Rheuma-Therapie kostet viel, bringt aber auch viel |
11.10.2019 17:00 Uhr |
Rheumatoide Arthritis zeigt sich oft zuerst in den Fingergelenken. Schon bei ersten Symptomen sollte man zum Rheumatologen, da ein früher Therapiebeginn entscheidend ist, um die Gelenkfunktion zu erhalten. Die Rheumatherapie schützt im Übrigen auch das Herz. / Foto: Adobe Stock/Teodor Lazarev
Rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland – das sind 2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung – leiden unter entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Das erste Biologikum im Bereich Rheuma wurde bereits seit 1998 in Deutschland zugelassen, erklärte Professor Dr. Hendrik Schulze-Koops, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, der Nachrichtenagentur dpa anlässlich des Welt-Rheuma-Tags am 12. Oktober. Seitdem hätten die entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ihren Schrecken verloren. Noch in den 1980er-Jahren seien die Patienten im Schnitt zehn Jahre früher als die Gesamtbevölkerung gestorben. Inzwischen sei ihre Lebenserwartung dem Durchschnitt angeglichen. Die Betroffenen könnten sogar Sport treiben. Doch die Biologika haben bekanntlich einen Nachteil: Sie müssen unter die Haut oder in die Blutbahn gespritzt werden.
Seit Frühjahr 2017 können Ärzte in Deutschland zwei Medikamente in Tablettenform verordnen, die die Autoimmunreaktion bei der rheumatoiden Arthritis ebenfalls sehr spezifisch, aber auf neuartige Weise unterdrücken: Baricitinib (Olumiant® von Lilly) und Tofacitinib (Xeljanz® von Pfizer). Die sogenannten Januskinase-Inhibitoren verhindern, dass Zytokine an der Zellmembran eine Signalkette auslösen, die im Inneren der Zelle zur Produktion neuer Entzündungsstoffe führen. Diese verursachen im Übermaß an Muskel- und Skelettsystem, aber auch an Herz und Lunge schwere Schäden und Schmerzen.
Die Leiterin der Sektion für Rheumatologie und entzündliche Systemerkrankungen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Professor Dr. Ina Kötter, bewertet die neuen Arzneistoffe als weiteren wesentlichen Fortschritt in der Rheuma-Therapie. Rheumatologen hoffen, dass zumindest für diese Medikament die derzeit sehr hohen Kosten in einigen Jahren deutlich sinken werden.
Zurzeit schlägt eine Behandlung mit Biologika mit 12.000 bis 25.000 Euro pro Patient pro Jahr zu Buche. Die JAK-Hemmer sind ähnlich teuer, eine Behandlung kostet 15.000 bis 18.000 Euro. Allerdings laufe der Patentschutz für die Mittel innerhalb von sieben oder acht Jahren aus. «Wir warten auf Generika», sagt Kötter. Für die JAK-Inhibitoren, die als Small Molecules verhältnismäßig einfach hergestellt werden können, wird mit deutlich geringeren Kosten gerechnet. Die Produktion von Biologika werde dagegen mit einem «Riesenaufwand» verbunden bleiben, so Kötter.
Schulze-Koops verteidigt die Verschreibung der teuren Medikamente. Während der Patient an Lebensqualität gewinne, gewinne die Bevölkerung an Arbeitskraft. Frühverrentungen würden vermieden, betroffene Frauen könnten schwanger werden und Kinder bekommen. Außerdem werden JAK-Hemmer und Biologika in der Regel nicht direkt eingesetzt.
Wer mit Schmerzen zum Arzt geht, bekomme in der Regel zunächst Kortison. Damit werde die Aktivität des Immunsystems vermindert. «Wenn es brennt, sind Sie froh, wenn die Feuerwehr erstmal Wasser gibt», erläutert Schulze-Koops das Vorgehen. Dann folge normalerweise die Gabe von Hydroxychloroquin oder Methotrexat. Das eine ist eigentlich ein Malariamittel, das andere wird in deutlich höherer Dosierung auch in der Krebstherapie eingsetzt. In sehr niedriger Dosierung könnten sie die Entzündungen zum Stillstand bringen, jedoch in der Regel erst nach einigen Wochen oder mehr. Die Nebenwirkungen der neuartigen Medikamente sind meist Folgen der geschwächten Abwehrkräfte. Kötter nennt vor allem Herpes-Viren, die aktiv werden könnten. Auch die Nierenwerte müssten genau beobachtet werden.
Eine Heilung rheumatisch entzündlicher Erkrankungen ist noch nicht möglich. «So suchen wir nach wie vor nach dem Heiligen Gral», sagt Schulze-Koops. Entscheidend für den Erfolg einer Therapie sei die frühe Diagnose. Wer erkranke, habe nicht gleich Gelenkschmerzen, sondern Symptome wie bei einer Grippe: Fieber, Nachtschweiß, Leistungsverminderung, Müdigkeitsgefühl. Ob eine Entzündung vorliege, müsse ein Rheumatologe schnell klären. Die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolgs sinke pro Woche um 1 Prozent.
Die Zeitspanne von den ersten Symptomen bis zum ersten Besuch beim Rheumatologen liege jedoch nach einer Studie aus dem Jahr 2016 bei rheumatoider Arthritis bei acht Monaten, bei Morbus Bechterew, einer Erkrankung vor allem an der Wirbelsäule, sogar fünf bis sieben Jahre. Darum fordert die Gesellschaft für Rheumatologie eine bessere Früherkennung und Versorgungsstruktur. Es fehlten 600 niedergelassene Rheumatologen in Deutschland, sagt Schulze-Koops. Neue Früh- oder Screeningsprechstunden hätten das Potenzial, die Folgekosten von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu senken, so die Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie.