Lebenswichtig, aber häufig unterschätzt |
Trotz einer ausgewogenenen Ernährung kann ein Mangel an B-Vitaminen auftreten. Ursächlich sind häufig Arzneistoffe der Dauermedikation (Tabelle 2).
Thiamin: Diuretika, insbesondere Schleifendiuretika wie Furosemid, können das Risiko eines Thiamin-Mangels aufgrund einer vermehrten Ausscheidung des Vitamins über den Urin drastisch erhöhen. Zudem fördern Schleifendiuretika die Ausscheidung von Magnesium-Ionen, die für die enzymatische Umwandlung von Thiamin zum aktiven Thiaminpyrophosphat benötigt werden (33). Besonders gefährdet sind älterere Patienten mit Herzinsuffizienz, die dauerhaft Schleifendiuretika einnehmen. Studien belegen, dass mehr als 30 Prozent von ihnen einen subklinischen oder manifesten Thiamin-Mangel aufweisen (34). Symptome wie Müdigkeit, Muskelschwäche, vor allem aber Verwirrtheit sind die Folge.
Zudem verschlimmert ein ausgeprägter Mangel an Thiamin das Krankheitsbild der Herzinsuffizienz, weil der Herzmuskel auf eine kontinuierliche Energiezufuhr, die durch Thiamin gewährleistet wird, angewiesen ist. Die Supplementation verbessert bei diesen Patienten die Auswurfleistung des linken Ventrikels (35). Bei älteren Menschen mit Herzinsuffizienz und Schleifendiuretika sollte der Thiamin-Status daher unbedingt regelmäßig kontrolliert werden.
Vitamin | Arzneistoffe, die Vitaminspiegel beeinflussen | Symptome eines Vitaminmangels |
---|---|---|
Thiamin (B1) | Schleifendiuretika wie FurosemidAntikonvulsiva wie PhenytoinChemotherapeutika wie 5-Fluorouracil (vor allem) | Polyneuropathie (Kribbeln, Taubheitsgefühle, Verwirrtheit, Koordinationsstörungen)kardiovaskuläre Symptome (Herzinsuffizienz, Ödeme)Muskelschwäche, Muskelabbau |
Riboflavin (B2) | Phenothiazin-Derivate wie Chlorpromazin, trizyklische Antidepressiva, TetrazyklineAntikonvulsiva wie PhenytoinProbenecid | Hautveränderungen wie Mundwinkelrhagaden, seborrhoische Dermatitis, Entzündung der Mundschleimhaut, Konjunktivitis |
Niacin (B3) | Chemotherapeutika wie 5-Fluorouracil, Azathioprin, 6-MercaptopurinAntikonvulsiva wie CarbamazepinAntituberkulotika wie Isoniazid, Pyrazinamid | Dermatitis, entzündliche Veränderungen der DarmschleimhautKonzentrationsstörungen, Depression, Halluzinationen, Demenz |
Pantothensäure (B5) | Antibiotika wie Tetrazyklineorale KontrazeptivaAntikonvulsiva wie CarbamazepinChemotherapeutika wie 5-Fluorouracil | brennende, stechende Schmerzen in den Füßen, Taubheit, KältegefühlMüdigkeit, Konzentrationsschwächetrockene Haut |
Pyridoxin (B6) | Isoniazid, Hydralazin, PenicillaminAntiepileptika wie Phenytoinorale Kontrazeptiva | Neuropathie wie Kribbeln und Taubheit in den FüßenVerwirrtheit, Depressionmikrozytäre Anämie |
Biotin (B7) | Antikonvulsiva wie Valproinsäure, Phenytoin, Carbamazepin | Alopezie, seborrhoische Dermatitis, Reizbarkeit, Parästhesien |
Folat (B9) | Methotrexat, Trimethoprim, PyrimethaminAntikonvulsiva wie Phenytoin, Carbamazepin | megaloblastäre Anämie, Müdigkeit, SchwächeNeuralrohrdefekte, angeborene Herzfehler |
Cobalamin (B12) | Protonenpumpenhemmer, MetforminH2-Rezeptor-Antagonisten | perniziöse Anämie, Müdigkeit, Schwäche Neuralrohrdefekteneurologische Symptome wie Parästhesien, Konzentrationsstörungen |
Pyridoxin: Vitamin B6 kann direkt mit Arzneistoffen interagieren und zu unwirksamen Komplexen führen. Insbesondere von Isoniazid ist bekannt, dass es mit Pyridoxalphosphat Hydrazon-Komplexe bildet; dadurch wird die Bioverfügbarkeit von B6 reduziert. Tatsächlich entwickeln Patienten unter der sechsmonatigen Therapie der Tuberkulose mit Isoniazid häufig Neuropathien. Eine Vorbeugung durch die gleichzeitige Gabe von Pyridoxin ist daher vor allem bei Vorerkrankungen und in der Schwangerschaft sinnvoll (36). Isoniazid-Präparate werden zum Teil in fixer Kombination mit Pyridoxin angeboten.
