Therapie off Label, aber hilfreich |
Wenn sich Menschen in ihrem Wesen oder ihren Alltagsfähigkeiten verändern, können neurodegenerative Erkrankungen zugrunde liegen. Dies löst bei den Betroffenen und ihren Angehörigen oft Verwirrung und Angst aus. / Foto: Getty Images/SolStock
Demenzielle Erkrankungen belasten die Betroffenen und deren An- und Zugehörige oft sehr. Heilbar sind die neurodegenerativen Erkrankungen bisher nicht. Auch neuere Behandlungsansätze wie Amyloid-Antikörper finden vorerst keinen breiten Einsatz bei fortgeschrittener Alzheimer-Krankheit und wirken auch nicht kurativ.
Die Behandlung mit einem Antidementivum kann – abhängig von der Krankheitsentität – sowohl den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen als auch die Symptomatik abmildern. Sie sollte den Patienten daher nicht vorenthalten werden, wie dies leider häufig der Fall ist (2).
Für die Demenz bei Alzheimer-Krankheit sind abhängig vom Krankheitsstadium die drei Cholinesterase-Hemmer Rivastigmin, Galantamin und Donepezil, der NMDA-Rezeptor-Ant-agonist Memantin sowie Ginkgo-Präparate zugelassen.
Neben der Alzheimer-Krankheit gibt es weitere neurodegenerative Erkrankungen mit unterschiedlichen klinischen Symptomkomplexen, wie die Demenz mit Lewy-Körperchen und die frontotemporalen Lobärdegenerationen (FTLD) (Kasten). Während die Demenz mit Lewy-Körperchen typischerweise um das siebte Lebensjahrzehnt herum auftritt, werden frontotemporale Lobärdegenerationen häufig bereits im ¬mittleren Lebensalter (50. bis 60. Lebensjahr) symptomatisch, wenn Menschen noch im Berufsleben stehen. Auch junge Erwachsene und ältere Menschen können betroffen sein.
Demenzsymtome können viele Ursachen haben. Neben neurodegenerativen Veränderungen kommen viele andere Ursachen infrage.
Neurodegenerative Erkrankungen
Andere Erkrankungen
Für demenzielle Syndrome jenseits der Demenz bei Alzheimer-Krankheit sind Antidementiva formal meist nicht zugelassen, jedoch abhängig von der Erkrankung sehr wohl von möglichem Nutzen. Neben Behandlungsempfehlungen der Leitlinien werden hier persönliche klinische Erfahrungen der Autorin und anderer erfahrener Behandelnder dargestellt.
Nach mehreren Jahren der Erkrankung ähneln sich demenzielle Symptome unterschiedlicher Ätiologie zunehmend, was eine diagnostische Differenzierung manchmal erschwert. Eigen- und Fremdanamnese bezüglich der Symptomatik zu Beginn der Erkrankung sind wichtig, um seltenere Demenzformen von der Alzheimer-Krankheit und symptomatischen Formen abgrenzen zu können.
In Einzelfällen sind Demenzen potenziell ursächlich behandelbar, zum Beispiel durch Anlage eines Shunts bei einem Normaldruckhydrozephalus. Bei anderen Formen sind psychopathologische Symptome analog zu den folgenden Ausführungen symptomatisch behandelbar.
Typisch für die Demenz mit Lewy-Körperchen (LKD oder auch Lewy-Body-Demenz, LBD) sind früh im Krankheitsverlauf auftretende optische Halluzinationen, Fluktuationen von Kognition und Vigilanz sowie eine motorische Parkinson-Symptomatik mit häufigen Stürzen.
Die visuellen szenischen Halluzinationen nimmt der Patient anfangs partiell noch als nicht real wahr oder ist zumindest unsicher. Eine »sanfte Realitätsorientierung« durch das Gegenüber kann gelingen. Akustische Halluzinationen wie Stimmenhören treten üblicherweise nicht auf, was auch zur Abgrenzung gegenüber schizophrenen Psychosen dient.
Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz stürzen häufig. / Foto: Adobe Stock/Racle Fotodesign
Typisch bei LBD ist die Wahrnehmung lebhaft ausgestalteter Szenen mit Personen oder auch Tieren, die zum Teil ungewöhnliches Verhalten zeigen, sich durch den Raum bewegen oder »aus der Wand« zu kommen scheinen. Dies führt häufig zu Beunruhigung oder Angst bei den Betroffenen, kann aber auch als »nur störend« oder irritierend empfunden werden. Bei Nachfrage des Betroffenen sollte man als Gegenüber wahrheitsgemäß rückmelden, dass man die Wesen oder Dinge zwar selbst nicht sieht, aber weiß, dass der Betroffene sie sieht.
