Phytopharmaka mit und ohne Evidenz |
Gemäß S3-Leitlinie »Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms«, die im März 2021 aktualisiert wurde (AWMF-Registernummer 021–016), liegt ein Reizdarmsyndrom vor, wenn folgende drei Punkte zutreffen: länger als drei Monate anhaltende Darmbeschwerden, die die Lebensqualität relevant einschränken und die keine organischen Veränderungen zeigen, die für ein anderes Krankheitsbild charakteristisch sind. Leitsymptome sind Diarrhö und/oder Obstipation, Schmerzen und Blähungen.
Sowohl bei obstipativen als auch bei Durchfallbeschwerden empfiehlt die Leitlinie den Einsatz von löslichen Ballaststoffen. Hierfür eignet sich insbesondere die Droge Flohsamenschalen, die den WEU-Status des HMPC innehat (Tabelle 2). Die Indikation lautet: zur Unterstützung bei Reizdarmsyndrom vom obstipativen Typ. Für Erwachsene und für Jugendliche ab zwölf Jahren wird eine tägliche Gesamtdosis von 7 bis 20 g verteilt auf eine bis drei Einzeldosen empfohlen. Dabei ist unbedingt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von mindestens 30 ml Wasser pro Gramm Droge zu achten. Die Monographie weist auch auf Interaktionen hin: Es muss ein Mindestabstand von einer Stunde vor und nach der Einnahme anderer Arzneimittel eingehalten werden, damit es nicht zur Resorptionsbeeinträchtigung dieser Arzneimittel kommt.
Mit der höchsten Empfehlungsstufe führt die Leitlinie Pfefferminzöl auf, das vor allem gegen die Symptome Schmerz und Blähungen wirkt. Diese Einschätzung basiert auf einer sehr guten Studienlage, die auch das HMPC überzeugt hat – für Pfefferminzöl wurde der WEU-Status gewährt. Die Indikation lautet: zur symptomatischen Linderung von leichten Krämpfen des Magen-Darm-Trakts, Blähungen und Bauchschmerzen, insbesondere bei Patienten mit Reizdarmsyndrom. Die Wirksamkeit beruht wahrscheinlich darauf, dass das im Öl enthaltene Menthol ein Antagonist an Calciumkanälen ist, den Calciumeinstrom in die Zelle reduziert und damit die Kontraktilität der glatten Muskulatur hemmt.
In klinischen Studien war Pfefferminzöl anderen Spasmolytika wie N-Butylscopolamin oder Mebeverin überlegen. Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren sollen eine Tagesdosis von 0,6 bis 1,2 ml einnehmen, die auf zwei oder drei Einzeldosen aufgeteilt wird. Für Kinder ab acht Jahren ist eine Dosierung von 0,2 ml dreimal täglich vorgesehen. Wichtig ist, dass die Einnahme eine halbe Stunde vor dem Essen erfolgt und dass das Pfefferminzöl in einer magensaftresistenten Formulierung angewendet wird. Die Weichkapsel darf nicht zerbissen werden, da es sonst zu lokalen Reizungen kommen kann.
Üblicherweise beträgt die Anwendungsdauer eine bis zwei Wochen. Sollten die Symptome persistieren, kann die Einnahme auf bis zu drei Monate ausgedehnt werden. Bei Patienten, die häufiger Sodbrennen haben oder an einer Hiatushernie (Zwerchfellbruch) leiden, können sich die Symptome verschlimmern, da es zu einer Relaxation des Mageneingangs kommt. In solchen Fällen muss die Behandlung beendet werden.
In der Leitlinie wird aufgrund der guten Evidenzbasis auch der Einsatz von STW5 und STW5-II beim Reizdarmsyndrom empfohlen, wobei vor allem die Linderung der abdominellen Schmerzen hervorgehoben wird (Tabelle 2). Klinische Evidenzen für eine Linderung von Reizdarmsymptomen liegen auch für die Kombination aus Pfefferminz- und Kümmelöl (Carmenthin®) vor. Allerdings wird das Präparat nicht in der Leitlinie erwähnt, was wohl darin begründet ist, dass es keine spezifischen Studien mit Reizdarmpatienten gibt. Vielmehr wurde das Phytopharmakon an Patienten mit funktioneller Dyspepsie untersucht. Da sich die Symptome der funktionellen Dyspepsie und des Reizdarmsyndroms überlappen, konnten auch reizdarmassoziierte Symptome erfasst und ausgewertet werden.