Stumme Erkrankung mit schweren Folgen |
Ein zirrhotischer Umbau der Leber ist eine häufige Erkrankung in Deutschland. Ein Zirrhose entwickelt sich aus einer Leberfibrose oder einer Fettlebererkrankung, die lange Zeit keine Beschwerden auslösen. / Foto: Getty Images/UserGI15994093
50 bis 70 Prozent aller Leberzirrhosen sind hauptsächlich oder begleitend alkoholtoxischen Ursprungs. Ein weiterer großer Stellenwert kommt den Virus-Hepatitiden zu. Auch zahlreiche andere Erkrankungen und die Hepatotoxizität von Arzneimitteln können, wenn auch viel seltener, Ursache einer Zirrhose sein. Dazu gehören stoffwechselbedingte Erkrankungen wie die Hämochromatose, Morbus Wilson (eine Störung des Kupferstoffwechsels), ein α-1-Antitrypsin-Mangel oder gefäßbedingte Stauungserkrankungen der Leber wie das Budd-Chiari-Syndrom.
Der Zirrhose gehen entweder eine Leberfibrose oder eine Fettleber voraus. Fettlebererkrankungen heißen nach neuer Nomenklatur »Steatotic Liver Disease« (SLD). Fibrose und SLD können in eine Zirrhose münden, sind aber in den Anfangsstadien reversibel. Grundsätzlich hat die Leber im Vergleich zu anderen Organen eine hohe Selbstheilungskapazität. Mittlerweile mehren sich sogar die Hinweise, dass selbst ein zirrhotischer Leberumbau in frühen Stadien reversibel sein kann.
Erst wenn ein großer Teil der Leberzellen zu funktionslosem Gewebe umgebaut wurde, bemerken die Patienten Symptome. In diesem Stadium ist eine völlige Regeneration nicht mehr möglich. Im »stummen« Stadium wird die Erkrankung häufig nur nebenbefundlich diagnostiziert oder bleibt viele Jahre unentdeckt. Chronisch anhaltende Entzündungsprozesse im Lebergewebe führen zu einer reaktiven Vermehrung von Bindegewebe und Vernarbung mit Knotenbildung (Fibrosierung). Infolge der Zerstörung der Architektur der Leber mit ihren Läppchen und Gefäßen kommt es zum Funktionsverlust der Hepatozyten und zu deren Schrumpfung. Ist die Leber bindegewebsartig vernarbt, spricht man von einer Zirrhose, die in Stadien von A bis C eingeteilt wird (Kasten).
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Eingeteilt werden die Stadien der Leberzirrhose nach dem Child-Pugh-Score (benannt nach den beiden Beschreibern). Dieser beinhaltet die Werte von Albumin und Bilirubin, die Menge an Aszites, das Vorhandensein einer hepatischen Enzephalopathie und den Quick-Wert (oder INR). Eine leichte Zirrhose besteht im Stadium A, während ein Score von C die höchste Kategorie darstellt.
Dabei geben die Stadien nicht, wie häufig angenommen, direkt den Grad der Lebereinschränkung an, sondern prognostizieren die Ein-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten. Diese liegt im Stadium A bei nahezu 100 Prozent, während im Stadium C die Sterblichkeitsrate nach einem Jahr bei über 60 Prozent liegt.
Eine Aussage über die Verstoffwechselungskapazität der Leber für Arzneistoffe kann mit der Child-Pugh-Kategorisierung allgemein nicht getroffen werden. Der Score ist nicht als quantitativer Marker für eine Dosisanpassung von Arzneistoffen geeignet. Nur in Einzelfällen liegen Daten zur Dosisanpassung anhand des Scores oder des Bilirubin-Werts vor.
Im Vergleich zur Fibrose wird bei der SLD Fett in die Leberzellen eingelagert, was deren Funktion ebenfalls einschränkt. Chronischer Alkoholabusus ist auch hier die häufigste Ursache. Daneben spielt die nicht alkoholische Fettleber (neuerdings Metabolic Dysfunction-associated Steatotic Liver Disease oder MASLD genannt), ausgelöst durch Übergewicht, die größte Rolle. Ohne Lebensstiländerung oder Ernährungsumstellung belasten die Noxen die Leberzellen anhaltend und es entsteht eine fortschreitende chronische Erkrankung.
