Medikamente bei Aggression und Gewalt |
Jeder Mensch kann Zorn und Aggression erleben. Oft entstehen diese in Alltagssituationen. / © Shutterstock/Andrii Iemelianenko
Aggression wird durch ein komplexes Zusammenspiel miteinander verbundener Hirnregionen reguliert. Vollständig verstanden sind die Prozesse noch nicht. Man geht, stark vereinfacht, von einer emotionalen Aktivierung des limbischen Systems mit anschließender Kontrolle durch den Cortex aus.
Die Amygdala, eine mandelförmige Struktur tief im Schläfenlappen, spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Bedrohung und der Auslösung emotionaler Reaktionen wie Angst oder Aggression. Eine Hyperaktivität der Amygdala wurde mit erhöhter Reizbarkeit und impulsiver Aggression in Verbindung gebracht. Besonders der ventromediale und laterale Bereich des Hypothalamus sind an urtümlichen emotionalen Reaktionen beteiligt und können bei Stimulation aggressives Verhalten auslösen.
Der präfrontale Cortex (Stirnhirn) trägt zur Regulierung von Impulsen und der Steuerung sozialen Verhaltens bei. Eine Schädigung oder Funktionsstörung in diesem Bereich, zum Beispiel aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas, eines Schlaganfalls oder bei frontotemporaler Demenz, kann das Urteilsvermögen und die Hemmschwelle herabsetzen, was zu erhöhter Aggression führen kann. Besonders im präfrontalen Cortex sind niedrige Serotonin-Spiegel mit schlechter Impulskontrolle und aggressiven Reaktionen verknüpft. Dies wird häufig bei Patienten mit affektiven Störungen oder einigen Persönlichkeitsstörungen beobachtet.
Der vordere Teil des Gyrus cinguli integriert emotionale und kognitive Informationen und ist an der Impulskontrolle beteiligt. Auch hier kann eine Schädigung zu mehr Aggression beitragen. Der Gyrus cinguli ist Teil des limbischen Systems, in dem Dopamin eine komplexe Rolle bei der Entstehung von Aggression spielt: Dopamin ist assoziiert mit dem Belohnungssystem, kann jedoch auch die Neigung zu aggressivem Verhalten begünstigen, wenn dieses als belohnend oder befreiend empfunden wird. Diese Zustände können zum Beispiel bei Manie, Psychosen oder einer Intoxikation von Stimulanzien auftreten.
Aber auch außerhalb des Gehirns kann aggressives Verhalten moduliert werden: Noradrenalin und Adrenalin, die bei Stressreaktionen aus den Nebennieren ausgeschüttet werden, bereiten den Körper auf Kampf oder Flucht vor. Erhöhte noradrenerge Transmission kann, besonders bei ängstlichen oder posttraumatisch belasteten Patienten, zu Erregung und Aggression beitragen.
Hohe Spiegel von Testosteron, insbesondere in Verbindung mit niedrigen Cortisol-Spiegeln, können aggressive Tendenzen begünstigen – besonders bei Männern.
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Häufig beantworten wir diese Frage im soziologischen Kontext. Menschen erleben Aggression als etwas, das aus der Situation entsteht: als Reaktion auf empfundene Ungerechtigkeit, Überforderung oder Bedrohung. Aggression kann helfen, eine Herausforderung zu überstehen, sich durchzusetzen oder Schaden abzuwenden. Das Elternhaus, der persönliche Lebensweg und die Kultur formen, wie Menschen mit ihren Aggressionen umgehen. Je nach Situation können verschiedene gesellschaftliche Normen zum Tragen kommen: am Familientisch andere als auf dem Fußballfeld zum Beispiel.
Auch im medizinischen Umfeld entstehen häufig Aggressionen. Missempfinden und Krankheiten sind für die Patienten unangenehm, schmerzhaft oder bedrohlich. Die Nerven liegen blank und das komplexe Gesundheitssystem wirkt schnell ungerecht oder überfordernd. Oft sind Patienten herausgerissen aus ihrem »normalen« Umfeld und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen und was auf sie zukommt. Aggression als spontane Reaktion hierauf ist verständlich. Nur schwer kann man jedoch verstehen, warum Aggression immer häufiger zu Konflikt, Drohung und Gewalt wird.
