Phenprocoumon womöglich besser als Warfarin |
Kerstin A. Gräfe |
20.11.2024 11:00 Uhr |
Die Cumarine Warfarin und Phenprocoumon als gleichwertig zu betrachten, könnte bedeuten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Darauf deuten die Ergebnisse eines Forschungsteams aus Münster hin. / © Getty Images/Foxline
Cumarine oder auch Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wie Warfarin und Phenprocoumon sind zugunsten der DOAK als orale Gerinnungshemmer aus der Verschreibungslandschaft weitgehend verschwunden. Hintergrund dieser Entwicklung sind randomisierte klinische Studien, in denen die DOAK gegenüber den VKA in der Wirksamkeit nicht unterlegen beziehungsweise teilweise überlegen waren – auch mit Blick auf die Sicherheit. In Deutschland sind derzeit mit dem Thrombin- beziehungsweise Faktor-IIa-Hemmer Dabigatranetexilat (Pradaxa®) sowie den Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®) vier DOAK verfügbar.
Die jeweiligen Zulassungsstudien der DOAK liefen gegen Warfarin, das in den USA bevorzugt verschrieben wird (> 90 Prozent). In Deutschland hingegen ist Phenprocoumon (Marcumar® und Generika) das gebräuchlichste Cumarin. Beiden VKA wird ein ähnliches Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil zugesprochen.
Es sei allerdings fraglich, ob sich die Ergebnisse mit Warfarin auf Phenprocoumon übertragen lassen, schreiben Forschende um Dr. Christiane Engelbertz vom Universitätsklinikum Münster (UKM) im »Journal of Internal Medicine«. Denn es gebe durchaus Unterschiede, zum Beispiel in der Eliminationshalbwertszeit und im Metabolismus. Vor diesem Hintergrund führten sie eine große retrospektive Studie anhand von Patientendatensätzen der Barmer-Ersatzkasse durch, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Phenprocoumon im Vergleich zu DOAK zu bewerten.
Die Arbeitsgruppe um Seniorautor Professor Dr. Holger Reinecke wertete retrospektiv in Zusammenarbeit mit dem Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) die Datensätze von 570.137 Patienten aus, die zwischen Januar 2009 und Dezember 2020 eine Erstverordnung mit einem VKA oder DOAK erhalten hatten. Ausgeschlossen waren Patienten mit vorangegangener oraler Antikoagulation im Zeitraum vor 2005 bis 2008. Die Medikation verteilte sich folgendermaßen: 26,9 Prozent der Patienten erhielten Apixaban, 4,6 Prozent Dabigatran, 8,8 Prozent Edoxaban und 39,1 Prozent Rivaroxaban. 20,7 Prozent erhielten einen VKA, von diesen 99,4 Prozent Phenprocoumon.
Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben, definiert als die Zeit von der ersten Verschreibung einer oralen Antikoagulation bis zum Tod aus beliebiger Ursache. Weitere primäre Endpunkte waren schwere kardiale und zerebrovaskuläre Ereignisse (Major Adverse Cardiac and Cerebrovascular Events MACCE), definiert als akuter Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall, Kammerflimmern, Reanimation oder Tod jeder Ursache sowie schwerwiegende thromboembolische Ereignisse und schwere Blutungen.
Zur Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit führten die Wissenschaftler ein 1:1-Propensity-Score-Matching (PSM) durch, bei dem jedem DOAK-Patienten ein Phenprocoumon-Patient zugeordnet wird. Beim PSM handelt es sich um ein etabliertes Verfahren, mit dem analog zu klinischen Studien eine Art Randomisierung abgebildet wird. Die entsprechende Apixaban-Phenprocoumon-Kohorte bestand aus jeweils 32.379 Patienten, die Dabigatran-Phenprocoumon-Kohorte aus jeweils 19.281 Patienten, die Edoxaban-Phenprocoumon-Gruppe aus jeweils 13.684 Patienten und die Rivaroxaban-Phenprocoumon-Gruppe aus jeweils 72.484 Patienten.