Im Durchschnitt sind Zirrhose-Patienten wesentlich jünger als andere Patientengruppen. Vor allem bei den alkoholbedingten Lebererkrankungen sind die Patienten im Mittel etwa 50 Jahre. Männer sind doppelt so oft betroffen wie Frauen.
Die hauptsächlichen Aufgaben der Leber liegen in Abbau und Ausscheidung von körpereigenen Abfallprodukten und Toxinen, der Verarbeitung der Galle sowie der Produktion von Albumin und Gerinnungsfaktoren.
Bei beginnendem fibrotischen Umbau und bei der Entstehung einer Fettleber bemerken die Patienten zunächst keine Symptome. Danach folgt eine unspezifische Allgemeinsymptomatik mit Fatigue, Leistungsminderung, Blähungen und Durchfall. Spezifische Symptome manifestieren sich später vor allem an der Haut sowie im hormonellen System.
Typische Erscheinungen sind die »Bauchglatze« (Haarverlust und vermehrte Abzeichnung der Gefäße im Bauchbereich), spinnenartige Gefäßneubildungen (Spider naevi) im Oberkörperbereich und im Gesicht, Juckreiz, Uhrglasnägel, gerötete Handballen und Verdickung der Sehnen auf der Handinnenseite, glänzend rote Lippen und Zunge (Lacklippen, Lackzunge) sowie Osteoporose-Neigung. Durch die nachlassende Hormonproduktion kommt es zu Potenzstörungen, Verlust der männlichen Behaarung, Rückbildung der Hoden, Vergrößerung der männlichen Brustdrüsen und bei Frauen zu Menstruationsstörungen. Schmerzen spielen bei der Leberzirrhose nur eine untergeordnete Rolle.
Neben dem Verlust der eigentlichen Aufgaben der Leber entwickeln sich bei einer fortschreitenden Zirrhose typische Begleiterkrankungen und Spätfolgen. Mit zunehmender Fibrosierung kommt es zum Rückstau des Blutes in der Pfortader, die vom unteren Abdominalbereich zur Leber führt. Dies und der einsetzende Albumin-Mangel fördern die Einlagerung von Wasser im Bauchraum (Aszites). Dabei steigt das Risiko für eine spontan bakterielle Peritonitis (Bauchfellentzündung) durch mikrobielle Translokation. Die starke Bauchwassereinlagerung – mehr als 10 Liter sind keine Seltenheit – verursacht Druckgefühl und Schmerzen.
Die portale Hypertension hat außerdem zur Folge, dass sich Varizen im Ösophagus und Magenfundus bilden. Häufig kommt es zu lebensbedrohlichen Blutungen aus diesen Varizen, gekennzeichnet durch schwallartiges Erbrechen von Blut.
Typisches Zeichen einer fortschreitenden Zirrhose ist die Einlagerung von Wasser im Bauchraum, die ein starkes Druckgefühl und Schmerzen verursacht. / Foto: Adobe Stock/Douglas
Zusätzlich sammeln sich Toxine im Körper an, die hepatisch nicht mehr ausreichend eliminiert werden. Besonders die fehlende Elimination des neurotoxischen Ammoniaks belastet das zentrale Nervensystem. Ammoniak kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und verursacht Verwirrtheit, Orientierungsverlust und Wesensveränderung, die hepatische Enzephalitis. Dies kann bis zum Koma hepaticum führen.
Bei etwa 20 Prozent der Patienten mit fortgeschrittener Zirrhose kommt es zu einer (sonst seltenen) Pfortaderthrombose. Thromben verschließen dabei einzelne Äste oder die gesamte Pfortader, die durch die Stauung in Richtung Leber und die damit einhergehende Hypertension ohnehin belastet ist. Diese Thromboseneigung besteht, obwohl die Patienten allgemein ein erhöhtes Risiko für Blutungen haben, da die Produktion von Gerinnungsfaktoren vermindert ist.
