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Magen-Darm-Erkrankungen

Phytopharmaka mit und ohne Evidenz

Ingwerrhizom gegen Reisekrankheit, Pfefferminzöl bei Reizdarmsyndrom oder Aloe gegen Verstopfung: Magen-Darm-Beschwerden werden gerne phytotherapeutisch behandelt. Doch wie ist es um die Evidenzen von pflanzlichen Arzneimitteln in diesem Bereich bestellt?
Robert Fürst
Ilse Zündorf
06.03.2022  08:00 Uhr

Appetitlosigkeit

Gegen Appetitlosigkeit werden traditionell Bitterstoffdrogen verwendet. Bitterstoffe sind chemisch recht unterschiedliche Moleküle, beispielsweise Terpene, Flavonoide oder Pregnanderivate. Diese Stoffe aktivieren Bitterrezeptoren, die in den Geschmacksknospen der Zunge, aber auch im weiteren Verlauf des Gastrointestinaltrakts vorkommen. Es wird vermutet, dass die Stimulation der Bitterrezeptoren auf der Zunge die Speichelsekretion anregt und über den Nervus vagus die Verdauungsorgane aktiviert. Vielleicht wird die Sekretion von Verdauungssäften zudem direkt, also lokal, im Verdauungstrakt gefördert.

Aussagekräftige klinische Studien zur Wirksamkeit bei Appetitlosigkeit fehlen. Aber die Wirkung der Bitterstoffdrogen ist durchaus plausibel und es gibt ein langjähriges Erfahrungswissen dazu, sodass die EMA etliche Drogen der Kategorie »TU« für die Indikation »kurzzeitige Appetitlosigkeit« zugeordnet hat (Tabelle 1).

Indikationsbereich Drogen (Beispiele) mit TU-Status
kurzzeitige Appetitlosigkeit Andornkraut, Bitterkleeblätter, Bockshornsamen, Enzianwurzel, Hopfenzapfen, Isländisches Moos, Klettenwurzel, Löwenzahnkraut mit Wurzel, Schafgarbenkraut/-blüten, Tausendgüldenkraut, Teufelskrallenwurzel, Wegwartenwurzel, Wermutkraut
Verdauungsstörungen Anis, Artischockenblätter, Curcumawurzelstock, Fenchel, Kamillenblüten, Kümmel, Mariendistelfrüchte, Pfefferminzblätter, Schafgarbenkraut, Süßholzwurzel, Zimtrinde
Tabelle 1: Beispiele für Drogen aus den Indikationsbereichen Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen mit einem TU-Status gemäß HMPC

Übelkeit und Erbrechen

Der aus Südostasien stammende Ingwer wird dort seit Jahrtausenden als Gewürz- und Arzneipflanze genutzt und hat weltweit Beliebtheit erlangt. Aufgrund der im Wurzelstock enthaltenen Scharfstoffe und des ätherischen Öls wirkt Ingwer verdauungsfördernd und steigert die Sekretion von Speichel, Magensaft und Galle. In Tierversuchen wurde nachgewiesen, dass Ingwerwurzelstock die Magenentleerung fördert, den Magen-Darm-Transit verbessert und Erbrechen reduziert. Dies scheint vor allem auf einer peripheren Wirkung zu beruhen, bei der unter anderem 5-HT3-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt eine Rolle spielen.

Bei gesunden Probanden beeinflusste pulverisiertes Ingwerrhizom in Einzeldosen von 1 bis 2 g die Kontraktion der Magenmuskulatur und beschleunigte die Magenentleerung. Auf das Gleichgewichtssystem hatte Ingwer in diesen Studien keinen Effekt.

In randomisiert-kontrollierten Studien wurde die Wirksamkeit von pulverisiertem Ingwerrhizom bei Übelkeit und Erbrechen nach Operationen, in der Schwangerschaft, während einer Chemotherapie und bei Reisekrankheit (Kinetose) untersucht. Es zeigte sich nur ein geringer positiver Effekt bei postoperativer und schwangerschaftsinduzierter Übelkeit. Insgesamt war die Studienlage aber sehr heterogen.

Nur für die Indikation »Prävention der Reisekrankheit« waren die Studienergebnisse so aussagekräftig, dass das HMPC den WEU-Status vergeben konnte. Erwachsene sollen 1 bis 2 g pulverisierte Droge eine Stunde vor Reiseantritt einnehmen (Tabelle 2). Aufgrund fehlender Daten gilt die WEU-Empfehlung nicht für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Indikation Droge/Extrakt Präparatebeispiele
Prävention der Reisekrankheit Ingwerwurzelstock-Pulver Zintona®
Reizmagen Kombination Pfefferminzöl/Kümmelöl Carmenthin®
Reizmagen STW5 und STW5-II Iberogast® Classic und Advance
Reizdarm Flohsamenschalen Mukofalk®
Reizdarm Pfefferminzöl Buscomint®
Reizdarm Kombination Pfefferminzöl/Kümmelöl Carmenthin®
Reizdarm STW5 und STW5-II Iberogast® Classic und Advance
Colitis ulcerosa (Remissionserhalt) Flohsamenschalen Mukofalk®
Colitis ulcerosa (Remissionserhalt) Myrrhepulver, Kamillenblütenextrakt, Kaffekohlepulver Myrrhinil®
Obstipation Füll- und Quellstoffdrogen
Obstipation Anthranoid-Drogen
Tabelle 2: Evidenzbasierte Empfehlung pflanzlicher Arzneimittel bei Magen-Darm-Beschwerden

Die HMPC-Monographie beinhaltet aber auch den TU-Status für die Indikation »Linderung der Symptome bei Reisekrankheit« mit niedrigeren Dosierungen: Erwachsene sollen 30 Minuten vor Reiseantritt 750 mg und Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren 250 bis 500 mg einnehmen.

Aus Vorsichtsgründen rät das HMPC davon ab, Ingwer während der Schwangerschaft und Stillzeit anzuwenden. Im Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Berlin (www.embryotox.de) wurden inzwischen jedoch Sicherheitsdaten von mehr als 1000 Schwangeren ausgewertet. Dabei wurde kein erhöhtes Risiko gefunden. Die Embryotox-Experten schreiben daher: »Ingwer kann in allen Phasen der Schwangerschaft in üblicher Dosierung eingenommen werden«. Das HMPC und embryotox.de weisen auf Sodbrennen als relevante Nebenwirkung hin.

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