Medikamente bei Aggression und Gewalt |
Aggressives Verhalten an sich ist keine Indikation für eine Pharmakotherapie. Nur wenn eine Erkrankung zugrunde liegt, kann eine medikamentöse Behandlung erwogen werden. Nahezu immer geht eine krankheitsbedingte Aggression mit einem psychomotorischen Erregungszustand einher.
Ziel der akuten pharmakologischen Intervention ist in der Regel eine rasche Beruhigung, um gefährliche Erregungszustände zu kontrollieren. In der Regel soll die Sedierung nicht zum Einschlafen führen. Dies kann nur sinnvoll sein, wenn der Patient aufgrund der Erregung, zum Beispiel in einer manischen Phase, schon tagelang nicht mehr geschlafen hat.
Treten Aggression und Gewalt auf, handelt es sich um akute Notfälle. In diesen Situationen lassen sich kontrollierte randomisierte Studien kaum durchführen, zumal Menschen im Erregungszustand meist nicht einwilligungsfähig sind. Häufig können diese Situationen und Interventionen erst rückblickend oder durch die Auswertung indirekt patientenbezogener Daten, zum Beispiel durch Einsatzberichte, bewertet werden. Die Datenlage ist entsprechend spärlich, lückenhaft und oft uneinheitlich.
In Deutschland werden üblicherweise Benzodiazepine und Antipsychotika eingesetzt (Grafik). Grundsätzlich ist die orale Route zu bevorzugen, zum Beispiel mit schnell löslichen Formulierungen, wenn der Patient dem zustimmt. Bei Agitiertheit oder Aggression tritt eine Wirkung innerhalb von 60 Minuten ein; Benzodiazepine wirken meist innerhalb von 10 Minuten. Laut Literatur werden die maximalen Blutspiegel nach oraler und intramuskulärer Injektion nahezu zeitgleich erreicht.
Zunächst ist zu entscheiden, ob es sich um einen psychomotorischen Erregungszustand mit oder ohne psychotisches Erleben handelt und ob er durch eine Intoxikation hervorgerufen sein kann.
Grafik: Der Algorithmus zeigt die typische Vorgehensweise in der Praxis. Abweichungen sind je nach Situation, Patient und klinischer Einschätzung jederzeit möglich und oft notwendig. / © PZ/Pfeifer
Bei aggressivem Verhalten ohne psychotische Elemente, beispielsweise paranoiden Wahn oder Halluzinationen, sind Benzodiazepine die Mittel der Wahl. Die alleinige Gabe eines Benzodiazepins birgt im Vergleich zur gleichzeitigen Gabe eines Antipsychotikums ein geringeres Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW). Das Risiko einer paradoxen Reaktion, besonders bei hochbetagten Patienten oder solchen mit Hirnschäden, sollte berücksichtigt werden.
Am häufigsten wird Lorazepam verwendet; vereinzelt auch Diazepam, wenn eine länger anhaltende Wirksamkeit gewünscht ist oder schwere Symptome vorliegen. Das Risiko einer überschießenden Sedierung und damit einer Atemdepression ist zu beachten; besonders für Midazolam gibt es negative Erfahrungsberichte. In der Überwachung sollte daher das Benzodiazepin-Antidot Flumazenil griffbereit sein.
Benzodiazepine können eine anterograde Amnesie auslösen. Das bedeutet, dass der Patient nach der Einnahme keine neuen Erinnerungen bilden kann. Dies kann, besonders bei längerer Anwendung oder beeinträchtigter Kognition, zu fehlender zeitlicher und räumlicher Orientierung und Verwirrtheit führen, was wiederum aggressives Verhalten fördern kann.