Der Funktionsverlust der Leber beeinflusst auch Nieren und Lunge massiv. Vom hepatorenalen Syndrom spricht man, wenn es bei einer fortgeschrittenen Lebererkrankung zum akuten Nierenversagen kommt. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wie die genaue Pathogenese aussieht. Trotz adäquater Funktionsfähigkeit der Nierentubuli ist die glomeruläre Filtration herabgesetzt, erzeugt durch einen Flüssigkeitsmangel im systemischen Kreislauf infolge des Aszites. Der Flüssigkeitsmangel wird dadurch kompensiert, dass weniger Wasser renal eliminiert wird. Besonders rigorose Therapien zur Aszites-Drainage triggern bei erhöhter Plasmarenin-Aktivität die Entstehung eines akuten Nierenversagens.
Begünstigt wird das hepatorenale Syndrom durch schwere Infektionen wie eine Sepsis oder größere Blutungen. Wird die zugrunde liegende Störung der Leberfunktion behoben oder kompensiert, regeneriert sich die Nierenfunktion vollständig.
Seltener bildet sich bei einer Leberzirrhose das hepatopulmonale Syndrom aus. Eine vermehrte Ausschüttung von Stickstoffmonoxid (NO), wahrscheinlich bedingt durch die verminderte Entgiftungsfunktion für Endotoxine, führt zu inadäquater Gefäßweitstellung. Die Folgen sind ungenügende arterielle Oxygenierung, gestörter Gasaustausch und intrapulmonale Gefäßdilatation. Die Patienten entwickeln Atemnot (Dyspnoe).
Das allgemeine Infektionsrisiko ist erhöht, die Wundheilung herabgesetzt. Durch Malnutrition und Kachexie kommt es zu Muskelabbau und Muskelschwund. Die Mangelernährung resultiert aus einem Ungleichgewicht aus krankheitsbedingt erhöhtem Kalorienbedarf und symptombedingt verminderter Kalorienaufnahme und -verwertung. Deshalb baut der Körper neben Fett zur Energiegewinnung auch Muskelmasse ab.
Als Spätfolge der Zirrhose ist das Risiko für ein Leberkarzinom massiv erhöht.
Eine bedarfsgerechte Kalorienzufuhr ist für Patienten mit Leberzirrhose enorm wichtig. Als Kostform eignet sich eine leichte Vollwertkost mit erhöhter Proteinzufuhr.
Erfahrungsgemäß werden zahlreiche Nahrungsmittel nicht vertragen, was individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Dies gilt auch für stark gewürzte, sehr fettige, zum Beispiel frittierte, oder saure Speisen. Durch die Enge im Bauchraum eignen sich kleine häufigere Mahlzeiten besser als wenige große. Besonders bei Aszites ist eine salzreduzierte und kohlenhydratarme Ernährung sinnvoll.
Milchprodukte und pflanzliche Nahrungsmittel sollten als Proteinquellen bevorzugt werden. / Foto: Adobe Stock/photocrew
Bei proteinreichen Nahrungsmitteln eignen sich nicht alle Proteine gleichermaßen. Verzweigtkettige Aminosäuren, wie sie in Milchprodukten und pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten sind, werden im Muskel verstoffwechselt und lassen den Ammoniakspiegel nicht weiter steigen. Aromatische Aminosäuren, die vor allem in Fleisch, Ei-, Fisch- und Wurstwaren vorkommen, wirken sich ungünstig auf die hepatische Enzephalopathie aus.
Um die Mangelernährung auszugleichen, sollte die Nährstoffdichte möglichst hoch sein. Dies lässt sich durch hochkalorische fettreiche Zusätze zu normalen Speisen erreichen, entweder in Form von fettreichen Nahrungsmitteln wie Sahne, Avocados oder Nüssen oder durch kaloriendichte neutrale Trinknahrung, wie sie in der Apotheke erhältlich ist. Eine Restriktion der Flüssigkeitszufuhr ist nur notwendig bei starker Aszites- oder Ödembildung.
