidsequenz der mRNA mit den natürlich vorkommenden Nukleotiden A, G, C und U ließ sich die Proteinexpressionskapazität um vier bis fünf Größenordnungen steigern, ohne die primäre Aminosäuresequenz des S-Proteins zu beeinflussen. Zudem verwendete man ausgewählte untranslatierte Regionen (UTR) am 5’- und 3’-Ende der mRNA, um die Translation zu verbessern und eine ausgewogene Typ-I-IFN-Aktivität sicherzustellen.

Auffällig ist, dass die mRNA, die in dem Curevac-Impfstoff eingesetzt wird, deutlich mehr G- und C-Nukleotide enthält als der korrespondierende virale Genomabschnitt. Während die originale SARS-CoV-2-RNA einen GC-Gehalt von 37 Prozent aufweist, enthält die Curevac-mRNA 63 Prozent GC-Nukleotide.

Von den 1274 Codons, die natürlicherweise die Sequenz des S-Proteins von SARS-CoV-2 definieren, sind in der mRNA des Curevac-Impfstoffs nur 257 hinsichtlich ihrer Sequenz und Position mit der viralen RNA identisch. Diese Sequenzmodifikationen können die Stabilität und die Translationseffizienz steigern. Ob sie auch die Aktivierung des unspezifischen Immunsystem abzuschwächen vermögen, wäre wohl gewollt, ist aber nicht bekannt.

Die zunächst plausibel erscheinende Strategie, sich ausschließlich auf Sequenz- und nicht auf Basenmodifikationen zu verlassen, könnte sich als eine Fehlentscheidung erwiesen haben, wenn sich bestätigen sollte, dass die Limitierung der Dosis die Ursache für die mäßige Impfstoffeffektivität war. Ein »weiter so« erscheint zumindest nicht ratsam.

Curevac arbeitet an zweiter Generation

Konsequenterweise spricht Curevac bei der Weiterentwicklung der Impfstoffkandidaten von »Second-Generation Vaccines«. Dabei hält das Unternehmen jedoch an seiner mRNA-Impfstofftechnologie mit unmodifizierten Basen fest. Optimiert werden allerdings die 5’-UTR und der Poly-A-Schwanz als 3’-Ende der mRNA. Die Ratio hinter dieser Strategie besteht darin, dass durch eine stabilere und effizientere Proteinsynthese bei gleichbleibender Impfstoffkonzentration mehr Antigen gebildet und damit das Dosierungsproblem indirekt kompensiert werden könnte.

Erste tierexperimentelle Daten des Zweitgenerations-Impfstoffkandidaten CV2CoV zeigen, dass durch das neue mRNA-Konstrukt eine hohe Menge an virusneutralisierenden Antikörpern mit beschleunigter Kinetik induziert wird. Sechs Wochen nach der zweiten Impfdosis lagen die neutralisierenden Titer bei CV2CoV zehnmal höher als bei  CVnCoV. Die robusten Antikörperantworten spiegeln sich zudem in einer signifikanten Kreuzneutralisation der zirkulierenden Coronavirus-VOC Alpha und Beta.

Zusammengenommen scheinen diese Ergebnisse darauf hinzudeuten, dass mit CV2CoV ein deutlich besserer mRNA-Impfstoff in der Entwicklung ist. Noch befindet sich die zweite Generation in der Präklinik, mit klinischen Untersuchungen will das Unternehmen in den kommenden vier bis fünf Monaten beginnen, hieß es in einer Pressekonferenz am 17. Juni. Wie es mit der ersten Generation weitergeht, ist noch unklar – noch befindet sich der Kandidat in einem Rolling-Review der Europäischen Arzneimittelagentur.

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