Phytopharmaka sind noch nicht kopierbar |
Kerstin A. Gräfe |
07.10.2020 16:30 Uhr |
Moderne Herstellungsverfahren, In-Prozess-Kontrollen und eine Standardisierung des Extrakts sichern eine gleichbleibend hohe pharmazeutische Qualität von rationalen Phytopharmaka. / Foto: Schwabe
Die Frage nach der Gleichwertigkeit von Phytosimilars stelle sich gerade ganz aktuell, sagte Professor Dr. Theo Dingermann von der Frankfurter Goethe-Universität und PZ-Chefredakteur. Denn es drängten Präparate in den Markt, die den Eindruck erweckten, Kopien hochattraktiver Phytopharmaka zu sein. Allerdings erkenne der Kundige, dass es »kritische Unterschiede« zwischen dem Originator und der vermeintlichen Kopie gebe. »Um diese zu verstehen, ist es sinnvoll, sich die Mechanismen der Marktzulassung bei Phytopharmaka ins Gedächtnis zurückzurufen«, sagte der Apotheker.
Phytopharmaka können einerseits als echte Neuzulassung bewertet werden. Dazu muss der Hersteller die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand eigener klinischer Studien belegen. Dieser sogenannte Vollantrag spielt Dingermann zufolge aber eher eine untergeordnete Rolle. Wichtiger seien die anderen beiden Wege des Marktzugangs: eine Zulassung auf Basis des well established Use oder eine Registrierung auf Basis des traditional Use.
Ersterer setzt eine medizinische Verwendung auf Basis einer früheren Zulassung über mindestens zehn Jahre voraus. Zudem müssen eine anerkannte Wirksamkeit sowie ein annehmbarer Grad an Sicherheit durch eine einschlägige wissenschaftliche Dokumentation nachgewiesen werden. Die Registrierung als »traditionell registriertes Arzneimittel« greift dann, wenn ein anerkannter Wirksamkeitsbeleg nicht erbracht werden kann. »Hier treten dann bibliografische Angaben über eine 30-jährige medizinische Verwendung (traditional Use) an die Stelle des Wirksamkeitsbelegs und ermöglichen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen den Marktzugang«, informierte Dingermann.
Die Basis für die Verkehrsfähigkeit eines Phytopharmakons kann sich somit deutlich unterscheiden, was wiederum Auswirkungen auf den therapeutischen Wert hat, den das Präparat für sich beanspruchen kann. »Phytopharmaka werden allerdings immer noch – auch von Experten – vornehmlich über die Arzneipflanze wahrgenommen«, konstatierte Dingermann. Dies sei fatal, da verschiedene Produkte, die sich von einer bestimmten Arzneipflanze ableiteten, bezüglich ihrer Qualität und ihres therapeutischen Anspruchs extrem heterogen seien. Akzeptabel, wenn auch nicht zwingend sinnvoll, sei dies für registrierte Phytopharmaka auf Basis des traditional Use. Hier bezögen sich die Hersteller in aller Regel auf Drogenmonographien, die unabhängig vom konkret vorliegenden Extrakt erarbeitet worden seien.
Für zugelassene Phytopharmaka hingegen gebe es nicht nur einen deutlich umfangreicheren Unterlagensatz. Aufgrund der Erkenntnisse aus klinischer Forschung seien derartige Phytopharmaka auch deutlich zuverlässiger wirksam als registrierte Präparate. Dazu trage auch bei, dass zugelassene Phytopharmaka als Wirkstoffe meist Spezialextrakte enthielten, die durch einen Produktcode eindeutig identifizierbar seien. Als Beispiele nannte Dingermann EGb761, STW 3-VI und BNO 1055. Hinter einem solchen Code stehe ein strikt einzuhaltendes Spezifikationswerk, das unter anderem die Voraussetzung für sinnvolle klinische Studien mit dem Spezialextrakt bilde.