Bei kognitiven Tests, zum Beispiel im Mini-Mental-Status-Test (MMST), zeigen sich typische visuokonstruktive Defizite: Der Patient kann die ineinandergreifenden Fünfecke nicht mehr richtig abzeichnen, da die räumliche Wahrnehmung beeinträchtigt ist.
Kognitive Beeinträchtigungen der Patienten fluktuieren oft sehr stark, sowohl im Tagesverlauf als auch über längere Zeiträume hinweg. Auch Störungen der Wachheit/Vigilanz können zeitweilig auftreten und so dramatisch anmuten, dass ein akuter Schlaganfall vermutet wird. Die Störungen bessern sich jedoch rasch spontan (innerhalb von Minuten oder Stunden) und es treten keine weiteren akuten neurologischen Symptome wie Lähmungen auf.
Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz leiden oft unter lebhaften visuellen Halluzinationen. Cholinesterase-Hemmer können diese wirksam lindern. / Foto: Getty Images/JulPo
Typisch für die LBD ist eine hypokinetisch-rigide Parkinson-Symptomatik mit Stürzen bereits früh im Krankheitsverlauf. Im Gegensatz zum Morbus Parkinson ist ein Tremor selten.
Bei der LBD liegen kognitive Beeinträchtigungen typischerweise früher vor als beim Morbus Parkinson. Die Demenzsymptomatik tritt vor oder innerhalb eines Jahres nach Auftreten motorischer Symptome auf; vergeht mehr als ein Jahr nach der Entwicklung motorischer Symptome, ist häufig eine Demenz bei Morbus Parkinson zu diagnostizieren.
Nachts leiden die Patienten nicht selten unter Albträumen und einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung; dies bedeutet, dass sie ihre Träume mit Bewegungen ausleben, was für den Bettpartner schwierig werden kann.
Viele Betroffene leiden unter depressiver Verstimmung. Vegetative Störungen wie orthostatische Kreislaufdysregulation und Obstipation sind häufig.
Patienten mit LBD verlieren zunehmend ihre Alltagskompetenzen, können aber noch lange sprechen. Allerdings kann die Artikulationsfähigkeit ähnlich wie beim Morbus Parkinson beeinträchtigt sein: Die Patienten sprechen leise, undeutlich und schnell.
Visuelle Halluzinationen sind durch den cholinergen Mangel in bestimmten Gehirnarealen, hier im optischen Assoziationskortex bedingt. Dies ist hoch relevant für die medikamentöse Behandlung: Es besteht ein cholinerges Defizit, kein Dopamin-Überschuss.
Die besten Ergebnisse gibt es mit den cholinerg wirksamen Acetylcholinesterase-Hemmern Rivastigmin und Donepezil (Tabelle). Für Galantamin ist die Wirksamkeit nicht belegt, aber analog anzunehmen. Dabei beginnt man immer mit der niedrigsten Dosis, kontrolliert die Verträglichkeit und steigert nach vorgegebenen Intervallen, meist alle vier Wochen. Die Steigerung darf nicht übersehen werden, da die niedrigen Dosierungen geringere Wirksamkeit zur Folge haben:
Früh im Krankheitsverlauf eingesetzt, verschwinden Halluzinationen oft fast vollständig. Die Medikation sollte beim Fortschreiten der Erkrankung nicht abgesetzt werden, sofern es nicht gravierende Gründe hierfür gibt (Nutzen-Risiko-Abwägung). Ansonsten ist eine irreversible Verschlechterung zu befürchten.
Die Abgrenzung der Lewy-Körperchen-Demenz zur Demenz bei Morbus Parkinson ist manchmal schwierig, aber Cholinesterase-Hemmer sind in beiden Fällen die adäquate Therapie.
Memantin spielt bei der LBD klinisch eine untergeordnete Rolle. Es kann sich günstig auf Verhaltenssymptome auswirken, jedoch das psychotische Erleben potenziell verstärken.
Zentral anticholinerge Arzneimittel sollten aufgrund des cholinergen Defizits vermieden werden; dies sind zum Beispiel Urologika wie Oxybutynin oder Tolterodin, trizyklische Antidepressiva und niederpotente Antipsychotika.
