Patienten sorgsam begleiten |
Depressive Menschen zu beraten, fällt schwer. Immer noch sind psychische Erkrankungen tabuisiert. Deshalb kostet es Überwindung, Patienten intensiver auf ihre Beschwerden anzusprechen. Mitarbeiter der Apotheke können Patienten im Verständnis der Therapie schulen, die Adhärenz steigern und die Verträglichkeit durch richtige Arzneimittelanwendung verbessern.
Die Symptome einer unipolaren Depression stellen sich langsam ein. Der Betroffene bemerkt erste Veränderungen wie Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Verstimmungen oder Probleme mit dem Schlaf. In dieser Phase gehen die Patienten häufig zuerst in die Apotheke und fragen zum Beispiel nach einem Schlafmittel, Vitaminen oder Arzneimitteln zur Durchblutungsförderung.
Nun ist der Apotheker gefordert zu entscheiden, ob eine Selbstmedikation überhaupt möglich ist. Handelt es sich wirklich »nur« um Schlafprobleme oder einen Vitaminmangel oder steckt mehr dahinter? Hier helfen die bekannten W-Fragen aus der Leitlinie der BAK zur Beratung bei Abgabe von Arzneimitteln in der Selbstmedikation (4):
Im Zusammenhang mit der unipolaren Depression sollte das Apothekenteam explizit die Hauptsymptome Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit und depressive Stimmung abfragen. Eine Möglichkeit zur schnellen Erfassung einer unipolaren depressiven Störung bietet der »Zwei-Fragen-Test« nach Whooley (3), der mit einer Sensitivität von 96 Prozent und einer Spezifität von 57 Prozent ein sehr praktikables und genaues Vorgehen darstellt:
Werden beide Fragen mit »Ja« beantwortet, ist die klinische Erfassung der formalen Diagnosekriterien beim Arzt erforderlich, da nur durch die explizite Erhebung aller relevanten Haupt- und Nebensymptome eine adäquate Diagnosestellung nach ICD-10 möglich ist (1). Daher sollte der Apotheker dem Kunden den Arztbesuch empfehlen, beispielsweise so: »Ich rate Ihnen eine ärztliche Untersuchung an. Vielleicht handelt es sich um einen Vitaminmangel, möglicherweise steckt etwas Anderes dahinter. Berichten Sie dem Arzt, dass Sie seit ein paar Wochen schlecht schlafen, sich schlapp und müde fühlen und keine Lust mehr an Freizeitaktivitäten haben. Er wird eine sorgfältige Diagnostik machen und kann die richtige zielgerichtete Behandlung vorschlagen.«
Die Grenzen der Selbstmedikation sind auch überschritten, wenn die Betroffenen Kinder oder Jugendliche sind, die Symptome mit Vorerkrankungen oder anderen Medikamenten zusammenhängen können, in der Schwangerschaft oder postpartal sowie bei alten multimorbiden Patienten.
Spricht das Beschwerdebild für eine leichte oder mittelgradige depressive Verstimmung ohne deutliche Alltagseinschränkung und Kontraindikationen, kann ein Arzneimittel mit standardisiertem Johanniskrautextrakt als erster Behandlungsversuch empfohlen werden. Es gibt Patienten, die ein pflanzliches Präparat eher akzeptieren als ein »chemisches«. Für die evidenzbasierte Selbstmedikation kommt nur Johanniskrautextrakt infrage.
Antidepressiv wirkt Johanniskraut über seinen Inhaltsstoff Hyperforin, der die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin aus dem synaptischen Spalt in die Zelle hemmt. In Studien wurde die Wirksamkeit von standardisiertem Johanniskrautextrakt WS 5570 bei leichten bis mittelschweren Depressionen auch im Vergleich zu SSRI nachgewiesen (5, 6). Die empfohlene Tagesdosis beträgt etwa 600 bis 1.200 mg. Apotheker sollten dem Patienten erklären, dass es bei regelmäßiger Einnahme etwa drei Wochen dauert, bis eine Wirkung eintritt.
Egal welches Antidepressivum der Arzt ausgewählt hat: Wirken kann es nur bei ausreichend langer und regelmäßiger Einnahme. / Foto: ABDA
Hyperforin ist ein starker Enzyminduktor von p-Glykoprotein und den Cytochrom-Enzymen CYP3A4, CYP2C9 und CYP2C19. Pharmakokinetische Interaktionen mit herabgesetzten Plasmaspiegeln von Immunsuppressiva, Anti-HIV-Präparaten, Zytostatika, oralen Antikoagulanzien, Digoxin, Hormonen und Simvastatin sind zu erwarten. Bei gleichzeitiger Einnahme bestimmter Antidepressiva (Nefazodon, Paroxetin, Sertralin), Buspiron oder Triptanen kann deren pharmakologische Wirkung verstärkt sein (7). Deshalb sollten Apotheker Patienten mit Polymedikation von Johanniskraut-Präparaten abraten.