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Aducanumab

Umstrittene US-Zulassung für ersten Antikörper bei Alzheimer

Wechselhafte Geschichte

Erste Daten aus einer Phase-I-Studie wurden 2015 präsentiert und weckten zunächst große Hoffnungen. Biogen und Eisai durften direkt in Phase III übergehen. Die entsprechenden Studien EMERGE und ENGAGE mit Patienten im frühen Alzheimer-Stadium wurden aber im März 2019 vorerst abgebrochen, da die Zwischenergebnisse daraufhin deuteten, dass der Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit nicht aufgehalten werden konnte. Neue Analysen, unter anderem mit höherer Dosierung, folgten. Während Anfang November 2020 interne FDA-Experten von »robusten und außerordentlich überzeugenden Daten« in einem geleakten Dokument sprachen, sah ein externes Expertengremium der FDA kurze Zeit später keinen Beleg für die Wirksamkeit – und sprachen sich gegen die Zulassung aus.

Eine genauere Begründung, warum die Behörde den Antikörper nun doch zugelassen hat, lieferte sie gestern nicht. Doch fordert sie eine neue randomisierte, kontrollierte Studie, um den klinischen Benefit des Alzheimer-Medikaments zu zeigen. Sollten die Hersteller diesen darin nicht belegen können, müssen sie Aducanumab wieder vom Markt nehmen. Zum Zeithorizont macht die FDAin ihrer Pressemitteilung keine Angaben. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA startete Ende Oktober 2020 ihre Begutachtung. Sie ist in der Regel strenger als die FDA, womit eine Zulassung fraglich bleibt.

Neuropsychiatrische Nebenwirkungen

Neben der angezweifelten Wirksamkeit gibt es auch gleich zwei Sicherheitswarnungen: So enthalten die Verschreibungsinformationen für Aduhelm einen Warnhinweis für Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien (ARIA), die sich meist als vorübergehende Schwellungen in Bereichen des Gehirns zeigen. Sie würden sich in der Regel mit der Zeit zurückbilden und keine Symptome verursachen, obwohl manche Menschen Symptome wie Kopfschmerzen, Verwirrung, Schwindel, Sehstörungen oder Übelkeit haben können, schreibt die FDA. Sie traten in den Zulassungsstudien bei 24 bis 41 Prozent der Behandelten auf (versus 5 bis 10 Prozent unter Placebo).

Ein weiterer Warnhinweis für Aduhelm betrifft das Risiko von Überempfindlichkeitsreaktionen, einschließlich Angioödemen und Urtikaria. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören besagte ARIA, Kopfschmerzen, Stürze, Durchfall sowie Verwirrung, Delir, veränderter Mentalstatus und Desorientierung.

Aducanumab wird alle vier Wochen als einstündige intravenöse Infusion gegeben. Die nun empfohlene Dosierung beträgt 10 mg pro Kilogramm Körpergewicht und soll zu Therapiebeginn auftitriert werden. Das Präparat kommt als Konzentrat zur Verdünnung in zwei Größen auf den Markt.

Sollten die Hersteller die Zweifel aus dem Weg räumen können und sich das Nebenwirkungsprofil als überschaubar erweisen, dürfte Aducanumab jedoch zum nächsten großen Blockbuster werden angesichts des hohen und bislang ungedeckten Bedarfs an wirksamen Alzheimer-Medikamenten bei immer weiter steigenden Fallzahlen. Laut US-Nachrichtenportal Stat-News sollen die Jahrestherapiekosten bei 56.000 US-Dollar (rund 46.000 Euro) liegen.

Die FDA geht von derzeit 6,2 Millionen betroffenen Amerikanern aus. In Europa wird die Zahl der Alzheimer-Patienten aktuell auf rund 10 Millionen geschätzt. Bis 2050 könnten sich die Zahlen verdoppeln. In Deutschland sind schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen von Demenz betroffen, davon der Großteil mit Alzheimer.

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