Wirkstoffgruppe | Offizielle Zulassung (symptomatische Behandlung) | Sinnvolle Indikationen |
---|---|---|
Cholinesterase-Hemmer: Donepezil oral, Galantamin oral, Rivastigmin oral und TTS | leichte bis mittelschwere Demenz bei Alzheimer-Krankheit | Demenz mit Lewy-KörperchenDemenz bei Morbus ParkinsonDemenz bei Alzheimer-Krankheit in jedem Stadiumgemischte Demenzprimär progressive Aphasie: nichtflüssige, agrammatische Form sowie logopenische Variante |
Rivastigmin oral | leichte bis mittelschwere Demenz bei Morbus Parkinson | Demenz mit Lewy-KörperchenDemenz bei Morbus ParkinsonDemenz bei Alzheimer-Krankheit in jedem Stadiumgemischte Demenzprimär progressive Aphasie: nichtflüssige, agrammatische Form sowie logopenische Variante |
Memantin | moderate bis schwere Demenz bei Alzheimer-Krankheit | Demenz bei Alzheimer-Krankheit(frontotemporale Lobärdegenerationen)(Demenz mit Lewy-Körperchen) |
Der fehlende Dopamin-Überschuss (bei cholinergem Defizit) erklärt auch die Antipsychotika-Sensitivität der LBD-Patienten; sie haben – analog zu Parkinson-Patienten – ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Wirkungen wie extrapyramidal-motorische Störungen. Zudem ist paradoxerweise eine Zunahme der Halluzinationen oder eine verlängerte Sedierung möglich und die motorische Parkinson-Symptomatik kann massiv verstärkt werden. Daneben bestehen Hinweise auf erhöhte Morbidität und Mortalität bei Demenzerkrankten. Gerade zu Beginn der Erkrankung ist eine Behandlung mit Antipsychotika daher nicht zu empfehlen (8).
Bei zunehmender Erkrankungsdauer müssen Antipsychotika eventuell doch erwogen werden. Wie bei der Parkinson-Krankheit kommen ausschließlich die Substanzen Quetiapin und Clozapin infrage (off Label) (8).
Clozapin darf nur nach rechtswirksamer Aufklärung mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen eingesetzt werden. So muss 18 Wochen lang einmal wöchentlich das Differenzialblutbild kontrolliert werden, danach im vierwöchentlichen Rhythmus (wegen Agranulozytose-Gefahr). Meist reichen geringe Tagesdosen aus, zum Beispiel Clozapin 6,25 bis 25 mg oder Quetiapin 25 mg. In höherer Dosierung können deren anticholinerge Effekte problematisch werden. Auf Somnolenz, orthostatische Hypotonie, Mundtrockenheit, Obstipation bis zum paralytischen Ileus, Harnverhalt, Tachykardie und potenzielle Blutbildstörungen ist zu achten.
Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz sprechen auf dopaminerge Parkinson-Medikamente oft nur mäßig an; diese können die psychotische Symptomatik sogar verstärken. L-Dopa sollte allenfalls niedrig dosiert und es sollten keine Dopaminagonisten eingesetzt werden.
Eine Depression kann mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) oder dualen Substanzen (SSNRI) wie (Des-)Venlafaxin, Duloxetin oder Milnacipran behandelt werden. Gegebenenfalls ist die sedierende Wirkung von Mirtazapin oder Trazodon und die schlafregulierende Wirkung von Agomelatin nutzbar.
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Alle Substanzen haben keine offizielle Zulassung für die Behandlung von Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz. Über den Off-Label-Use ist immer aufzuklären. Dieser sollte aber nicht vom Einsatz abhalten.
Cholinesterase-Hemmer sind die entscheidende Medikation für Patienten mit Lewy-Körperchen-Demenz! Sie sollten in jedem Krankheitsstadium eingesetzt werden. Die Kontraindikationen Bradykardie, floride gastrointestinale Ulzera, Epilepsie und schweres Asthma sind dabei unbedingt zu beachten. Diese Empfehlungen entsprechen der klinischen Erfahrung der Autorin und sind in den Behandlungsleitlinien mit Hinweisen auf die Wirksamkeit dokumentiert.