Auch Heilberufler erleben Aggression und Gewalt. Körperliche Übergriffe auf medizinisches Personal haben zugenommen. Laut einer Sonderauswertung der polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2023 in Krankenhäusern 126 Fälle von Körperverletzung und tätlichen Angriffen festgestellt. Im Vorjahr waren es noch 115.
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) registriert jährlich rund 5300 gewalttätige Übergriffe auf Pflegekräfte. Auch in den Praxen nimmt das Problem zu. In einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gaben knapp 80 Prozent der niedergelassenen Versorger an, 2023 verbale Gewalt wie Beschimpfungen oder Drohungen erlebt zu haben. Laut Umfrage waren mehr als 40 Prozent der etwa 7600 Befragten in den letzten fünf Jahren schon einmal angegriffen worden.
Aufgrund der vielen neurobiologischen Einflussfaktoren auf die Entstehung von Aggression existiert bislang kein überzeugendes einheitliches pharmakologisches Modell zu deren Therapie.
Zwar geht man in vielen Fällen von einer Störung der serotoninergen Funktionen – ähnlich wie bei Impulskontrollstörungen – aus, jedoch haben sich selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) als unwirksam gegen akute Aggression erwiesen.
In der Praxis haben sich unspezifische »Dirty Drugs«, also Arzneimittel mit mehreren Rezeptorzielen, bewährt. Sie wirken besser als selektive Substanzen. Auch aufgrund der antidopaminergen Wirkung, die zum Beispiel in der manischen Phase oder bei Schizophrenie wichtig ist, werden häufig Antipsychotika verwendet. Interessanterweise sind Arzneimittel wie Amisulprid, die gezielt Dopamin-Rezeptoren blockieren, weniger wirksam als unselektive Wirkstoffe.
Gamma-Aminobuttersäure (GABA) ist der wichtigste dämpfende Neurotransmitter des Gehirns. Benzodiazepine, die die GABA-Transmission verstärken, werden im Akutfall häufig zur Sedierung aggressiver oder erregter Patienten verwendet. Allerdings birgt die Dämpfung auch Gefahren. Zum einen kann dadurch die Kognition verschlechtert werden, wodurch die Welt für den Patienten noch bedrohlicher und unverständlicher wird: Die Neigung zu aggressivem Verhalten kann zunehmen. Zum anderen kann auch eine Enthemmung auftreten, wodurch die Kontrolle über aggressive Impulse abnimmt.
Man spricht dann von einer »paradoxen Reaktion« auf Benzodiazepine. Diese paradoxen Reaktionen treten besonders häufig bei hohen Dosen, rascher Dosissteigerung, gleichzeitigem Konsum von Alkohol oder bei Patienten mit geschädigtem Frontalhirn auf.
Wie komplex die Wirkung von Arzneimitteln sein kann, zeigt das Beispiel der Statine. Die cholesterolsenkenden Medikamente beeinflussen den Testosteronspiegel – ein Hormon, das mit Aggression in Verbindung steht. Ein niedriger Spiegel senkt tendenziell die Aggression. Statine können aber auch den Schlaf stören, was wiederum die Aggression steigern kann.
Auch die Senkung des Cholesterols selbst scheint das Aggressionspotenzial zu erhöhen. Vor allem junge Männer zeigen unter Statintherapie oft ein vermindertes Aggressionsniveau – ältere Frauen hingegen ein erhöhtes.
Auch dies ist eine Form von Aggression. / © Shutterstock/SpeedKingz
Eine verbindliche Definition für aggressives oder gewalttätiges Verhalten gibt es weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene. In der psychiatrischen Praxis werden mehrere Begriffe genutzt: Agitiertheit, Aggression, Gewalt und der sogenannte psychomotorische Erregungszustand. Sie beschreiben unterschiedliche Eskalationsstufen von innerer Unruhe bis hin zum tätlichen Angriff. Eine klare Trennlinie gibt es nicht immer, doch eine grobe Orientierung hilft.
