Erste Gentherapie kurz vor der Zulassung |
PZ |
28.06.2022 10:30 Uhr |
Für Patienten mit einer schweren Hämophilie A könnte bald erstmals eine Gentherapie verfügbar sein. / Foto: Adobe Stock/Creative Vault
Patienten mit Hämophilie A können den für die Blutgerinnung und Blutstillung essenziellen Faktor VIII nicht in ausreichender Menge produzieren. Sie sind daher anfällig für Blutungen und bluten länger, zum Beispiel nach Verletzungen oder bei Operationen. Die Erkrankung ist selten. In der EU sind der EMA zufolge etwa 0,7 von 10.000 Menschen betroffen.
Derzeitige Therapien enthalten meist den Faktor VIII, um das fehlende Protein zu ersetzen. Die verfügbaren Behandlungen erfordern lebenslang eine oder mehrere Injektionen pro Woche oder pro Monat. Daher besteht ein ungedeckter medizinischer Bedarf an neuen Therapieansätzen.
Der zuständige EMA-Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) hat nun empfohlen, Roctavian zur Behandlung der schweren Hämophilie A bei Erwachsenen bedingt zuzulassen. Indiziert ist das Gentherapeutikum bei Betroffenen, die keine Faktor-VIII-Inhibitoren (sogenannte Hemmkörper, die die Wirksamkeit von Faktor-VIII-Medikamenten verringern) und keine Antikörper gegen den Adeno-assoziierten Virus Serotyp 5 (AAV5) haben.
Roctavian wäre im Fall einer Zulassung die erste Gentherapie zur Behandlung der Hämophilie A. Der darin enthaltene Wirkstoff Valoctocogen Roxaparvovec ist ein vektorbasiertes Gentherapeutikum, das eine optimierte Version des natürlichen Faktor-VIII-Gens in einem Adeno-assoziierten Virus-Vektor (AAV5-hVIII) enthält. Wird es einem Patienten als einmalige Infusion verabreicht, soll es das Faktor-VIII-Gen in die Leberzellen transportieren, damit diese den fehlenden Faktor VIII produzieren können.
Wie lange der Behandlungseffekt anhält, ist laut EMA noch nicht bekannt. Ein anhaltender positiver Effekt von bis zu zwei Jahren nach einer einmaligen Infusion sei bei etwa hundert Patienten in der Hauptstudie und bis zu fünf Jahren bei einigen Patienten in einer vom Hersteller unterstützten Studie festgestellt worden.
Das positive Votum stützt sich auf die Ergebnisse einer einarmigen, nicht randomisierten Phase-III-Studie an 134 männlichen Hämophilie-A-Patienten ohne Faktor-VIII-Inhibitor in der Vorgeschichte und ohne nachweisbare Antikörper gegen AAV5. Zwei Jahre nach der Verabreichung zeigten die Wirksamkeitsdaten, dass die Therapie die Faktor-VIII-Aktivitätswerte bei der Mehrheit der Patienten signifikant erhöhte. Die Blutungsraten gingen um 85 Prozent zurück und die meisten Patienten (128) benötigten keine Faktor-VIII-Ersatztherapie mehr.
Eine häufige Nebenwirkung AAV-basierter Gentherapien ist Hepatotoxizität, die mit erhöhten Leberenzymwerten (ALT) einhergeht. Sie wurde auch unter Roctavian beobachtet. Der EMA zufolge könne sie erfolgreich mit Corticosteroiden behandelt werden. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen und Übelkeit.
Die mit Roctavian behandelten Patienten werden 15 Jahre lang überwacht, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit dieser Gentherapie zu gewährleisten.