Beim Einsatz von Donepezil ist zu beachten: Entgegen den Empfehlungen der Fachinformation sollte die Gabe morgens erfolgen. Hierüber herrscht Einigkeit bei klinisch erfahrenen Behandelnden. Eine abendliche Gabe kann aufgrund der ungünstigen Beeinflussung der Schlafphysiologie mit vermehrten Albträumen und Schlafstörungen
Unerwünschte Wirkungen unter Acetylcholinesterase-Hemmern entstehen vor allem durch cholinerge Stimulation. Dazu gehören Bradykardie, erhöhtes Anfallsrisiko, Gewichtsverlust, Inkontinenz, Schwindel, Kopfschmerzen und bei oraler Verabreichung gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Diarrhö. Rivastigmin in Pflasterform ist gastrointestinal meist völlig unproblematisch; bei täglichem Wechsel der Applikationsstelle ist auch die Hautverträglichkeit meist gut.
Rivastigmin wird rein renal eliminiert. Der Metabolismus wird nicht beeinflusst durch Hemm- oder Induktionseffekte von Komedikationen auf CYP-Enzyme oder durch pharmakogenetische Polymorphismen des CYP-Systems, die nicht selten sind. Bei ein-geschränkter Nierenfunktion ist laut Fachinformation keine Dosisanpassung erforderlich; bei hochgradiger Nierenfunktionsstörung sollte vermehrt auf unerwünschte Wirkungen geachtet werden.
Die transdermale Applikation ist, wenn irgend möglich, gegenüber der oralen Gabe zu bevorzugen, da die flache Kinetik die Verträglichkeit erheblich verbessert. Nur bei allergischen Hautreaktionen muss eine Umstellung erfolgen; dabei ist auf vermehrte unerwünschte, vor allem gastrointestinale Wirkungen zu achten.
Donepezil führt klinisch etwas häufiger zu Kopfschmerzen und Wadenkrämpfen. Donepezil und Galantamin weisen (im Gegensatz zu Rivastigmin) ein etwas erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer QTc-Zeit-Verlängerung mit nachfolgender Torsade-de-pointes-Tachykardie auf, sodass Vorsicht bei kardial Erkrankten und Kombination mit anderen QTc-Zeit-verlängernden Substanzen geboten ist.
Da beide Substanzen hepatisch metabolisiert werden, ist bei Komedikation von CYP2D6- und CYP3A4-Inhibitoren mit erhöhten Spiegeln von Donepezil und Galantamin zu rechnen; dies gilt ebenso für pharmakogenetische Poor-metabolizer des Enzyms CYP2D6.
Der Überbegriff »frontotemporale Lobärdegeneration« (FTLD) bezeichnet eine Gruppe von Erkrankungen, die mit Veränderungen der Persönlichkeit, des Sozialverhaltens und der sprachlichen Kompetenzen eines Menschen einhergehen. Ätiologisch findet ein ursächlich nicht genau geklärter Untergang der Nervenzellen im Frontalhirn und im Schläfenlappen (temporal) statt.
Man unterscheidet dabei die Verhaltensvariante (behaviorale Form) der frontotemporalen Demenz (bvFTD, entsprechend dem klassischen Morbus Pick) von den sprachbetonten Unterformen der primär progressiven Aphasie (PPA) mit der nichtflüssigen agrammatischen Variante, der semantischen sowie der logopenischen Variante.
Im Anfangsstadium der behavioralen FTD-Variante wird häufig nicht erkannt, dass es sich um eine neurodegenerative demenzielle Erkrankung handelt. Die Diagnosestellung dauert oft Jahre.
Die Patienten entwickeln schleichend zunehmend Wesensänderungen mit Verhaltensauffälligkeiten. Typisch ist eine Vergröberung des Sozialverhaltens mit Distanzminderung. Es kann auch zur Hypersexualität, Affektverflachung, Antriebsminderung oder -steigerung, eventuell Impulskontrollstörungen sowie Verlust von Sorgfalt und Empathie kommen (Kasten).
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Menschen, die an der behavioralen Form der frontotemporalen Demenz (bvFTD) erkranken, stehen oft noch im Berufsleben und sind sozial aktiv. Durch die Missachtung sozialer Regeln und Signale können sich massive Probleme einstellen.
Ein Erkrankter kann beispielsweise auffällig werden, da er sich distanzlos und anzüglich verhält, unpassende und geschmacklos erscheinende Witze macht und sich nicht mehr angemessen körperlich pflegt. Auch das Unrechtsbewusstsein kann verloren gehen: Der Erkrankte nimmt plötzlich anderen Menschen Dinge weg, die für ihn gerade von Interesse sind. Dies geschieht nicht mit Plan und unter Verheimlichung, sondern aufgrund des fehlenden Bewusstseins für die Inadäquatheit spontan und ungebremst.
