Neue Erkenntnisse zur Levothyroxin-Gabe in der Schwangerschaft |
Ab einem TSH-Wert von 2,5 mU/l im ersten Schwangerschaftsdrittel sollte nicht einfach Levothyroxin verordnet werden, sondern eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung sowie spezifische Bluttests und ein Ultraschall der Schilddrüse folgen. / Foto: Getty Images/IuriiSokolov
Werte des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) im oberen Normbereich, also zwischen 2,5 und 4 Milli-Einheiten pro Liter (mU/l), sind bei schilddrüsengesunden Schwangeren mit keiner Gefahr für den Feten verbunden. Diese Werte wurden mit Blick auf die Gravidität bisher als leichte Unterfunktion der mütterlichen Schilddrüse interpretiert und aus Angst vor einer möglichen Intelligenzminderung des ungeborenen Kindes frühzeitig mit Levothyroxin therapiert. Hier hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, informierte der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner (BDN) diese Woche mit Verweis auf die Erkenntnisse neuer Interventions-Studien.
Studien zeigten, dass bei gesunden Schwangeren mit TSH-Werten von 2,4 bis 4 mU/l weder Fehlgeburten noch kindliche Fehlbildungen zunehmen oder Einbußen bei den kognitiven Fähigkeiten des Ungeborenen zu befürchten sind. »Bei solchen Werten und gesunder Schilddrüse der Mutter ist eine Therapie mit Levothyroxin also nicht notwendig«, sagt Professor Dr. Karin Frank-Raue. Das gelte auch bei künstlichen Befruchtungen. Für eine unkomplizierte Schwangerschaft ist eine euthyreote, also gute und normale Stoffwechsellage bei ausreichender Jodversorgung erforderlich, wobei bekannt ist, dass der L-Thyroxin-Bedarf in der Schwangerschaft zunimmt. Eine Steigerung der Thyroxin-Produktion um etwa 50 Prozent bei wachsendem Jodbedarf und zunehmendem Schilddrüsenvolumen gilt als normal.
Die Schwangerschaft, so der BDN, kann jedoch zu einem »Stresstest« für die Schilddrüse werden, wenn diese schon zuvor zu Funktionsstörungen und hier insbesondere zur Unterfunktion neigte. Eine Hypothyreose könne zudem auch im Rahmen der Schwangerschaft selbst entstehen.
Zwar kann es in sehr schweren Krankheitsfällen zu geistigen und körperlichen Schäden des Feten beziehungsweise Schwangerschaftskomplikationen wie Fehl- und Frühgeburten kommen. Doch lange Zeit sei nicht klar gewesen, ab welchem TSH-Wert die Levothyroxin-Gabe eingeleitet werden muss. »So ist zum Beispiel die Unterscheidung zwischen einer Hashimoto-Thyreoiditis im frühen Stadium und einer normalen Schilddrüse mit einem TSH-Wert im oberen Normbereich nicht immer ganz einfach«, erläutert Professor Dr. Matthias Schmidt. Aus Sorge um das ungeborene Kind habe sich in der Praxis ein niedriger Grenzwert von 2,5 mU/l festgesetzt.
Gemäß der neueren Untersuchungen zeige sich nunmehr, dass TSH-Werte im Bereich zwischen 2,5 und 4 mU/l keinen negativen Einfluss auf den Verlauf der Schwangerschaft und die geistige Entwicklung des Kindes haben. »Insgesamt müssen wir weg von der Therapie reiner Laborwerte, wie sie im TSH-Korridor von 2,5 bis 4 mU/l häufig verordnet wurde, hin zur Therapie von Schwangeren mit behandlungsbedürftigen Schilddrüsenerkrankungen«, konstatierte Frank-Raue.
Um zu klären, ob eine behandlungsbedürftige Schilddrüsenerkrankung vorliegt, sollten ab einem TSH-Wert von 2,5 mU/l im ersten Schwangerschaftsdrittel auf jeden Fall weitere diagnostische Maßnahmen eingeleitet, sprich: eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung sowie spezifische Bluttests und ein Ultraschall der Schilddrüse vorgenommen werden. Stellt sich heraus, dass die werdende Mutter tatsächlich an einer Autoimmunerkrankung wie zum Beispiel der Hashimoto-Thyreoiditis leidet, sei die Levothyroxin-Gabe ab einem TSH-Wert von über 4 mU/l zwingend.