Große Flüssigkeitsmengen im Bauchraum können mit einer Punktion entlastet werden. Dabei kann die Punktion therapeutisch sowie diagnostisch genutzt werden.
Zur therapeutischen Entlastungspunktion wird eine Nadel in die Bauchhöhle gelegt und über mehrere Stunden dort belassen, damit die Flüssigkeit abfließen kann. Dies reduziert den Druck in der Bauchhöhle und wirkt sich positiv auf die portale Hypertonie aus. Da die Grunderkrankung zeitnah zum Nachfließen des Aszites führt, halten diese Effekte in der Praxis nur kurz an; die Dauer variiert zwischen wenigen Tagen und mehreren Wochen. Werden mehr als 5 Liter Flüssigkeit drainiert, benötigt der Patient eine Albumin-Substitution.
Wesentlich häufiger erfolgt eine Aszites-Punktion zu diagnostischen Zwecken. Dazu wird nur eine kleine Menge Bauchwasser entnommen und auf seine Zusammensetzung, das Vorhandensein von bakteriellen oder malignen Zellen und laborchemisch untersucht.
Bei einer Aszites-Punktion kann Bauchwasser zu therapeutischen und zu diagnostischen Zwecken entnommen werden. / Foto: Adobe Stock/Saiful52
In seltenen Fällen wird ein Katheter dauerhaft in die Bauchhöhle eingebracht; er kann dort prinzipiell mehrere Wochen oder Monate verweilen.
Anstelle einer mechanischen Entlastung des Aszites über die Punktion der Bauchhöhle können Patienten mit zirrhotischen Lebererkrankungen auch von einem transjugulären Shunt profitieren. Dabei wird operativ ein künstlicher Umgehungskreislauf von der Pfortader an der Leber vorbeigelegt (TIPS: transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt). Die verminderte Stauung und der erhöhte Blutfluss entlasten die Pfortader und reduzieren die Bildung von Ösophagusvarizen, das Blutungsrisiko und das Nachlaufen von Aszites. Allerdings umgehen noch mehr Endotoxine die Leber, was eine hepatische Enzephalopathie begünstigen kann.
Die einzige kurative Möglichkeit für Menschen mit fortgeschrittener Leberzirrhose ist die Transplantation. Allerdings werden wesentlich mehr Spenderorgane benötigt, als Leberspenden vorhanden sind.
Vorab: Es gibt keine einzelne deutsche Leitlinie zur Therapie von Patienten mit Leberzirrhose, sondern viele, die sich mit den Unteraspekten der Zirrhose wie der hepatischen Enzephalopathie oder Komplikationen beschäftigen.
Die prinzipiell bei jeder Zirrhose auftretende portale Hypertension wird klassischerweise mit Betablockern behandelt. Trotz ihrer insgesamt schlechteren Verträglichkeit kommen unselektive Betablocker zum Einsatz, denn die Drucksenkung in der Pfortader erfolgt vor allem über Effekte an β2-Rezeptoren. Ziel ist eine Senkung der Ruheherzfrequenz auf unter 55 Schläge/Minute oder eine Reduktion der Ausgangsfrequenz um 25 Prozent. Am häufigsten wird Propranolol eingesetzt, das in wöchentlichen Schritten um 10 mg gesteigert werden kann, alternativ Carvedilol.
Die Senkung des Pfortaderblutdrucks wirkt nachweislich der Bildung von Ösophagusvarizen entgegen. Damit sinkt auch das Blutungsrisiko. Weitere positive Effekte sind die Reduktion von Aszites-Bildung und Splenomegalie (Vergrößerung der Milz).
Erst wenn ein therapieresistenter Aszites oder eine Infektion vorliegt, sind Betablocker nicht mehr Mittel der Wahl. Ebenso nicht bei ausgeprägter Hypotonie, Hyponatriämie und fortschreitender Nierenfunktionsstörung. Bei weit fortgeschrittener Zirrhose im Child-Pugh-Stadium C treten eher die negativen Effekte der Betablocker wie Kreislaufdysregulation in den Vordergrund. Dann kann die operative Anlage eines TIPS erwogen werden.
