Pharmazeutische Zeitung online
Verunreinigung

NDMA in Ranitidin durch falsche Lagerung?

Ein US-Labor meldet, dass das potenziell krebserregende Nitrosamin NDMA in Ranitidin-Tabletten entstehen kann, wenn die Medikamente bei hohen Temperaturen gelagert und transportiert werden. In einer Petition hat das Unternehmen nun die Aufsichtsbehörde FDA aufgefordert, alle Ranitidin-Präparate zurückzurufen.
Daniela Hüttemann
07.01.2020  12:14 Uhr

Das US-Auftragslabor Emery Pharma hat in eigenen Analysen nach einer FDA-konformen Untersuchungsmethode Probleme mit der Stabilität von Ranitidin-Präparaten festgestellt. Demnach sei Ranitidin nicht hitzestabil und bei erhöhten Temperaturen, wie sie bei Hitze in Fahrzeugen entstehen, könnten sich signifikante Mengen des potenziell krebserregenden Nitrosamins N-Nitrosodimethylamin (NDMA) bilden. »Mit Blick auf die bisherigen Erkenntnisse zum Thema Nitrosamine/Ranitidin ist diese Meldung sehr ernst zu nehmen«, so die Einschätzung von Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Goethe-Universität Frankfurt, der auch wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL) ist.

Emery Pharma vermutet, dass sich in Ranitidin-Präparaten, die den Pharmahersteller mit akzeptablen NDMA-Mengen verlassen, beim Transport große Mengen des Nitrosamins bilden können. Dies sei vor allem im Süden der USA und anderen warmen Ländern der Fall. Derzeit ist eine Kühlung der Präparate nicht vorgeschrieben. In einer Bürgerpetition forderte das Labor nun die US-Arzneimittelbehörde FDA auf, alle Chargen Ranitidin-haltiger Präparate vom gesamten US-Markt zurückzurufen, entsprechende Analysen durchzuführen und die Auslieferung nur noch in gekühlten Fahrzeugen zu erlauben. Außerdem fordert Emery Pharma, die Patienten zu informieren sowie alle Ranitidin-Produkte in Zukunft mit einer entsprechenden Warnung und einem temperatursensitiven Label zu versehen und unter die Verschreibungspflicht zu stellen.

Emery Pharma zufolge hatte eine US-Apotheke bereits am 9. September 2019 eine erste Petition an die FDA gerichtet, in der sie auf eigene Untersuchungsergebnisse hinwies, die stark erhöhte NDMA-Werte in Ranitidin-Präparaten verschiedener Chargen, Hersteller und Formulierungen gezeigt hatten. Der von der FDA vorgegebene Grenzwert liegt bei 96 Nanogramm NDMA pro Tagesdosis, während das US-Labor Gehalte von bis zu 3 Millionen Nanogramm fand. Man vermutete damals, dass diese extrem hohen Werte ein Artefakt der Untersuchungsmethode waren. Bei der Headspace-Gaschromatografie-Massenspektrometrie (HS-GC-MS) muss die Probe auf 130 °C oder höher erhitzt werden.

Mitte September veranlassten dann sowohl die FDA als auch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Untersuchungen von Ranitidin-Präparaten auf NDMA. Es stellte sich heraus, dass auch deutsche Präparate betroffen waren; diese wurden zurückgerufen. Anders als bei Valsartan und anderen Sartanen mit Tetrazolring entsteht NDMA in Ranitidin nicht bei der Synthese. Vermutet wird, dass es aus bereits verunreinigten, recycelten Lösungsmitteln stammt, oder eben aus Ranitidin, das ein tertiäres Amin ist, selbst entstehen kann, erklärte damals die stellvertretende Leiterin des ZL, Professor Dr. Mona Tawab, gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. 

Zu hohe NDMA-Werte bereits nach fünf Tagen

Die FDA empfahl nun, Ranitidin mittels Flüssigchromatografie mit hochauflösender Massenspektrometrie (LC-HRMS) zu untersuchen. Dabei wurden in denselben Chargen deutlich geringere NDMA-Mengen gefunden als mit der HS-GC-MS, wenn auch immer noch über dem akzeptablen Wert. Emery Pharma hat seine Analysen nun mit der neu vorgeschriebenen Methode durchgeführt und dafür zuvor Ranitidin-Referenzsubstanz sowie das Präparat Zantac cool mint bei 25 °C und bei 70 °C gelagert und nach unterschiedlicher Zeit untersucht. Zwar blieb der NDMA-Gehalt des Zantac-Präparats unter der Grenze von 96 ng, die Probe der Referenzsubstanz (USP Ranitidine) enthielt jedoch bereits nach fünf Tagen bei 70 °C mehr NDMA als akzeptabel.

Die Analysen bei Emery Pharma dauern an. Das Labor will demnächst umfassendere Daten präsentieren und bereitet eine Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Fachjournal vor. Alles deute darauf hin, dass Ranitidin bei Temperaturen höher als 25 °C nicht hitzestabil sei. Nach Einschätzung der stellvertretenden ZL-Leiterin zeigen die Ergebnisse, dass nun grundsätzlich über die Konzeption der sogenannten Stresstests bei hitzelabilen Substanzen nachgedacht werden müsse, die die Hersteller vor der Zulassung durchführen müssen. Diese Tests würden in der Regel für Europa nur bis 40 Grad Celsius durchgeführt, was auch im Hinblick auf den Klimawandel zu hinterfragen sei.

Eine Anfrage der PZ an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, ob nun mit weiteren Rückrufen in Deutschland zu rechnen sein, blieb vorerst unbeantwortet. Schubert-Zsilavecz, Professor für Pharmazeutische Chemie, würde einen Rückruf aller Ranitidin-Präparate bis zur Klärung der endgültigen Sachverhalte begrüßen, zumal es genügend Alternativen für den Wirkstoff gebe, der ohnehin im Hinblick auf seine chemische Struktur ein problematischer Arzneistoff sei.

Sowohl Apotheken und Distributeure als auch Patienten machen sicherlich nichts verkehrt, wenn sie auf die korrekte Lagerung unterhalb von 25 °C achten. Patienten sollten ihr Medikament also im Sommer nicht im Auto lagern und auch bei Urlaubsreisen in warme Länder entsprechend informiert sein.

Mehr von Avoxa