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Häufige Arzneistoffe

Steckbrief Levothyroxin-Natrium

Das Schilddrüsenhormon Levothyroxin ist gleich zweimal unter den verordnungsstärksten Arzneistoffen vertreten: solo auf Platz drei und noch einmal auf Platz 29 in Fixkombi mit Kaliumiodid. Besser bekannt ist es unter den Namen L-Thyrox, L-Thyroxin oder auch – Bulli-Liebhaber aufgepasst – T4.
Daniela Hüttemann
16.07.2020  08:00 Uhr

Was ist das Einsatzgebiet von Levothyroxin?

Levothyroxin ist ein natürliches Schilddrüsenhormon. Als Arzneistoff wird es als Natriumsalz oral verabreicht. Im Körper wird T4, das vier Iod-Atome enthält, in die eigentlich wirksame Form T3 (Triiodthyronin oder Liothyronin) umgewandelt. Es steigert den Energieumsatz, den Sauerstoffverbrauch und die Wärmebildung. Levothyroxin wird substituiert, wenn die Schilddrüse aus verschiedenen Gründen aus dem Tritt geraten ist: bei Schilddrüsenunterfunktionen (Hypothyreosen), bei Überfunktionen (Hyperthyreosen) als Begleittherapie einer thyreostatischen Behandlung, bei gutartiger Vergrößerung des Schilddrüsengewebes (benignes Struma), nach Struma-Entfernung zur Rezidivprophylaxe und bei bösartigen Schilddrüsenveränderungen als Suppressions- beziehungsweise Substitutionstherapie nach operativer Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie). In fixer Kombination mit Kaliumiodid wird Levothyroxin Patienten mit Iodmangel-Kropf gegeben, wenn die alleinige Iod-Gabe den Kropf nicht ausreichend verkleinern konnte.

Wie wird Levothyroxin dosiert?

Die Dosierungsempfehlung ist ein langes Kapitel im Beipackzettel. Die Dosisanpassung erfolgt in sehr subtilen Schritten und im Mikrogramm-Bereich. Die kleinste verfügbare Einzeldosis beträgt 25 µg, die höchste 200 µg, wobei die Tageshöchstdosis je nach Erkrankung bei bis zu 300 µg liegt. Die individuelle Tagesdosis muss durch labordiagnostische und klinische Untersuchungen ermittelt werden, wobei die Restfunktion der Schilddrüse, Gewicht, Alter und Begleiterkrankungen eine Rolle spielen. Bei Kindern wird zum Teil anhand des Gewichts, zum Teil anhand der Körperoberfläche dosiert. Ist die passende Erhaltungsdosis einmal gefunden, gibt es für viele die passende Tablette als einmal tägliche Dosis. Die gesamte Tagesdosis muss morgens nüchtern mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück unzerkaut oder in wenig Wasser dispergiert geschluckt werden. Danach am besten ein Glas Wasser trinken. Es gibt auch Tropfen.

Welche Nebenwirkungen kann Levothyroxin haben?

Sehr häufige Nebenwirkungen sind Herzklopfen, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen. Häufig treten zudem eine Tachykardie, Nervosität und ein Hyperthyreoidismus auf. Symptome einer Schilddrüsenüberfunktion können sich insbesondere bei zu schneller Dosissteigerung zu Beginn der Behandlung zeigen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind unter anderem Herz-Rhythmus-Störungen, vermehrtes Schwitzen, Hitzegefühl, Gewichtsabnahme und Menstruationsstörungen. Gerade bei Kindern kann zu Therapiebeginn Haarausfall auftreten.

Dürfen schwangere Frauen Levothyroxin einnehmen?