Zur forcierten Ausschwemmung von Aszites wird hoch dosiertes Spironolacton eingesetzt. Die Zieldosis liegt mit 100 bis 400 mg wesentlich höher als die bei Herzinsuffizienz verwendete Dosis mit 12,5 bis 50 mg pro Tag.
Zur Verbesserung der Wirksamkeit wird vor allem bei peripheren Ödemen mit hoch dosierten Schleifendiuretika kombiniert. Diese haben in Monotherapie eine eher geringe Wirksamkeit auf den Aszites. Zu beachten ist die mögliche nephrotoxische Wirkung der forcierten Diurese, die durch starke Flüssigkeitsausschwemmung das hepatorenale Syndrom triggern kann. Bei den Schleifendiuretika wird Torasemid bevorzugt, da Furosemid bei portaler Hypertension nur schlecht aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert wird. Vorsichtiges Eindosieren und regelmäßige Kontrollen von Elektrolyten (vor allem Kalium), Nierenwerten und Gewicht sind unter Diuretika-Gabe notwendig.
Ziel der Therapie ist primär, die Lebensqualität zu verbessern, und nicht, den Aszites um jeden Preis auszuschwemmen. Zur Überprüfung, ob der Aszites auf die Diurese anspricht, kann die fraktionelle Natrium-Ausscheidung im Urin herangezogen werden. Bei Werten unter 0,2 bis 0,5 Prozent ist ein Ansprechen unwahrscheinlich. Die Aszites-Menge wird im Verlauf ultraschallgestützt kontrolliert.
Spricht ein Aszites nicht auf Diuretika an, kann eine zu hohe Aufnahme von Kochsalz oder eine Komplikation wie Niereninsuffizienz oder gastrointestinale Blutung vorliegen.
Rund die Hälfte der Patienten mit Alkoholabusus leidet unter einem relevanten Vitamin-B1-Mangel. Eine verminderte Aufnahme des Vitamins scheint bei alkoholbedingter Zirrhose ebenso eine Rolle zu spielen wie die häufige Mangelernährung, die nicht nur Vitamin B1, sondern auch andere Vitamine betrifft.
Bei einer relevanten Hypovitaminose kann sich eine Wernicke-Enzephalopathie mit Bewusstseinsstörung, Desorientiertheit und Gangataxie entwickeln. Prophylaktisch wird die Substitution des Vitamins empfohlen. Wird der Vitaminmangel nicht ausgeglichen, kommt es zu irreversiblen Gehirnschäden, die tödlich verlaufen können.
Differenzialdiagnostisch ist eine Abgrenzung zur hepatischen Enzephalopathie vor allem bei akutem Auftreten nicht immer eindeutig möglich. Initial wird bei Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie deshalb immer hoch dosiertes Thiamin (Einzeldosen bis zu 400 mg) intravenös gegeben. Die übliche Erhaltungsdosis liegt bei 100 bis 200 mg pro Tag peroral und wird in der Regel dauerhaft weitergeführt.
Ein weiterer Arzneistoff, der sich häufig in der Medikation von Patienten mit Leberzirrhose findet, ist Lactulose. Der Doppelzucker wird nicht gegen Obstipation eingesetzt, sondern um die Symptome der hepatischen Enzephalopathie zu reduzieren.
In der Leber nicht vollständig abgebaute Toxine wie Ammoniak gelangen ungehindert ins zentrale Nervensystem und führen dort zu den genannten Symptomen. Da Lactulose nicht resorbiert wird, erreicht der Doppelzucker unverändert den Darm. Dort wird er von Darmbakterien in D-Galactose und Fructose gespalten, die von Darmbakterien verwertet werden können. In der Folge sinkt der pH-Wert im Darmlumen und das Wachstum von Lactobazillen und Bifidobakterien wird angeregt. Durch das angesäuerte Milieu wird Ammoniak im Darm vermehrt in Ammoniumionen umgesetzt und wird somit intestinal nicht mehr resorbiert. Außerdem wird der Abbau von Ammoniak durch Darmbakterien gefördert.
