Erste Gentherapie bei Hämophilie B |
Sven Siebenand |
30.11.2022 14:00 Uhr |
Die Hämophilie B ist deutlich seltener als die Hämophilie A. Man geht von knapp 800 Betroffenen in Deutschland aus. Während es bei Hämophilie A an Aktivität des Blutgerinnungsfaktors VIII mangelt, fehlt bei Hämophilie B der Faktor IX. / Foto: Adobe Stock/Saiful52
Auf dem Gebiet der Hämophilie-Behandlung tut sich einiges. In diesem Monat kam mit Eptacog beta (Cevenfacta®, LFB) ein neues Bypass-Medikament bei Hämophilie in den Handel. Und vor wenigen Monaten wurde in Deutschland die erste Gentherapie für bestimmte Patienten mit Hämophilie A auf den Markt eingeführt: Valoctocogen Roxaparvovec (Roctavian®, Biomarin). Nun gibt es in den USA eine erste zugelassene Therapie bei der deutlich selteneren Hämophilie B. Bei dieser fehlt es an Aktivität des Blutgerinnungsfaktors IX, sodass es auch bei dieser Gerinnungsstörung zu Blutungen kommt. Viele Betroffenen erhalten bisher im Rahmen einer Substitutionsbehandlung regelmäßig Faktor-IX-Präparate .
Etranacogen Dezaparvovec wird einmalig als intravenöse Infusion angewendet. Es besteht aus einem nicht replizierenden viralen Vektor (Adeno-assoziierten Virus des Serotyps 5, AAV5), der eine Codon-optimierte DNA-Sequenz der Padua-Variante, einer Gain-of-Function-Variante von humanem Faktor IX, enthält. Diese Variante liefert Faktor-IX-Proteine, die fünf- bis achtmal aktiver sind als gewöhnlich. Aufgrund des Tropismus des Vektors und eines leberspezifischen Promotors erfolgt die Faktor-IX-Produktion hauptsächlich in Hepatozyten. Innerhalb der Zelle formt das Transgen ein stabiles Episom, das außerhalb des Genoms vorliegt.
Hemgenix ist für die Behandlung von Erwachsenen mit Hämophilie B zugelassen, die derzeit eine Faktor-IX-Prophylaxe-Therapie bekommen oder die lebensbedrohliche Blutungen hatten/haben beziehungsweise wiederholt schwere spontane Blutungsepisoden aufweisen. Basis der Zulassung sind Studiendaten, die zeigen, dass das Gentherapeutikum die jährliche Blutungsrate (annualized bleeding rate, ABR) deutlich reduzieren kann. In einer Studie mit 54 Teilnehmern wiesen die Patienten erhöhte Faktor-IX-Aktivitätsspiegel und eine 54-prozentige Verringerung der ABR im Vergleich zum Ausgangswert auf. Ein Großteil der Patienten konnte nach der Gentherapie auf die prophylaktische Gabe von Faktor-IX-Präparaten komplett verzichten.
Die häufigsten Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Hemgenix waren ein Anstieg der Leberenzymwerte, Kopfschmerzen, infusionsbedingte Reaktionen und grippeähnliche Symptome. Die Patienten sollten auf unerwünschte Infusionsreaktionen und Leberenzymerhöhungen im Blut überwacht werden.
Zukünftig wird man im Blick behalten müssen, wie lange die Wirksamkeit dieser Gentherapie tatsächlich anhält. Die Kosten für Hemgenix beziffern sich Meldungen zufolge auf etwa 3,5 Millionen US-Dollar. Der EU-Zulassungsantrag für Etranacogen Dezaparvovec wird seit März 2022 im Rahmen einer beschleunigten Bewertung von der EMA geprüft. Gut möglich, dass das Mittel demnächst auch in Europa eine Zulassung vorzuweisen hat.