Eine direkte Interaktion von Pyridoxin ist auch mit Dihydralazin und Penicillamin möglich. Ähnlich wie Isoniazid bildet Dihydralazin mit Pyridoxalphosphat irreversible Hydrazon-Komplexe (37). In der Dauertherapie der arteriellen Hypertonie kann es dann zu einem Pyridoxin-Mangel kommen, der sich durch Missempfindungen wie Kribbeln und Taubheitsgefühl an den Gliedmaßen äußert. Diese Erscheinungen bilden sich nach Supplementation meist zurück.
Penicillamin ist ein Chelatbildner, der zur Steigerung der Kupferausscheidung bei Morbus Wilson und zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird. Penicillamin kann mit seiner reaktiven Thiolgruppe auch direkt mit Pyridoxalphosphat reagieren und einen funktionellen B6-Mangel verursachen (38). Bei längerfristiger Anwendung ist daher eine regelmäßige Supplementation mit Pyridoxin sinnvoll, um peripheren Neuropathien vorzubeugen.
Folat: Methotrexat gilt als Mittel der ersten Wahl bei der rheumatoiden Arthritis. Als Folsäure-Analogon gehört es zu den Antimetaboliten und inhibiert kompetitiv das Enzym Dihydrofolat-Reduktase, sodass DNA- und RNA-Synthese gehemmt werden. Die Nebenwirkungen sind hauptsächlich auf einen Folsäure-Mangel zurückzuführen. Die zusätzliche Gabe von Folsäure reduziert die Nebenwirkungen und sollte daher standardmäßig erfolgen. Wichtig hierbei ist der zeitliche Abstand von etwa 24 Stunden, um die antiinflammatorische Wirkung zu erhalten. Die Supplementation kann Hepatotoxizität, gastrointestinale Nebenwirkungen und Übelkeit signifikant reduzieren (39).
Auch Trimethoprim, ein Bestandteil der Wirkstoffkombination Cotrimoxazol, hemmt die bakterielle Dihydrofolat-Reduktase. Zwar ist seine Affinität zum bakteriellen Enzym sehr viel höher, dennoch kann es in höheren Dosierungen auch die humane Variante inhibieren (40). Bei einer Langzeitanwendung (Rezidivprophylaxe bei Harnwegsinfektionen) oder bei hohen Dosierungen (Therapie der Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie) kann es zu verminderten Tetrahydrofolat-Spiegeln kommen. Hier sollte eine zusätzliche Folsäure-Einahme erwogen werden.
Auch bei einer längeren Anwendung von Phenytoin kann es zu einem Defizit an Folsäure kommen, denn das Antikonvulsivum hemmt die intestinale Folsäure-Resorption über deren Transporter (41). Deshalb wird bei Langzeittherapie mit Phenytoin eine regelmäßige Kontrolle des Folsäure-Status empfohlen.
Cobalamin: Ein Cobalamin-(B12-)Mangel kann vor allem durch Protonenpumpenhemmer (PPI) und Biguanide (Kasten) ausgelöst werden (42). Beide Arzneistoffklassen vermindern die Aufnahme des Vitamins. Cobalamin liegt in der Nahrung meist in Protein-gebundener Form vor; ein niedriger pH-Wert ist für die Freisetzung notwendig. Dies erklärt einen verminderten Cobalamin-Spiegel nach einer PPI-Langzeitanwendung.
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Metformin ist das Mittel der Wahl für die Behandlung des Typ-2-Diabetes, aber es stört die Cobalamin-Aufnahme.
Freies Cobalamin wird an den Intrinsic Factor gebunden und über den spezifischen Cubilin-Rezeptor im terminalen Abschnitt des Ileums von den Enterozyten aufgenommen. Dieser Prozess ist Calcium-abhängig und wird durch Metformin gestört, da das Biguanid Calcium bindet (43). Tatsächlich haben bis zu 30 Prozent der mit Metformin behandelten Menschen niedrige oder grenzwertige Cobalamin-Spiegel. Besonders hoch ist das Risiko bei einer hoch dosierten Therapie mit täglich mehr als 2000 mg Metformin (44).
Erste Symptome, die noch vor einer perniziösen Anämie auftreten, sind Empfindungsstörungen in Händen und Füßen. Diese werden häufig als typische klinische Symptome einer diabetischen Neuropathie fehlinterpretiert. Mit Metformin behandelte Patienten sollten daher jährlich ihren Cobalamin-Spiegel kontrollieren lassen.
Diese Empfehlung gilt auch für Thiamin. Denn bis zu 75 Prozent der Diabetespatienten haben niedrige Thiamin-Spiegel, ein klinisch relevanter Mangel tritt bei bis zu 20 Prozent auf (45). Grund hierfür ist, dass eine Hyperglykämie die Thiamin-Transporter in Darm und Niere herunterreguliert. In der Folge nimmt die Resorption ab und die renale Clearance zu. Thiamin ist aber für die Insulinfreisetzung wichtig, denn die Glucoseverwertung und ATP-Bildung ist in den b-Zellen der Langerhans-Inseln der entscheidende Mechanismus der Insulinfreisetzung. Damit ist das Risiko für Neuropathien und kardivaskuläre Komplikationen stark erhöht und gegebenfalls eine Substitution mit Thiamin oder dem lipidlöslichen Derivat Benfotiamin indiziert.