Patienten mit Leberzirrhose bekommen oft viele Medikamente. Doch diese können auch nierentoxisch wirken. / Foto: Adobe Stock/tibanna79
Lactulose kommt sowohl prophylaktisch als auch bei einer akuten Enzephalopathie zum Einsatz. Auch hier unterscheiden sich die Tagesdosen von bis zu 120 g pro Tag deutlich von den sonst üblichen Dosierungen (10 bis 30 g/Tag). Damit steigt auch das Risiko für unerwünschte Wirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden und Flatulenz.
Ein weiterer Wirkstoff, der bei der hepatischen Enzephalopathie zum Einsatz kommt, ist die Aminosäurekombination Ornithin-Aspartat. Nach Spaltung in L-Ornithin und L-Asparaginsäure sind beide involviert in den Harnstoffzyklus, der in den Hepatozyten stattfindet und stickstoffhaltige Verbindungen zu eliminierbarem Harnstoff umsetzt. Insgesamt sinkt die Ammoniaklast im Blut.
Vasopressin ist das antidiuretische Hormon (ADH), das vom Hypothalamus ausgeschüttet wird, um den Wasserhaushalt zu regulieren. Es stimuliert die Wasserrückresorption in den Sammelrohren der Nierentubuli. Außerdem erhöht es den Widerstand in den Gefäßen des Magen-Darm-Kanals, was zu einer Senkung des Drucks in der Pfortader führt. Daher wirkt es sich günstig auf die portale Hypertension aus und verhindert Varizenblutungen.
Arzneilich werden vor allem Analoga von Vasopressin eingesetzt, bei Patienten mit Zirrhose vor allem Terlipressin, das eine längere Halbwertszeit hat als Vasopressin. Auch im akuten Nierenversagen bei hepatorenalem Syndrom kann Terlipressin verwendet werden. Die Substanz wird intravenös alle vier bis sechs Stunden appliziert und ist für eine orale Dauertherapie nicht geeignet. Häufig kommt es zu Hyponatriämien und kardialen Nebenwirkungen.
Auch wenn Patienten mit zirrhotischer Lebererkrankung primär in ihrer Leberfunktion eingeschränkt sind, besteht ein erhebliches Risiko, dass nephrotoxische Substanzen eine kompensierte in eine dekompensierte Zirrhose mit hepatorenalem Syndrom umschlagen lassen. Daher ist die pharmazeutische Expertise bei der Begleitung dieser Patienten besonders gefragt.
Selbst der Einsatz vorwiegend nierenpflichtiger Substanzen ist nicht unproblematisch, da ein großer Teil der Patienten unter Mangelernährung und Kachexie leidet. Damit ist die geschätzte Kreatinin-Clearance ungeeignet für die adäquate Einschätzung der Nierenfunktion. Als alternativer Marker könnte die Bestimmung der Cystatin-C-Clearance zum Einsatz kommen (Fallbeispiel). Cystatin C ist unabhängig von der Muskelmasse der Patienten, was in dieser Konstellation einen relevanten Vorteil bietet; es ist in dieser speziellen Patientengruppe bisher nicht validiert.
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Der 46-jährige Herr L. wird mit massiv gestiegenem Gewicht (62 auf 71 kg) und Vermehrung des Bauchumfangs, Dyspnoe und Fieber auf die gastroenterologische Station aufgenommen. In der Diagnostik zeigt sich eine Dekompensation seiner Leberzirrhose im Child-Pugh-Stadium B mit Verdacht auf spontan bakterielle Peritonitis. Die beim letzten Aufenthalt vor zwei Monaten verordnete Medikation aus Spironolacton, Torasemid, Propranolol und Vitamin B1 hat der Patient zu Hause nicht weiter eingenommen. Eine Alkoholabstinenz wurde nicht umgesetzt. Der Patient gibt einen täglichen Bierkonsum von zwei bis drei 0,5-Liter-Flaschen an. Die Leberwerte inklusive Bilirubin sind erhöht, das Kreatinin liegt bei 1,1 mg/dl.
