Medikamente bei Aggression und Gewalt |
Anders als bei akuten Erregungszuständen, die rasches Handeln erfordern, steht bei rezidivierend aggressivem Verhalten die geplante langfristige Behandlung im Fokus. Psychiatrische Grunderkrankungen, bei denen aggressive Episoden Teil des Krankheitsbildes sind, sind Schizophrenie, geistige Behinderung oder Demenz.
Die zugrunde liegende Erkrankung muss klar diagnostiziert und adäquat therapiert sein. Es ist auszuschließen, dass die aggressiven Episoden durch ungünstige und vermeidbare Situationen ausgelöst werden. Eine pharmakologische Therapie kann nur das Ziel haben, die Erkrankung zu stabilisieren oder die soziale Teilhabe zu verbessern.
Bei psychotischen Patienten geht es hauptsächlich um die konsequente und leitliniengerechte Therapie der Grunderkrankung. Häufig spielen Adhärenzprobleme eine Rolle, weshalb Depotpräparate zu erwägen sind. Das Reserve-Antipsychotikum Clozapin zeigt in Studien einen deutlichen antiaggressiven Effekt, der unabhängig von der antipsychotischen oder sedierenden Wirkung zu sein scheint. Man setzt es ein bei therapieresistenten Schizophrenien oder bei hoher Gewaltbereitschaft.
Clozapin darf nur unter engmaschiger Kontrolle, Beachtung der Kontraindikationen und Überwachung des Serumspiegels mittels Therapeutischem Drug Monitoring eingesetzt werden. Es wird ein Serumspiegel im oberen Referenzbereich angestrebt. In Einzelfällen kann hierzu die übliche Maximaldosis überschritten werden oder Clozapin mit einem hauptsächlich D2-blockierenden Antipsychotikum wie Amisulprid kombiniert werden.
Liegt aggressives Verhalten bei einer therapieresistenten Schizophrenie und einer affektiven Störungskomponente vor, also eine schizoaffektive oder bipolare Störung, wird manchmal Valproat zusätzlich zur antipsychotischen Medikation gegeben.
Andere Stimmungsstabilisierer (Carbamazepin, Topiramat) und Benzodiazepine werden nicht empfohlen. Auch eine Kombination von Antipsychotika mit Betablockern ist wirkungslos bei rezidivierender Aggression.
Wenn Demenzpatienten immer wieder herausforderndes Verhalten zeigen, soll zunächst geprüft werden, ob andere Faktoren dafür verantwortlich sind. Körperliche Beeinträchtigungen, Schmerzen, Harnwegsinfektionen oder ein Delir sind auszuschließen beziehungsweise adäquat zu therapieren.
Herausforderndes Verhalten ist eine große Belastung für die Angehörigen und Pflegenden. / © Adobe Stock/Robert Kneschke
Die Umgebung soll nach Möglichkeit so eingerichtet sein, dass der Mensch sich wohlfühlt und gut orientieren kann. Die Demenz macht die Welt für die Betroffenen bedrohlich und unverständlich, was Stress und damit aggressives Verhalten hervorrufen kann. Daher gilt die Faustregel: Alles, was Stress für den Patienten vermeidet, verringert das Risiko für herausforderndes Verhalten.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen haben einen hohen Stellenwert. Hierzu zählen organisatorische Maßnahmen wie eine gleichbleibende Umgebung und Bezugsperson sowie ein wertschätzender zugewandter Umgang mit den Erkrankten. Auch die Herstellung einer positiven Gefühlswelt durch regelmäßige Erinnerungspflege, zum Beispiel Anschauen alter Fotos, gemeinsames Singen, Musik oder körperliche Aktivität, zum Beispiel Spaziergänge oder Gymnastik, können helfen.
Verträglichkeit und Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung sollen nach vier bis acht Wochen nach vorab definierten Kriterien überprüft werden. Orales Risperidon ist zur Kurzzeitbehandlung (maximal sechs Wochen) bei anhaltender Aggression bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz zugelassen, wenn diese auf nicht-pharmakologische Methoden nicht ansprechen und wenn ein Risiko für Eigen- oder Fremdgefährdung besteht. Die Dosierung soll einschleichend erfolgen und darf maximal 2 mg am Tag betragen. Off Label wird auch Quetiapin in niedrigen Dosierungen (12,5 bis 75 mg/Tag als Einzelgabe) oder Aripiprazol verwendet. Auch wenn die klinische Evidenz hierfür fehlt, werden häufig auch Melperon oder Pipamperon in teilweise sehr geringen Dosen off Label eingesetzt.
Patienten mit Demenz haben ein etwa 1,5-fach erhöhtes Risiko zu versterben, wenn sie mit Antipsychotika behandelt werden. Warum, ist noch nicht abschließend geklärt. Zu den bekannten Teilerklärungen gehören zerebrovaskuläre Ereignisse, Stürze, Infektionen und kognitive Verschlechterung. Besonders gefährlich scheinen die ersten Monate der Therapie zu sein.
Das Risiko für eine Lungeninfektion verdreifacht sich unter Antipsychotika. Die Wirkstoffe können zu Schluckstörungen, Sedation und Mundtrockenheit beitragen. In Summe steigt die Gefahr, dass Speisebrei nicht richtig transportiert und aspiriert wird, was eine Infektion auslösen kann.
Auch kaum anticholinerg wirkende Antipsychotika wie Quetiapin können den kognitiven Abbau beschleunigen. In einer Studie war der kognitive Abbau unter Quetiapin nach 36 Wochen so weit fortgeschritten wie unter 52 Wochen unter Placebo.
Ob Antidementiva eine gezielte Wirkung auf herausforderndes Verhalten haben, wird widersprüchlich diskutiert. Antidementiva können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und daher dazu beitragen, dass herausforderndes Verhalten später auftritt. Agitation zählt jedoch zu den häufigeren Nebenwirkungen. In einigen klinischen Studien waren Antidementiva zwar wirksam gegen Agitiertheit und Aggression, jedoch konnten diese Effekte nicht schlüssig reproduziert werden. Unter Antidementiva mussten mehr Patienten als unter Placebo die Therapie wegen Agitiertheit als UAW abbrechen.
Auch für Benzodiazepine, Betablocker, SSRI, Valproat und typische Antipsychotika gibt es keine guten Belege für die Wirksamkeit beziehungsweise werden diese Stoffe aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils nicht empfohlen.