Familienangehörige leiden zunehmend unter der Entwicklung. Die Betroffenen selbst haben typischerweise kein Krankheitsgefühl. Die Alltagskompetenz zur Selbstversorgung ist oft lange erhalten, jedoch kann auch das Hygieneempfinden nachlassen.
Im weiteren Krankheitsverlauf ist eine Enthemmung für die Umwelt sehr belastend. Häufig ändert sich das Essverhalten. Erkrankte haben oft kein Sättigungsgefühl mehr und zeigen keine Regulation; sie stecken teilweise auch nicht Essbares unkontrolliert in den Mund. Perseverationen und stereotype Verhaltensweisen sind häufig.
Auch das Sprachverhalten ändert sich: Erkrankte sprechen immer weniger im Sinne eines Mutismus oder entwickeln Rededrang mit Stereotypien und Echolalie. Eine normale Unterhaltung ist nicht mehr möglich. Auch neurologische Symptome können auftreten.
Die Verhaltensvariante der frontotemporalen Demenz ist ursächlich nicht behandelbar.
Der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin kann neuroprotektiv eingesetzt werden und ist vor allem bei starker Antriebsminderung vereinzelt nützlich, wird jedoch nicht generell empfohlen. Er kann, insbesondere bei Niereninsuffizienz, durch Kumulation zu Unruhe führen und ist potenziell prokonvulsiv.
Cholinesterasehemmer haben keinen günstigen Effekt und können Unruhe oder Gereiztheit sogar verschlechtern. Symptomatisch werden je nach Symptomatik beispielsweise Antidepressiva wie SSRI eingesetzt, die bei Antriebsmangel oder Gereiztheit zur Stabilisierung beitragen können. Abendlich eingesetztes Trazodon kann sich auf Irritabilität, Agitiertheit, Depressivität und Essstörungen positiv auswirken (5).
Bei starker Unruhe oder Fremdaggressivität kommen beispielsweise niederpotente Antipsychotika wie Melperon oder Pipamperon oder hochpotent Risperidon oder Quetiapin zum Einsatz (meist im Off-Label-Use).
Da bei Betroffenen typischerweise kein subjektives Krankheitsgefühl besteht, ist ein nicht medikamentöser Zugang oft schwierig. Körperliche Bewegung in Form von leichten sportlichen Aktivitäten oder Spaziergängen kann zu einer gewissen Entspannung bei Unruhe beitragen. Bei Erkrankten mit Antriebsmangel kann über diese Aktivitäten dem Rückzug entgegengewirkt werden. Unterstützung und Entlastung der Angehörigen sind wichtig.
Bei den sprachbetonten FTD-Varianten sind drei Formen zu unterscheiden:
Patienten mit nichtflüssiger agrammatischer Aphasie haben ausgeprägte Wortfindungsstörungen mit hoher Anstrengung, sich adäquat mitzuteilen, sowie grammatikalischen und lexikalischen Fehlern. Dies ist ein progredienter Prozess. Merkfähigkeit und Orientierung sowie Alltagskompetenz bleiben lange erhalten und sind erst später im Krankheitsverlauf betroffen. Wenn die Patienten ihre Krankheit subjektiv ausgeprägt wahrnehmen, entwickeln sie häufig eine Depression.
Bei der logopenischen PPA stehen sprachliche Defizite mit Kommunikationsstörung im Vordergrund (gestörter lexikalischer Zugriff, Störung der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses). Jedoch sind auch das nonverbale Gedächtnis und andere kognitive Funktionen beeinträchtigt. Viele Patienten sind leicht irritierbar und ängstlich. Meist besteht eine Alzheimer-Pathologie.
Patienten mit PPA (nichtflüssiger agrammatischer Aphasie und vor allem auch mit der logopenischen Variante) profitieren von Acetylcholinesterase-Hemmern in Bezug auf die expressive Sprachstörung manchmal merklich. Die Sprachflüssigkeit nimmt potenziell wieder etwas zu. Diese Wirkstoffe sollten daher eingesetzt werden (off Label) (3). Memantin kann versucht werden (1), insbesondere bei geringer Sprachproduktion.