Der Aszites wird diagnostisch und therapeutisch punktiert. Es werden 6 Liter Flüssigkeit abgelassen und Albumin substituiert. Die Kulturen aus dem Aszites sind nach zwei Tagen mit Citrobacter freundii bewachsen, der resistent auf die kalkuliert begonnene Therapie mit Piperacillin/Tazobactam getestet wird. Deshalb erfolgt eine Umstellung auf Ciprofloxacin.
An Tag 2 der Ciprofloxacin-Therapie wird der Patient delirant und bekommt optische Halluzinationen. Die Stationsapothekerin regt deshalb die Messung von Cystatin C als Nierenparameter an. Die berechnete Kreatinin-Clearance liegt im Normbereich; der Patient ist aber trotz Normalgewicht in einem kachektischen Ernährungszustand. Die Messung von Cystatin C ergibt eine berechnete Cystatin-Clearance von 25 ml/min und zeigt somit eine deutlich reduzierte Nierenfunktion an. Daraufhin wird die Dosis von Ciprofloxacin halbiert. Die Halluzinationen nehmen ab und der Patient wirkt einen Tag später deutlich geordneter und orientiert.
Mitunter müssen nierenpflichtige Arzneistoffe in akut lebensbedrohlicher Situation mit maximaler Dosis eingesetzt werden. Ansonsten ist es ratsam, niedrig dosiert zu starten und nach klinischer Wirksamkeit langsam und in kleineren Schritten als üblich zu steigern. Die Auswahl von Substanzen möglichst ohne nephrotoxisches Potenzial ist sinnvoll.
Das gleiche Vorgehen ist auch für vorwiegend hepatisch metabolisierte Substanzen zu empfehlen. Der Child-Pugh-Score kann nicht verwendet werden, um die metabolische Kapazität der Leber vorherzusagen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Enzymausstattung genetisch bedingt sehr unterschiedlich sein kann. Mit zunehmender Verschlechterung der Leberfunktion werden die Patienten empfindlicher für arzneimittelbedingte Nebenwirkungen.
Komplizierend kommt hinzu, dass viele Patienten durch ihren Lebenswandel wenig compliant bezüglich der Arzneimitteltherapie sind. Deshalb ist eine strenge Nutzen-Risiko-Bewertung der benötigten Arzneimitteltherapie vor allem bei fortschreitender Erkrankung dringend zu empfehlen. Apotheker können hier unterstützend tätig werden, um die Arzneimitteltherapie zu verschlanken.
Die größte Bedeutung kommt der Prävention der Erkrankung zu. In frühen Stadien von Fettlebererkrankungen sind Aufklärung und Hilfen bezüglich des Lebenswandels die wichtigsten Instrumente, um ein Fortschreiten und das irreversible Stadium der Zirrhose zuverhindern. Alkoholkarenz und die Reduktion von Übergewicht, das besonders im Kindesalter zur nicht alkoholbedingten Fettleber führt, stehen dabei ganz klar im Vordergrund.
Auch die relativ neuen Behandlungsoptionen für virale Hepatitiden haben eine große Bedeutung in der Prophylaxe der Leberzirrhose. Zukünftig könnten neue Arzneistoffe wie die Antagonisten am Farnesoid-X-Rezeptor eine Behandlungsmöglichkeit für Zirrhose-Patienten darstellen. Eine Zulassung in dieser Indikation, zum Beispiel für Obeticholsäure, liegt aber noch nicht vor.
Anka Röhr studierte Pharmazie in Würzburg und ist seit Juni 2011 als Apothekerin im Klinikum Heidenheim tätig. Sie hat die Weiterbildung zur Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Bereichsweiterbildung Infektiologie, absolviert und wurde mit einer Arbeit zur Dosierung von Antiinfektiva bei Patienten mit Nierenersatzverfahren promoviert. Dr. Röhr ist Delegierte der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte in der Klinikapotheke sind Therapeutisches Drug Monitoring und Arzneimittelinformation.