Die Übergänge sind fließend und häufig werden die Begriffe als Abstufung verwendet: Agitation < Aggression < Gewalt.
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Das Verhalten von Menschen mit geistiger Behinderung, neurologischen Schädigungen oder kognitiven Einbußen, am häufigsten verursacht durch eine Demenz, kann von der Norm abweichen. Es kann vorkommen, dass sich die Menschen erregt oder aggressiv zeigen, um sich schlagen, beißen, kratzen, Gegenstände werfen oder sich selbst und andere verletzen.
Diese Menschen sollen nicht als verhaltensgestört oder aggressiv abgestempelt werden. Das Problem liegt nämlich nicht am Menschen selbst, sondern an seiner krankheitsbedingt unnormalen Reaktion auf äußere oder innere Reize. Man spricht von herausforderndem Verhalten, denn es stellt eine Herausforderung für das Umfeld dar: für Behandler, Pflegekräfte, Angehörige oder Mitbewohner.
Der Blick soll weg vom Patienten gehen und hin zu den ihn umgebenden Faktoren, die zum herausfordernden Verhalten führen können.
Aggressives Verhalten an sich ist keine Indikation für eine Pharmakotherapie. Nur wenn eine Erkrankung zugrunde liegt, kann eine medikamentöse Behandlung erwogen werden. Nahezu immer geht eine krankheitsbedingte Aggression mit einem psychomotorischen Erregungszustand einher.
Ziel der akuten pharmakologischen Intervention ist in der Regel eine rasche Beruhigung, um gefährliche Erregungszustände zu kontrollieren. In der Regel soll die Sedierung nicht zum Einschlafen führen. Dies kann nur sinnvoll sein, wenn der Patient aufgrund der Erregung, zum Beispiel in einer manischen Phase, schon tagelang nicht mehr geschlafen hat.
Treten Aggression und Gewalt auf, handelt es sich um akute Notfälle. In diesen Situationen lassen sich kontrollierte randomisierte Studien kaum durchführen, zumal Menschen im Erregungszustand meist nicht einwilligungsfähig sind. Häufig können diese Situationen und Interventionen erst rückblickend oder durch die Auswertung indirekt patientenbezogener Daten, zum Beispiel durch Einsatzberichte, bewertet werden. Die Datenlage ist entsprechend spärlich, lückenhaft und oft uneinheitlich.
In Deutschland werden üblicherweise Benzodiazepine und Antipsychotika eingesetzt (Grafik). Grundsätzlich ist die orale Route zu bevorzugen, zum Beispiel mit schnell löslichen Formulierungen, wenn der Patient dem zustimmt. Bei Agitiertheit oder Aggression tritt eine Wirkung innerhalb von 60 Minuten ein; Benzodiazepine wirken meist innerhalb von 10 Minuten. Laut Literatur werden die maximalen Blutspiegel nach oraler und intramuskulärer Injektion nahezu zeitgleich erreicht.
Zunächst ist zu entscheiden, ob es sich um einen psychomotorischen Erregungszustand mit oder ohne psychotisches Erleben handelt und ob er durch eine Intoxikation hervorgerufen sein kann.
Grafik: Der Algorithmus zeigt die typische Vorgehensweise in der Praxis. Abweichungen sind je nach Situation, Patient und klinischer Einschätzung jederzeit möglich und oft notwendig. / © PZ/Pfeifer
Bei aggressivem Verhalten ohne psychotische Elemente, beispielsweise paranoiden Wahn oder Halluzinationen, sind Benzodiazepine die Mittel der Wahl. Die alleinige Gabe eines Benzodiazepins birgt im Vergleich zur gleichzeitigen Gabe eines Antipsychotikums ein geringeres Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW). Das Risiko einer paradoxen Reaktion, besonders bei hochbetagten Patienten oder solchen mit Hirnschäden, sollte berücksichtigt werden.
