Neuer Ansatz zur Cholesterol-Senkung |
Annette Rößler |
17.11.2020 18:00 Uhr |
Abhängig vom individuellen Risiko des Patienten soll der Wert des LDL-Cholesterols unter eine bestimmte Grenze gesenkt werden. Nicht immer gelingt das mit den verfügbaren Medikamenten. / Foto: Adobe Stock/MarekPhotoDesign.com
Abgesehen von dem Cholesterol-Resorptionshemmer Ezetimib entfalten fast alle Medikamente zur Senkung des LDL-Cholesterols ihre Wirkung über den LDL-Rezeptor. Statine tun dies indirekt, indem sie die Cholesterol-Biosynthese hemmen. In der Folge sinkt die LDL-Konzentration im Blut, was kompensatorisch zu einem Anstieg der LDL-Rezeptordichte führt. Auch Bempedoinsäure, eine seit dem 1. November auf dem Markt verfügbare, leberspezifische Alternative zu Statinen, verfolgt dieses Konzept.
Inhibitoren der Proprotein-Konvertase Subtilisin-Kexin Typ 9 (PCSK9) wie Alirocumab (Praluent®) und Evolocumab (Repatha®) erhöhen ebenfalls die LDL-Rezeptordichte, indem sie den intrazellulären Abbau der LDL-Rezeptoren verhindern und ihr Recycling fördern. Inclisiran (Leqvio®) verhindert über RNA-Interferenz die Bildung von PCSK9, senkt so die PCSK9-Konzentration und erhöht so wiederum die LDL-Rezeptordichte. Inclisiran hat bereits die Zulassungsempfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in der Tasche, ist aber noch nicht zugelassen.
Sind die LDL-Cholesterolwerte trotz maximal verträglicher Statin-Therapie und Hinzunahme von Ezetimib noch immer zu hoch, kann mit einem zusätzlichen PCSK-9-Hemmer eine weitere Reduktion um 50 bis 60 Prozent erreicht werden. Bei manchen Patienten wird jedoch selbst damit das Therapieziel – ein LDL-Wert unter 55 mg/dl, 70 mg/dl beziehungsweise 100 mg/dl, je nach kardiovaskulärem Gesamtrisiko – verfehlt. Besonders häufig betrifft das bei Patienten mit familiärer Hypercholesterolämie.
In diesen Fällen könnte künftig Evinacumab von Regeneron eine weitere Eskalation der Therapie ermöglichen. Der Antikörper richtet sich gegen Angiopoietin-like 3 (ANGPTL3), ein Protein, das den Lipidstoffwechsel unabhängig vom LDL-Rezeptor beeinflusst. ANGPTL3 reguliert die Lipoproteinlipase und die endotheliale Lipase. Menschen, deren ANGPTL3 aufgrund einer genetischen Besonderheit nicht funktioniert, haben auffallend niedrige Blutfettwerte; insbesondere das LDL-Cholesterol, die Triglyceride und das HDL-Cholesterol sind reduziert. Zudem ist ihr Risiko, eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln, deutlich geringer als das der Allgemeinbevölkerung.
Bereits im August erschienen im »New England Journal of Medicine« (NEJM) die Ergebnisse der doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie ELIPSE HoFH, der zufolge die Hinzunahme von Evinacumab zu einer bestehenden lipidsenkenden Therapie bei Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterolämie die LDL-Werte um 49 Prozent senken konnte (DOI: 10.1056/NEJMoa2004215). Der Antikörper wurde dabei alle vier Wochen per intravenöser Infusion in einer Dosierung von 15 mg pro kg Körpergewicht gegeben.
In einer jetzt ebenfalls im NEJM publizierten Phase-II-Studie wurden das Einsatzgebiet auf refraktäre Hypercholesterolämie und die Art der Verabreichung auf die subkutane Gabe ausgedehnt (DOI: 10.1056/NEJMoa2031049). An der Studie nahmen 272 Patienten teil, darunter solche mit heterozygoter familiärer Hypercholesterolämie, die bereits mit einem PCSK9-Inhibitor und einem Statin in maximal verträglicher Dosis mit oder ohne Ezetimib behandelt wurden. Zusätzlich dazu erhielten sie randomisiert und doppelblind wöchentlich 300 oder 450 mg Evinacumab subkutan, zweiwöchentlich 300 mg Evinacumab subkutan, alle vier Wochen 5 oder 15 mg pro kg Körpergewicht Evinacumab intravenös oder Placebo.
Nach 16 Wochen waren die LDL-Werte der Patienten in den einzelnen Verumgruppen im Vergleich zu Placebo um 52,9 Prozent, 56,0 Prozent, 38,5 Prozent, 24,2 Prozent beziehungsweise 50,5 Prozent gesunken. Die Verträglichkeit war zufriedenstellend; schwere Nebenwirkungen kamen mit einer Häufigkeit zwischen 3 und 16 Prozent in den verschiedenen Gruppen vor. Ein Patient unter Evinacumab bekam Atemprobleme und einer eine anaphylaktische Reaktion; beides besserte sich nach Absetzen der Medikation.
Derzeit laufen in den USA und in Europa beschleunigte Zulassungsverfahren für Evinacumab bei homozygoter familiärer Hypercholesterolämie. Sollten sich die Ergebnisse der Phase-II-Studie bestätigen lassen, wäre der Nutzen der Add-on-Therapie mit dem ANGPTL3-Hemmer aber nicht auf diese Patientengruppe beschränkt.