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Häufige Arzneistoffe

Steckbrief Venlafaxin

Serotonin und Noradrenalin sind zentrale Neurotransmitter im Gehirn. Venlafaxin fördert selektiv deren Aktivität und mildert dadurch Depression, Panik- und Angststörungen. Günstig dabei ist, dass es kaum anticholinerge Nebenwirkungen gibt.
Brigitte M. Gensthaler
25.11.2021  07:00 Uhr

Wofür wird Venlafaxin eingesetzt?

Venlafaxin ist für mehrere Indikationen zugelassen: zur Behandlung und zur Rezidivprophylaxe einer Major Depression sowie zur Behandlung der generalisierten und der sozialen Angststörung sowie von Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie. Off Label wird es zum Beispiel bei peripherer Polyneuropathie eingesetzt, aber die Datenlage ist ungünstiger als für Duloxetin, das ebenfalls ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) ist.

Wie wird Venlafaxin dosiert?

Venlafaxin ist in retardierten und unretardierten Arzneiformen, beginnend mit 37,5 mg bis zu 225 mg, im Handel. Retardformen werden einmal täglich eingenommen, ansonsten wird die Tagesdosis auf zwei bis drei Gaben aufgeteilt. Der Patient soll die Medikation möglichst immer zur gleichen Zeit einnehmen.

Bei der Depressionsbehandlung startet man mit 75 mg Venlafaxin täglich und kann schrittweise langsam bis zu einer maximalen Tagesdosis von 375 mg steigern. In der Rezidivprophylaxe wird die wirksame Dosis meist beibehalten und die Therapie mindestens sechs Monate lang (nach der Remission) fortgeführt. Bei Angststörungen kann man ausgehend von der 75-mg-Anfangsdosis bis auf 225 mg steigern. Patienten mit Panikstörungen starten meist mit der halben Dosis, können aber auch bis 225 mg steigern. Bei Leber- und Niereninsuffizienz wird die Dosis meist reduziert.

Was passiert bei plötzlichem Absetzen?

Bei einer Dosisreduktion und vor allem beim plötzlichen Absetzen von Antidepressiva kann es zu schweren Absetzreaktionen kommen. Dazu gehören Schwindelgefühl, Parästhesien, Schlafstörungen, Erregtheit oder Angst, Übelkeit und Erbrechen, Zittern, Kopfschmerzen, Blutdruckanstieg, aber auch Aggressionen, Suizid und suizidale Gedanken. Daher sollten Patienten bei einer Dosisreduktion und beim Absetzen engmaschig überwacht werden.

Wie wirkt Venlafaxin?

Das Phenylethylamin-Derivat Venlafaxin und sein aktiver Hauptmetabolit O-Desmethyl-Venlafaxin wirken als selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI): Sie hemmen die Wiederaufnahme der beiden Botenstoffe in das präsynaptische Neuron. Die Wiederaufnahme von Dopamin wird nur leicht gehemmt. Insgesamt nimmt die Neurotransmitteraktivität im Gehirn zu. Venlafaxin hat in vitro praktisch keine Affinität zu muskarinergen, cholinergen, H1-histaminergen oder α1-adrenergen Rezeptoren sowie zu Opiat- und Benzodiazepin-Rezeptoren und hemmt die Monoaminooxidase (MAO) nicht.

Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Die Liste möglicher Nebenwirkungen ist lang. Zu den häufigsten Beschwerden gehören Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel und Sedierung, Übelkeit, Verstopfung, Mundtrockenheit und übermäßiges Schwitzen. Häufig sind auch verminderter Appetit, Gewichtszu- oder -abnahme, Tachykardie, Blutdruckanstieg und erhöhte Cholesterolwerte.

Eine Überdosierung von Venlafaxin, vor allem in Verbindung mit Alkohol oder anderen Arzneimitteln, kann Tachykardie, Bewusstseinsstörungen, Mydriasis, Krampfanfälle und Erbrechen auslösen. Es kann auch zu kardialen Problemen kommen wie Verlängerung der QT- und QRS-Strecke im EKG, Kammertachykardie, Bradykardie, Blutdruckabfall. Auch Todesfälle traten auf.

Wie alle psychoaktiven Substanzen kann auch Venlafaxin das Urteils- und Denkvermögen sowie die motorischen Fähigkeiten beeinträchtigen. Dies kann die Fähigkeit zum Autofahren oder Maschinenbedienen beeinträchtigen.

Auf welche Gegenanzeigen und Wechselwirkungen ist zu achten?

Venlafaxin und irreversible MAO-Inhibitoren (MAOI) wie Tranylcypromin dürfen nie kombiniert werden, da ein potenziell lebensbedrohliches Serotonin-Syndrom mit Symptomen wie Agitation, Tremor und Hyperthermie droht. Venlafaxin darf frühestens 14 Tage nach Absetzen von Tranylcypromin angesetzt werden. Bei umgekehrter Abfolge müssen sieben Tage Abstand eingehalten werden. Kombinationen mit reversiblen MAO-Hemmern wie Moclobemid oder auch Linezolid sind zu vermeiden. Auch bei Kombination mit anderen Wirkstoffen, die das serotonerge System beeinflussen, kann ein Serotonin-Syndrom auftreten.

Eher selten kommt es unter Venlafaxin zur Verlängerung der QT-Zeit des Herzens. Jedoch ist Vorsicht angebracht, wenn der Patient weitere QT-Zeit-verlängernde Medikamente bekommt, zum Beispiel Antiarrhythmika, Haloperidol oder Thioridazin, Erythromycin oder Moxifloxacin.

Venlafaxin wird in der Leber extensiv metabolisiert, unter anderem durch CYP2D6 und CYP3A4, und ist selbst ein schwacher Inhibitor von CYP2D6. Die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Inhibitoren wie Clarithromycin, manchen antiretroviralen Arzneistoffen oder Azol-Antimykotika kann die Spiegel von Venlafaxin und O-Desmethyl-Venlafaxin erhöhen.

Es gibt keine eindeutigen Nachweise dafür, dass Venlafaxin die Wirkung oraler Kontrazeptiva abschwächt. Jedoch gab es ungewollte Schwangerschaften während der Therapie mit dem SSNRI.

Wie bei jeder Therapie mit ZNS-aktiven Substanzen sollten Patienten tunlichst keinen Alkohol trinken.

Kann Venlafaxin in Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt werden?

Venlafaxin darf bei schwangeren Frauen nur nach strenger Nutzen-Risiko-Bewertung angewendet werden. Ist die Frau stabil auf den Wirkstoff eingestellt, sollte die Therapie fortgesetzt werden, rät Embryotox, das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité in Berlin. Die Schwangere sollte aber sorgfältig gynäkologisch und psychiatrisch begleitet werden. In den Tagen nach der Geburt ist unbedingt auf Anpassungsstörungen und Absetzsymptome beim Kind zu achten, wenn Venlafaxin bis zur oder kurz vor der Geburt angewendet wird.

Venlafaxin und sein aktiver Metabolit O-Desmethyl-Venlafaxin gehen in die Muttermilch über. Jedoch sei Stillen bei Monotherapie und guter Beobachtung des Kindes unter Vorbehalt akzeptabel, schreiben die Experten.

Ist Venlafaxin für Ältere geeignet?

Laut FORTA-Liste (Fit fOR The Aged) sind SNRI wie Venlafaxin nur sehr bedingt geeignet bei älteren Menschen mit Depression (Kategorie C) und in der Regel ungeeignet bei demenzkranken Menschen mit Depression (Kategorie D).

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