Am häufigsten wird Lorazepam verwendet; vereinzelt auch Diazepam, wenn eine länger anhaltende Wirksamkeit gewünscht ist oder schwere Symptome vorliegen. Das Risiko einer überschießenden Sedierung und damit einer Atemdepression ist zu beachten; besonders für Midazolam gibt es negative Erfahrungsberichte. In der Überwachung sollte daher das Benzodiazepin-Antidot Flumazenil griffbereit sein.
Benzodiazepine können eine anterograde Amnesie auslösen. Das bedeutet, dass der Patient nach der Einnahme keine neuen Erinnerungen bilden kann. Dies kann, besonders bei längerer Anwendung oder beeinträchtigter Kognition, zu fehlender zeitlicher und räumlicher Orientierung und Verwirrtheit führen, was wiederum aggressives Verhalten fördern kann.
Tritt das aggressive Verhalten mit psychotischen Elementen auf, stehen Antipsychotika im Vordergrund. Die Datenlage ist schwach. Die besten Daten liegen für das alte typische Neuroleptikum Haloperidol vor. Dieses kann zu Bewegungsstörungen (EPMS) führen und die QT-Zeit verlängern. Aufgrund der kardialen UAW soll Haloperidol nicht mehr intravenös verabreicht werden und eine wiederholte intramuskuläre Injektion soll nur unter ständiger EKG-Überwachung erfolgen.
In puncto kardialer Nebenwirkungen ist allgemein zu bedenken, dass ein Patient im psychomotorischen Erregungszustand stark adrenerg stimuliert ist. Auch ohne Gabe von anticholinergen Arzneimitteln stellt dies ein Risiko für Blutdruckkrisen, Myokardischämie, Herzrhythmusstörungen oder die Entgleisung einer Herzinsuffizienz dar.
Treten behandlungsbedürftige aggressive Erregungszustände in Verbindung mit Alkohol auf, wird meist Haloperidol als Monotherapie eingesetzt. / © Shutterstock/Kamil Zajaczkowski
In der Praxis werden zunehmend Olanzapin oder Risperidon oral eingesetzt. Risperidon steht hierfür nur oral zur Verfügung. Olanzapin darf intravenös nicht mit Benzodiazepinen kombiniert werden, wegen des Risikos von Kreislaufversagen und Atemdepression, die tödlich verlaufen können. Olanzapin oral war Haloperidol zwar in der Symptomsenkung während der ersten zwei Stunden überlegen, zeigte nach 24 Stunden jedoch keinen Vorteil. Oft werden Haloperidol und Risperidon zusammen mit sedierenden Arzneimitteln, meist Lorazepam, verabreicht, auch wenn hierzu wenig Evidenz vorliegt. Manchmal wird auch das niederpotente Neuroleptikum Promethazin mit Haloperidol kombiniert.
Die Behandlungsstrategien werden maßgeblich davon beeinflusst, mit welchen Substanzen oder Kombinationen die Behandelnden die meisten Erfahrungen gemacht haben.
Treten behandlungsbedürftige aggressive Erregungszustände in Verbindung mit einer Intoxikation auf, zum Beispiel mit Alkohol, unbekannten Substanzen oder einer Mischintoxikation oder ist der Zustand diagnostisch unklar, soll man besonders zurückhaltend mit sedierenden Arzneimitteln sein. Dann wird meist Haloperidol als Monotherapie eingesetzt (Grafik).
Das einzige inhalativ verfügbare Antipsychotikum, Loxapin, wird aufgrund des Risikos, einen Bronchospasmus auszulösen, nur im klinischen Umfeld eingesetzt, wenn kurzwirksame β2-Sympathomimetika zur Verfügung stehen. Patienten müssen nach jeder Anwendung für eine Stunde auf Anzeichen einer Atemwegsreaktion überwacht werden.
Loxapin ist nur zur Therapie leichter bis mittelschwerer Agitiertheit zugelassen. Für die inhalative Anwendung ist ein Maß an Kooperation und Koordination notwendig, das im Akutfall selten erreicht wird.
