Stumme Erkrankung mit schweren Folgen |
Vasopressin ist das antidiuretische Hormon (ADH), das vom Hypothalamus ausgeschüttet wird, um den Wasserhaushalt zu regulieren. Es stimuliert die Wasserrückresorption in den Sammelrohren der Nierentubuli. Außerdem erhöht es den Widerstand in den Gefäßen des Magen-Darm-Kanals, was zu einer Senkung des Drucks in der Pfortader führt. Daher wirkt es sich günstig auf die portale Hypertension aus und verhindert Varizenblutungen.
Arzneilich werden vor allem Analoga von Vasopressin eingesetzt, bei Patienten mit Zirrhose vor allem Terlipressin, das eine längere Halbwertszeit hat als Vasopressin. Auch im akuten Nierenversagen bei hepatorenalem Syndrom kann Terlipressin verwendet werden. Die Substanz wird intravenös alle vier bis sechs Stunden appliziert und ist für eine orale Dauertherapie nicht geeignet. Häufig kommt es zu Hyponatriämien und kardialen Nebenwirkungen.
Auch wenn Patienten mit zirrhotischer Lebererkrankung primär in ihrer Leberfunktion eingeschränkt sind, besteht ein erhebliches Risiko, dass nephrotoxische Substanzen eine kompensierte in eine dekompensierte Zirrhose mit hepatorenalem Syndrom umschlagen lassen. Daher ist die pharmazeutische Expertise bei der Begleitung dieser Patienten besonders gefragt.
Selbst der Einsatz vorwiegend nierenpflichtiger Substanzen ist nicht unproblematisch, da ein großer Teil der Patienten unter Mangelernährung und Kachexie leidet. Damit ist die geschätzte Kreatinin-Clearance ungeeignet für die adäquate Einschätzung der Nierenfunktion. Als alternativer Marker könnte die Bestimmung der Cystatin-C-Clearance zum Einsatz kommen (Fallbeispiel). Cystatin C ist unabhängig von der Muskelmasse der Patienten, was in dieser Konstellation einen relevanten Vorteil bietet; es ist in dieser speziellen Patientengruppe bisher nicht validiert.
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Der 46-jährige Herr L. wird mit massiv gestiegenem Gewicht (62 auf 71 kg) und Vermehrung des Bauchumfangs, Dyspnoe und Fieber auf die gastroenterologische Station aufgenommen. In der Diagnostik zeigt sich eine Dekompensation seiner Leberzirrhose im Child-Pugh-Stadium B mit Verdacht auf spontan bakterielle Peritonitis. Die beim letzten Aufenthalt vor zwei Monaten verordnete Medikation aus Spironolacton, Torasemid, Propranolol und Vitamin B1 hat der Patient zu Hause nicht weiter eingenommen. Eine Alkoholabstinenz wurde nicht umgesetzt. Der Patient gibt einen täglichen Bierkonsum von zwei bis drei 0,5-Liter-Flaschen an. Die Leberwerte inklusive Bilirubin sind erhöht, das Kreatinin liegt bei 1,1 mg/dl.
Der Aszites wird diagnostisch und therapeutisch punktiert. Es werden 6 Liter Flüssigkeit abgelassen und Albumin substituiert. Die Kulturen aus dem Aszites sind nach zwei Tagen mit Citrobacter freundii bewachsen, der resistent auf die kalkuliert begonnene Therapie mit Piperacillin/Tazobactam getestet wird. Deshalb erfolgt eine Umstellung auf Ciprofloxacin.
An Tag 2 der Ciprofloxacin-Therapie wird der Patient delirant und bekommt optische Halluzinationen. Die Stationsapothekerin regt deshalb die Messung von Cystatin C als Nierenparameter an. Die berechnete Kreatinin-Clearance liegt im Normbereich; der Patient ist aber trotz Normalgewicht in einem kachektischen Ernährungszustand. Die Messung von Cystatin C ergibt eine berechnete Cystatin-Clearance von 25 ml/min und zeigt somit eine deutlich reduzierte Nierenfunktion an. Daraufhin wird die Dosis von Ciprofloxacin halbiert. Die Halluzinationen nehmen ab und der Patient wirkt einen Tag später deutlich geordneter und orientiert.
Mitunter müssen nierenpflichtige Arzneistoffe in akut lebensbedrohlicher Situation mit maximaler Dosis eingesetzt werden. Ansonsten ist es ratsam, niedrig dosiert zu starten und nach klinischer Wirksamkeit langsam und in kleineren Schritten als üblich zu steigern. Die Auswahl von Substanzen möglichst ohne nephrotoxisches Potenzial ist sinnvoll.
Das gleiche Vorgehen ist auch für vorwiegend hepatisch metabolisierte Substanzen zu empfehlen. Der Child-Pugh-Score kann nicht verwendet werden, um die metabolische Kapazität der Leber vorherzusagen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Enzymausstattung genetisch bedingt sehr unterschiedlich sein kann. Mit zunehmender Verschlechterung der Leberfunktion werden die Patienten empfindlicher für arzneimittelbedingte Nebenwirkungen.
Komplizierend kommt hinzu, dass viele Patienten durch ihren Lebenswandel wenig compliant bezüglich der Arzneimitteltherapie sind. Deshalb ist eine strenge Nutzen-Risiko-Bewertung der benötigten Arzneimitteltherapie vor allem bei fortschreitender Erkrankung dringend zu empfehlen. Apotheker können hier unterstützend tätig werden, um die Arzneimitteltherapie zu verschlanken.