Ja, das müssen sie sogar oft. Unerwünschte Wirkungen einer Levothyroxin-Einnahme auf den Fetus sind nicht bekannt, im Gegenteil: »Eine Behandlung mit Schilddrüsenhormonen ist insbesondere während der Schwangerschaft konsequent durchzuführen«, heißt es in der Gebrauchsinformation, auch um die Gesundheit des Fetus nicht zu gefährden. Allerdings wird das Hormon mittlerweile zurückhaltender bei Schwangeren eingesetzt. Estrogen-bedingt kann der Levothyroxin-Bedarf in der Schwangerschaft steigen, sodass die Therapie überwacht und gegebenenfalls die Dosis angepasst werden. Nur als Begleittherapie einer Hyperthyreose-Behandlung mit Thyreostatika ist Levothyroxin bei Schwangeren kontraindiziert. Stillen unter Levothyroxin ist kein Problem.

Welche Wechselwirkungen mit Levothyroxin sind möglich?

Auch dies ist ein langes Kapitel in Fach- und Gebrauchsinformation. Eine Überwachung oder Anpassung ist nötig bei gleichzeitiger Einnahme mit Kationen- oder Anionenaustauschern, polyvalenten Kationen (zum Beispiel Calcium- und Eisensalze) und den Kinasehemmern Imatinib, Sorafenib und Sunitinib. Sie alle mindern die Wirksamkeit von Levothyroxin. Vorsicht ist auch angesagt in Kombination mit Antidiabetika, deren Wirkung abgeschwächt werden kann, sowie Vitamin-K-Antagonisten, deren Wirkung verstärkt werden kann. Estrogene und Orlistat können die Levothyroxin-Wirksamkeit herabsetzen. Furosemid verstärkt den Effekt des Hormons zunächst, dann ist eine Wirkabschwächung möglich. Vorsichtshalber überwacht werden sollten auch Kombinationen mit Herzglykosiden, Enzyminduktoren, Ritonavir und Sevelamer.

Seit wann gibt es Levothyroxin?

Als körpereigenes Hormon wohl schon seit Jahrmillionen, übrigens in der Natur nur linksdrehend, daher Levothyroxin. Während des Ersten Weltkriegs isolierte der US-Biochemiker Edward Calvin Kendall Levothyroxin erstmals aus getrockneten Schilddrüsenpräparaten. Den Medizin-Nobelpreis erhielt er aber 1950 gemeinsam mit zwei anderen für die Entdeckung des Nebennierenrinden-Hormons Cortison. Zurück zum Levothyroxin: 1926 gelang dem britischen Chemiker Charles Robert Harington die Synthese. Noch im gleichen Jahr brachte der Apotheker und Chemiker Georg Friedrich Henning die Substanz zur Behandlung von Schilddrüsenleiden unter dem Namen »Thyroxin Henning« auf den Markt.

Was gibt es noch zu Levothyroxin zu wissen?

Schilddrüsenhormone dürfen nicht zur Gewichtsreduktion gegeben werden. Zum einen funktioniert das in normalen Dosen bei Personen mit normaler Schilddrüsenfunktion nicht. Zum anderen ist die Gefahr schwerwiegender bis lebensbedrohlicher Nebenwirkung bei hohen Dosen zu groß. Da die Einstellung auf die optimale Dosis so schwierig ist und dabei die Pharmakokinetik der unterschiedlichen Präparate eine Rolle spielt, dürfen Levothyroxin-haltige Medikamente nicht einfach untereinander ausgetauscht werden. Ärger wegen der Stabilität oder besser gesagt Instabilität seines Präparats hatte vor einigen Jahren Euthyrox®-Hersteller Merck Serono. Das Pharmaunternehmen hatte die Zusammensetzung der Hilfsstoffe geändert, um eine bessere Stabilität über den gesamten Haltbarkeitszeitraum zu erreichen. 2017 gab es bei der Umstellung in Frankreich Probleme – zahlreiche Patienten klagten erst über Nebenwirkungen und dann den Pharmakonzern an. Erst letzten Monat kam das Urteil: Jeder Mitkläger bekommt 1000 Euro Schadenersatz. In Deutschland lief die Umstellung dagegen im letzten Jahr geräusch- und prozesslos.

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