Das zur Behandlung von mäßigen bis schweren manischen Episoden bei Bipolar-I-Störung zugelassene Asenapin scheint auch bei akuter Agitation wirksam zu sein. Es muss jedoch über die Mukosa der Mundschleimhaut aufgenommen werden; geschluckt hätte es eine geringe Bioverfügbarkeit von weniger als 2 Prozent der verabreichten Dosis.
Die Tablette soll unter die Zunge gelegt und zehn Minuten lang nichts gegessen oder getrunken werden. Asenapin hat leider einen stark bitteren Geschmack. Auch hier ist also Mitwirkung des Patienten gefordert.
Anders als bei akuten Erregungszuständen, die rasches Handeln erfordern, steht bei rezidivierend aggressivem Verhalten die geplante langfristige Behandlung im Fokus. Psychiatrische Grunderkrankungen, bei denen aggressive Episoden Teil des Krankheitsbildes sind, sind Schizophrenie, geistige Behinderung oder Demenz.
Die zugrunde liegende Erkrankung muss klar diagnostiziert und adäquat therapiert sein. Es ist auszuschließen, dass die aggressiven Episoden durch ungünstige und vermeidbare Situationen ausgelöst werden. Eine pharmakologische Therapie kann nur das Ziel haben, die Erkrankung zu stabilisieren oder die soziale Teilhabe zu verbessern.
Bei psychotischen Patienten geht es hauptsächlich um die konsequente und leitliniengerechte Therapie der Grunderkrankung. Häufig spielen Adhärenzprobleme eine Rolle, weshalb Depotpräparate zu erwägen sind. Das Reserve-Antipsychotikum Clozapin zeigt in Studien einen deutlichen antiaggressiven Effekt, der unabhängig von der antipsychotischen oder sedierenden Wirkung zu sein scheint. Man setzt es ein bei therapieresistenten Schizophrenien oder bei hoher Gewaltbereitschaft.
Clozapin darf nur unter engmaschiger Kontrolle, Beachtung der Kontraindikationen und Überwachung des Serumspiegels mittels Therapeutischem Drug Monitoring eingesetzt werden. Es wird ein Serumspiegel im oberen Referenzbereich angestrebt. In Einzelfällen kann hierzu die übliche Maximaldosis überschritten werden oder Clozapin mit einem hauptsächlich D2-blockierenden Antipsychotikum wie Amisulprid kombiniert werden.
Liegt aggressives Verhalten bei einer therapieresistenten Schizophrenie und einer affektiven Störungskomponente vor, also eine schizoaffektive oder bipolare Störung, wird manchmal Valproat zusätzlich zur antipsychotischen Medikation gegeben.
Andere Stimmungsstabilisierer (Carbamazepin, Topiramat) und Benzodiazepine werden nicht empfohlen. Auch eine Kombination von Antipsychotika mit Betablockern ist wirkungslos bei rezidivierender Aggression.
Wenn Demenzpatienten immer wieder herausforderndes Verhalten zeigen, soll zunächst geprüft werden, ob andere Faktoren dafür verantwortlich sind. Körperliche Beeinträchtigungen, Schmerzen, Harnwegsinfektionen oder ein Delir sind auszuschließen beziehungsweise adäquat zu therapieren.
Herausforderndes Verhalten ist eine große Belastung für die Angehörigen und Pflegenden. / © Adobe Stock/Robert Kneschke
Die Umgebung soll nach Möglichkeit so eingerichtet sein, dass der Mensch sich wohlfühlt und gut orientieren kann. Die Demenz macht die Welt für die Betroffenen bedrohlich und unverständlich, was Stress und damit aggressives Verhalten hervorrufen kann. Daher gilt die Faustregel: Alles, was Stress für den Patienten vermeidet, verringert das Risiko für herausforderndes Verhalten.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen haben einen hohen Stellenwert. Hierzu zählen organisatorische Maßnahmen wie eine gleichbleibende Umgebung und Bezugsperson sowie ein wertschätzender zugewandter Umgang mit den Erkrankten. Auch die Herstellung einer positiven Gefühlswelt durch regelmäßige Erinnerungspflege, zum Beispiel Anschauen alter Fotos, gemeinsames Singen, Musik oder körperliche Aktivität, zum Beispiel Spaziergänge oder Gymnastik, können helfen.