Wenn sich Demenzpatienten ihrer Defizite und Veränderungen bewusst sind, sind sie oft -irritiert und depressiv. / Foto: Adobe Stock/Nenad
Bei ausgeprägter depressiver Symptomatik sollten Antidepressiva erwogen werden. Außer trizyklischen Antidepressiva (wegen anticholinerger Wirkungen) sind alle Substanzen grundsätzlich geeignet; die individuelle Auswahl muss nach Begleiterkrankungen und Komedikationen getroffen werden.
Die semantische PPA ist gekennzeichnet durch einen schleichenden Verlust des Sprachverständnisses, wobei zusätzlich eine Veränderung von Wesen und Verhalten eintreten kann. Patienten sprechen meist sehr flüssig, aber der Text wird zunehmend inhaltsärmer und für das Gegenüber schwer verständlich. Auf mangelndes Verstandenwerden reagieren Betroffene potenziell gereizt. Sie verlieren nicht nur das Wissen um die Bedeutung von Worten und Texten, sondern können auch vertraute Gesichter nicht mehr erkennen.
Behavioral: auf das Verhalten oder Handeln einer Person bezogen
Echolalie: automatisches zwanghaftes Nachahmen und Wiederholen von Gehörtem eines Gegenübers
Fluktuation: Schwankung/Veränderung eines Zustands
Halluzination: Trugwahrnehmung oder Sinnestäuschung mit subjektiv als real empfundener Wahrnehmung; kann alle Sinnesqualitäten betreffen: visuell (Sehen), akustisch (Hören), olfaktorisch (Riechen), gustatorisch (Schmecken), coenaesthetisch (Körperwahrnehmung). Halluzinationen können auch beim Einschlafen (hypnagog) oder Aufwachen (hypnopomp) auftreten.
Mini-Mental-Status-Test: Kurztest für die Erfassung kognitiver Störungen mit Untersuchung von Orientierung, Merkfähigkeit, Gedächtnis und Konzentration via Rechnen und Buchstabieren, Handeln und Visuokonstruktion; maximal erreichbar sind 30 Punkte.
Mutismus: Kommunikationsstörung, bei der keine Defekte der Sprechorgane und des Gehörs vorliegen, aber die Betroffenen nicht sprechen
Perseveration: formale Denkstörung mit Haftenbleiben und Wiederholen von zuvor gebrauchten Gedanken, Worten und Redewendungen, die im aktuellen Kontext nicht mehr sinnvoll sind
Anfangs können sie sich gut an Ereignisse der jüngsten Vergangenheit erinnern. Im Verlauf treten Verhaltensauffälligkeiten mit Vergröberung des Sozialverhaltens, nachlassendem Mitgefühl und Einengung des Verhaltensrepertoires mit Ich-Bezogenheit auf. Das subjektive Krankheitsempfinden schwindet zunehmend.
Zur medikamentösen Behandlung der semantischen PPA kann Memantin potenziell eingesetzt werden (1). Acetylcholinesterase-Hemmer sind analog zur bvFTD meist nicht nützlich oder sogar ungünstig. Bei Gereiztheit können serotonerge Antidepressiva zum Einsatz kommen (SSRI, duale Substanzen, Trazodon) unter Beachtung möglicher Wechselwirkungen mit der Komedikation (7).
Unruhe und Aggressivität können durch Risperidon oder niederpotente Antipsychotika gelindert werden. Dabei ist Pipamperon bezüglich Interaktionen unproblematisch, jedoch potenziell leicht prokonvulsiv; gastrointestinale Nebenwirkungen sind möglich. Melperon wirkt in Tagesdosen ab etwa 50 mg als CYP2D6-Inhibitor, ist jedoch als einziges Antipsychotikum nicht prokonvulsiv. Sedierung, Schwindel, Zunahme kognitiver Beeinträchtigung und Sturzgefahr können unter diesen Substanzen zunehmen.
Dies gilt auch für den symptomatischen Einsatz von Benzodiazepinen, die allenfalls nur kurzfristig gegeben werden sollten. Dabei sind Präparate mit kürzerer Halbwertszeit aufgrund der Kumulationsgefahr zu bevorzugen (Lorazepam oder Oxazepam, kein Diazepam).
Nicht medikamentös ist bei den sprachproduktionsgestörten Formen im Einzelfall eine logopädische Behandlung sinnvoll, wenn sie die Erkrankten nicht zu sehr »stresst«. Erkrankte mit semantischer Demenz profitieren hiervon nicht; bei dieser Form ist durch das reduzierte subjektive Krankheitsempfinden kein Zugang diesbezüglich gegeben.
