Medikamente bei Aggression und Gewalt |
Aufgrund der vielen neurobiologischen Einflussfaktoren auf die Entstehung von Aggression existiert bislang kein überzeugendes einheitliches pharmakologisches Modell zu deren Therapie.
Zwar geht man in vielen Fällen von einer Störung der serotoninergen Funktionen – ähnlich wie bei Impulskontrollstörungen – aus, jedoch haben sich selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) als unwirksam gegen akute Aggression erwiesen.
In der Praxis haben sich unspezifische »Dirty Drugs«, also Arzneimittel mit mehreren Rezeptorzielen, bewährt. Sie wirken besser als selektive Substanzen. Auch aufgrund der antidopaminergen Wirkung, die zum Beispiel in der manischen Phase oder bei Schizophrenie wichtig ist, werden häufig Antipsychotika verwendet. Interessanterweise sind Arzneimittel wie Amisulprid, die gezielt Dopamin-Rezeptoren blockieren, weniger wirksam als unselektive Wirkstoffe.
Gamma-Aminobuttersäure (GABA) ist der wichtigste dämpfende Neurotransmitter des Gehirns. Benzodiazepine, die die GABA-Transmission verstärken, werden im Akutfall häufig zur Sedierung aggressiver oder erregter Patienten verwendet. Allerdings birgt die Dämpfung auch Gefahren. Zum einen kann dadurch die Kognition verschlechtert werden, wodurch die Welt für den Patienten noch bedrohlicher und unverständlicher wird: Die Neigung zu aggressivem Verhalten kann zunehmen. Zum anderen kann auch eine Enthemmung auftreten, wodurch die Kontrolle über aggressive Impulse abnimmt.
Man spricht dann von einer »paradoxen Reaktion« auf Benzodiazepine. Diese paradoxen Reaktionen treten besonders häufig bei hohen Dosen, rascher Dosissteigerung, gleichzeitigem Konsum von Alkohol oder bei Patienten mit geschädigtem Frontalhirn auf.
Wie komplex die Wirkung von Arzneimitteln sein kann, zeigt das Beispiel der Statine. Die cholesterolsenkenden Medikamente beeinflussen den Testosteronspiegel – ein Hormon, das mit Aggression in Verbindung steht. Ein niedriger Spiegel senkt tendenziell die Aggression. Statine können aber auch den Schlaf stören, was wiederum die Aggression steigern kann.
Auch die Senkung des Cholesterols selbst scheint das Aggressionspotenzial zu erhöhen. Vor allem junge Männer zeigen unter Statintherapie oft ein vermindertes Aggressionsniveau – ältere Frauen hingegen ein erhöhtes.