Verträglichkeit und Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung sollen nach vier bis acht Wochen nach vorab definierten Kriterien überprüft werden. Orales Risperidon ist zur Kurzzeitbehandlung (maximal sechs Wochen) bei anhaltender Aggression bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz zugelassen, wenn diese auf nicht-pharmakologische Methoden nicht ansprechen und wenn ein Risiko für Eigen- oder Fremdgefährdung besteht. Die Dosierung soll einschleichend erfolgen und darf maximal 2 mg am Tag betragen. Off Label wird auch Quetiapin in niedrigen Dosierungen (12,5 bis 75 mg/Tag als Einzelgabe) oder Aripiprazol verwendet. Auch wenn die klinische Evidenz hierfür fehlt, werden häufig auch Melperon oder Pipamperon in teilweise sehr geringen Dosen off Label eingesetzt.
Patienten mit Demenz haben ein etwa 1,5-fach erhöhtes Risiko zu versterben, wenn sie mit Antipsychotika behandelt werden. Warum, ist noch nicht abschließend geklärt. Zu den bekannten Teilerklärungen gehören zerebrovaskuläre Ereignisse, Stürze, Infektionen und kognitive Verschlechterung. Besonders gefährlich scheinen die ersten Monate der Therapie zu sein.
Das Risiko für eine Lungeninfektion verdreifacht sich unter Antipsychotika. Die Wirkstoffe können zu Schluckstörungen, Sedation und Mundtrockenheit beitragen. In Summe steigt die Gefahr, dass Speisebrei nicht richtig transportiert und aspiriert wird, was eine Infektion auslösen kann.
Auch kaum anticholinerg wirkende Antipsychotika wie Quetiapin können den kognitiven Abbau beschleunigen. In einer Studie war der kognitive Abbau unter Quetiapin nach 36 Wochen so weit fortgeschritten wie unter 52 Wochen unter Placebo.
Ob Antidementiva eine gezielte Wirkung auf herausforderndes Verhalten haben, wird widersprüchlich diskutiert. Antidementiva können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und daher dazu beitragen, dass herausforderndes Verhalten später auftritt. Agitation zählt jedoch zu den häufigeren Nebenwirkungen. In einigen klinischen Studien waren Antidementiva zwar wirksam gegen Agitiertheit und Aggression, jedoch konnten diese Effekte nicht schlüssig reproduziert werden. Unter Antidementiva mussten mehr Patienten als unter Placebo die Therapie wegen Agitiertheit als UAW abbrechen.
Auch für Benzodiazepine, Betablocker, SSRI, Valproat und typische Antipsychotika gibt es keine guten Belege für die Wirksamkeit beziehungsweise werden diese Stoffe aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils nicht empfohlen.
Tritt aggressives Verhalten bei Menschen mit geistiger Behinderung auf, liegt auch hier häufig eine Kombination unterschiedlicher Auslöser vor. Hierzu zählen Reizüberflutung, Schmerzen, Missverständnis sozialer Signale oder auch psychotisches Erleben bei einer komorbiden psychiatrischen Erkrankung. Auch grenzüberschreitendes Verhalten Dritter kann heftige Reaktionen provozieren.
Oft sind die Menschen in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, Gefühle sprachlich auszudrücken oder Konflikte sozialverträglich zu lösen. Aggressive Reaktionen können abrupt und heftig ausfallen – nicht zuletzt, weil die Betroffenen die Wirkung ihres Handelns auf andere kaum richtig einschätzen können.
