Therapie off Label, aber hilfreich |
Grundsätzlich kann man bei allen demenziellen Erkrankungen versuchen, Schlafstörungen mit Melatonin-Präparaten zu lindern, auch wenn hierfür keine konsistenten Empfehlungen bestehen. Bei Z-Substanzen sind Sedierung und Abhängigkeitspotenzial zu beachten. Günstiger erscheint das S-Enantiomer Eszopiclon mit geringerem Überhang am Folgetag; mög¬licherweise sind Gewöhnung oder Abhängigkeitspotenzial geringer ausgeprägt.
Der duale Orexin-Rezeptorantagonist (DORA) Daridorexant ist zugelassen für chronische Insomnie, die länger als drei Monate andauert. Potenzielle unerwünschte Wirkungen wie Schlaflähmung und hypnagoge/hypnopompe Halluzinationen treten selten auf, sind aber zu beachten.
Eine Tagespflege oder individuelle Betreuung im Alltag bringt Abwechslung für Demenzkranke und kann Angehörige sehr entlasten. / Foto: Getty Images/Oliver Rossi
Sedierende Antidepressiva wie Mirtazapin, Trazodon und Agomelatin sind als schlafanstoßende Substanzen im Einsatz (bei fehlender Depression off Label, Aufklärung!). Unter Mirtazapin treten gehäuft Restless-Legs-Symptome auf. Trizyklika sind wegen anticholinerger Wirkungen gerade bei älteren Erkrankten nicht geeignet.
Pflanzliche Wirkstoffe können sich ebenfalls positiv auf Schlaf (zum Beispiel ein methanolischer Auszug aus Baldrian und Hopfen) oder Angst (hoch konzentriertes Lavendelöl) auswirken. Vor Johanniskraut ist bei einer Kombinationstherapie explizit zu warnen; aufgrund seiner starken Induktionseffekte auf Stoffwechselenzyme kann der Abbau der Komedikation deutlich beschleunigt und damit die Wirkung einer Komedikation erheblich reduziert werden (bis zum Wirkverlust).
Generell gilt in der medikamentösen Behandlung älterer Menschen »start low, go slow«. Allerdings ist bei Cholinesterase-Hemmern eine Unterdosierung zu vermeiden (»but go«) (6). Bei vielen Medikationen sind geringere Dosierungen erforderlich wegen der verlangsamten Metabolisierung und Elimination im Alter. Ältere Patienten reagieren empfindlicher auf ZNS-gängige Substanzen, zum Beispiel auf anticholinerge Wirkungen mit Delirgefahr. Im Idealfall sollte Polypharmazie reduziert werden (Deprescribing).
Demenzielle Erkrankungen mit neurodegenerativer Genese sind bisher nicht heilbar. Ein therapeutischer Nihilismus ist jedoch nicht angebracht, da eine symptomatische psychopharmakologische Medikation oft die Lebensqualität der Betroffenen und damit auch ihrer Angehörigen erheblich verbessern kann. Die Medikamente sind formal (meist) nicht zugelassen, sollten jedoch auch bei Lewy-Körperchen-Demenz und bei Erkrankungen aus dem Spektrum der frontotemporalen Lobärdegenerationen unbedingt angeboten werden.
Nicht medikamentöse Maßnahmen sind bei Demenzerkrankten extrem wichtig (4). Betroffenen und Angehörigen sollten zudem die umfassenden und detaillierten Informationsblätter der Deutschen Alzheimer Gesellschaft empfohlen werden.
Monika Singer schloss das Medizinstudium 1989 mit der Promotion ab. Sie ist Fachärztin für Neurologie sowie Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach stationärer Tätigkeit in der Neurologischen Klinik Bad Aibling, dem Behandlungszentrum Vogtareuth sowie dem Alzheimer-Therapiezentrum Bad Aibling ist Dr. Singer seit 2004 in der kbo Lech-Mangfall-Klinik Agatharied tätig, seit 2019 als Oberärztin der Psychiatrischen Institutsambulanz. Als Arzneimittelbeauftragte der Klinik leitet sie das interdisziplinäre Polypharmazie-Board. Sie hält regelmäßig Vorträge zum Thema Arzneimittelinteraktionen und ist Mitherausgeberin der Interaktionsdatenbank »psiac«.