Neue Hoffnung auf Heilung? |
Mitte 2019 wurde mit Betibeglogene autotemcel (Zynteglo®) eine Gentherapie, die das Erbgut von Blutstammzellen verändert, für Patienten mit β-Thalassämie von der EMA zugelassen (22). Die Patienten werden zunächst mit Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF) und Perixafor, einem Chemokinrezeptor-CXCR4-Antagonisten, behandelt, um die CD34+-Stammzellen zu mobilisieren. Dabei werden die Stammzellen aus dem Knochenmark in die Blutbahn freigesetzt, sodass sie mittels Apherese entnommen werden können. Im Labor werden die Zellen mithilfe eines nicht replikationsfähigen Lentivirus-Vektors, der eine funktionstüchtige Genvariante enthält, transfiziert.
Vor der Infusion der modifizierten Stammzellen erhalten die Patienten eine myeloablative (knochenmarkszerstörende) Chemotherapie mit Busulfan. Die modifizierten Stammzellen siedeln sich im Knochenmark an und differenzieren zu Erythrozyten, die biologisch aktives β-Globin-Protein produzieren, das zusammen mit α-Globin funktionelles Hämoglobin bildet.
Die Behandlung ist zugelassen für Patienten ab zwölf Jahren, die an einer transfusionsabhängigen Form von β-Thalassämie (TDT) leiden, keinen passenden Spender für eine Stammzelltransplantation haben und die noch β-Globin-Protein produzieren können.
Betibeglogene autotemcel wurde bislang in vier klinischen Studien und einer Langzeitstudie an 32 erwachsenen und jugendlichen TDT-Patienten untersucht. In der Hauptstudie benötigten nach einmaliger intravenöser Infusion elf von 14 Patienten (79 Prozent) keine Erythrozyten-Transfusionen mehr. Das heißt: Innerhalb der zwei Studienjahre lag ihr Hämoglobinwert über einen Zeitraum von zwölf Monaten mindestens bei 9 g/dl oder höher. Ob die Wirkung der Gentherapie lebenslang anhält, kann man noch nicht beurteilen. Bislang liegen Daten für einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren vor.
Die Behandlung wurde im Allgemeinen gut vertragen. In den klinischen Studien mit insgesamt 48 Patienten traten Thrombozytopenien, Bauch- und Brustschmerzen, Schmerzen in den Extremitäten, Atemnot und Rötungen der Haut auf (22). Einen Zusammenhang mit einer akuten myeloischen Leukämie bei zwei Patienten in einer anderen Studie, bei der der gleiche virale Vektor verwendet wurde, hat die europäische Zulassungsbehörde nach eingehender Prüfung ausgeschlossen. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die chemotherapeutische Vorbehandlung das Krebsrisiko erhöht. Die Patienten sollen deshalb 15 Jahre lang mindestens einmal jährlich auf Zeichen von Blutkrebs untersucht werden (23).
Codon: Nukleotidtriplett, das für eine Aminosäure kodiert
Deletion: Mutation, bei der es zum Verlust von Nukleotiden oder DNA-Sequenzen kommt
Episom: eigenständiges genetisches Element außerhalb des Genoms
Insertionsmutation: Einbau von zusätzlichen Nukleotiden oder DNA-Sequenzen in eine DNA-Sequenz. Eine Insertion führt zu einer Leserasterverschiebung, das Genprodukt, das auf dem Gen codiert ist, wird nicht mehr korrekt hergestellt.
Missense-Mutation: Punktmutation, bei der eine einzelne Nukleotidänderung zu einem Codon führt, das für eine andere Aminosäure kodiert
Promotor: Nukleotid-Sequenz der DNA, die die Expression eines Gens ermöglicht, indem sie an die RNA-Polymerase und weitere Proteine, sogenannte Transkriptionsfaktoren, bindet, die den Start des »Ablesens« des Gens durch die RNA-Polymerase vermitteln
Transduktion: Einbringen des genmodifizierten Materials mithilfe viraler Vektoren in eine Zielzelle
Transkription: Synthese von RNA durch Ablesen einer DNA
Translation: Synthese von Proteinen im Anschluss an die Transkription