Klinische Studien zeigen, dass oft behandelbare körperliche oder psychiatrische Komorbiditäten wie eine Schizophrenie hinter aggressivem Verhalten stehen. Eine sorgfältige Diagnostik ist daher essenziell, ebenso der Einsatz evidenzbasierter heilpädagogischer und psychotherapeutischer Programme. Erst wenn diese Maßnahmen ausgeschöpft sind, kommt eine medikamentöse Behandlung infrage.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen sind bei Demenzpatienten mit aggressivem Verhalten mitunter sehr effektiv. / © Adobe Stock/ifiStudio
Die pharmakologische Therapie aggressiven Verhaltens bei dieser Patientengruppe ist nur begrenzt durch Studien abgesichert. Die meisten Erkenntnisse stammen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eine direkte Übertragbarkeit auf Erwachsene ist nicht ohne Weiteres gegeben. Studien sind häufig klein, unkontrolliert und in ihrer Methodik uneinheitlich.
Antipsychotika wie Risperidon oder Aripiprazol werden zwar eingesetzt, ihre Wirkung auf nicht-psychotisch motivierte Aggression wird jedoch kritisch hinterfragt. SSRI können aggressives Verhalten positiv beeinflussen, wenn diesem eine psychiatrische Komorbidität zugrunde liegt, die mit SSRI behandelt werden kann, zum Beispiel Angst- oder Zwangsstörungen.
Einige ältere Studien weisen auf mögliche Effekte von Stimmungsstabilisierern wie Lithium oder Valproat hin. Auch Betablocker wurden in Einzelfällen als hilfreich beschrieben.
Dennoch mahnen Fachleute zur Zurückhaltung: Medikamente sollen nur eingesetzt werden, wenn sie dazu beitragen, freiheitsentziehende Maßnahmen zu vermeiden oder die Inklusion zu fördern.
Aggressives oder herausforderndes Verhalten kann für Patienten aller Altersgruppen und Diagnosen weitreichende Folgen haben, insbesondere im Kontakt mit Behandlern, Pflegekräften und Angehörigen. Es belastet nicht nur das unmittelbare Umfeld, sondern wirkt sich oft negativ auf die Qualität der medizinischen Versorgung aus. Untersuchungen sind erschwert oder werden abgebrochen, Behandlungen verzögern sich oder erfolgen unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen. Dies untergräbt das therapeutische Vertrauen und verstärkt häufig das Gefühl von Kontrollverlust, Stigmatisierung oder Ausgrenzung bei den Betroffenen.
In der Pflege kann es zu Überforderung, Rückzug bis hin zur Ablehnung kommen, wodurch das Risiko für Unterversorgung oder Vernachlässigung steigt. Angehörige sind emotional und physisch erschöpft, was langfristig die soziale Teilhabe und das Lebensumfeld der Patienten und ihrer Angehörigen beeinträchtigen kann. Herausforderndes Verhalten ist, zumindest bei der Demenz, der häufigste Grund für die Überlastung der pflegenden Angehörigen und ein häufiger Grund für den Umzug in eine Pflegeeinrichtung.
Ziel muss stets sein, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, ohne ihre Selbstbestimmung oder Ausdrucksmöglichkeit dauerhaft zu unterdrücken. Eine regelmäßige Überprüfung der Behandlungsziele und eine enge Kommunikation mit allen Beteiligten sind gefordert. Ebenso wichtig ist ein interdisziplinäres Vorgehen, das pharmakologische, pflegerische und psychosoziale Perspektiven einbezieht.
Sebastian P. Lenhart studierte Pharmazie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und erhielt 2012 die Approbation als Apotheker. Er war fünf Jahre als Apotheker auf Station in den kbo-Isar-Amper-Kliniken tätig. Mitte 2016 schloss er die Weiterbildung zum Fachapotheker für Klinische Pharmazie ab. Seit 2018 leitet er eine öffentliche Apotheke und ist seit 2021 als ehrenamtlicher Pharmazierat tätig. Lenhart prüft Pharmakologie im dritten Teil der Pharmazeutischen Prüfung und engagiert sich in der Aus- und Weiterbildung von Apothekern.