Grundsätzlich kann man bei allen demenziellen Erkrankungen versuchen, Schlafstörungen mit Melatonin-Präparaten zu lindern, auch wenn hierfür keine konsistenten Empfehlungen bestehen. Bei Z-Substanzen sind Sedierung und Abhängigkeitspotenzial zu beachten. Günstiger erscheint das S-Enantiomer Eszopiclon mit geringerem Überhang am Folgetag; mög¬licherweise sind Gewöhnung oder Abhängigkeitspotenzial geringer ausgeprägt.
Der duale Orexin-Rezeptorantagonist (DORA) Daridorexant ist zugelassen für chronische Insomnie, die länger als drei Monate andauert. Potenzielle unerwünschte Wirkungen wie Schlaflähmung und hypnagoge/hypnopompe Halluzinationen treten selten auf, sind aber zu beachten.
Eine Tagespflege oder individuelle Betreuung im Alltag bringt Abwechslung für Demenzkranke und kann Angehörige sehr entlasten. / Foto: Getty Images/Oliver Rossi
Sedierende Antidepressiva wie Mirtazapin, Trazodon und Agomelatin sind als schlafanstoßende Substanzen im Einsatz (bei fehlender Depression off Label, Aufklärung!). Unter Mirtazapin treten gehäuft Restless-Legs-Symptome auf. Trizyklika sind wegen anticholinerger Wirkungen gerade bei älteren Erkrankten nicht geeignet.
Pflanzliche Wirkstoffe können sich ebenfalls positiv auf Schlaf (zum Beispiel ein methanolischer Auszug aus Baldrian und Hopfen) oder Angst (hoch konzentriertes Lavendelöl) auswirken. Vor Johanniskraut ist bei einer Kombinationstherapie explizit zu warnen; aufgrund seiner starken Induktionseffekte auf Stoffwechselenzyme kann der Abbau der Komedikation deutlich beschleunigt und damit die Wirkung einer Komedikation erheblich reduziert werden (bis zum Wirkverlust).
Generell gilt in der medikamentösen Behandlung älterer Menschen »start low, go slow«. Allerdings ist bei Cholinesterase-Hemmern eine Unterdosierung zu vermeiden (»but go«) (6). Bei vielen Medikationen sind geringere Dosierungen erforderlich wegen der verlangsamten Metabolisierung und Elimination im Alter. Ältere Patienten reagieren empfindlicher auf ZNS-gängige Substanzen, zum Beispiel auf anticholinerge Wirkungen mit Delirgefahr. Im Idealfall sollte Polypharmazie reduziert werden (Deprescribing).
Demenzielle Erkrankungen mit neurodegenerativer Genese sind bisher nicht heilbar. Ein therapeutischer Nihilismus ist jedoch nicht angebracht, da eine symptomatische psychopharmakologische Medikation oft die Lebensqualität der Betroffenen und damit auch ihrer Angehörigen erheblich verbessern kann. Die Medikamente sind formal (meist) nicht zugelassen, sollten jedoch auch bei Lewy-Körperchen-Demenz und bei Erkrankungen aus dem Spektrum der frontotemporalen Lobärdegenerationen unbedingt angeboten werden.
Nicht medikamentöse Maßnahmen sind bei Demenzerkrankten extrem wichtig (4). Betroffenen und Angehörigen sollten zudem die umfassenden und detaillierten Informationsblätter der Deutschen Alzheimer Gesellschaft empfohlen werden.
Monika Singer schloss das Medizinstudium 1989 mit der Promotion ab. Sie ist Fachärztin für Neurologie sowie Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach stationärer Tätigkeit in der Neurologischen Klinik Bad Aibling, dem Behandlungszentrum Vogtareuth sowie dem Alzheimer-Therapiezentrum Bad Aibling ist Dr. Singer seit 2004 in der kbo Lech-Mangfall-Klinik Agatharied tätig, seit 2019 als Oberärztin der Psychiatrischen Institutsambulanz. Als Arzneimittelbeauftragte der Klinik leitet sie das interdisziplinäre Polypharmazie-Board. Sie hält regelmäßig Vorträge zum Thema Arzneimittelinteraktionen und ist Mitherausgeberin der Interaktionsdatenbank »psiac«.