Lebenswichtig, aber häufig unterschätzt |
Niacin (B3) umfasst verschiedene wasserlösliche Verbindungen mit ähnlicher chemischer Struktur, darunter Nicotinsäure und Nicotinsäureamid. Im Unterschied zu den anderen B-Vitaminen kann der Körper Niacin aus der Aminosäure Tryptophan selbst bilden: Aus 60 mg Tryptophan können etwa 1 mg Niacin entstehen. Dies reicht allerdings nicht für die Deckung des Tagesbedarfs aus, sodass das Vitamin auch mit der Nahrung aufgenommen werden muss (Tabelle 1) (7).
Niacin-Verbindungen werden als Vorstufen für die Cosubstrate NAD⁺ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid) und NADP⁺ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat) verwendet. Diese sind Cosubstrate für mehr als 400 Enzyme. Niacin ist daher für viele Stoffwechselwege wie Glucosehomöostase, ATP-Gewinnung oder die b-Oxidation von Fettsäuren entscheidend. Auch für den Redoxstatus und damit für den antioxidativen Schutz spielt es eine wichtige Rolle. NAD⁺ wird auch von PARP-Enzymen (Poly-ADP-Ribose-Polymerasen) genutzt, die für die DNA-Reparatur und damit den Zellschutz nötig sind (8).
In Deutschland tritt ein Niacin-Mangel äußerst selten auf. Risikofaktoren sind Alkoholismus, Magersucht, chronischer Durchfall, Leberzirrhose sowie das Hartnup-Syndrom. Bei dieser genetischen Erkrankung liegt eine Funktionsstörung des neutralen Aminosäuretransporters in den Enterozyten vor, sodass Tryptophan nicht ausreichend aufgenommen wird und damit die körpereigene Bildung von Niacin nicht gewährleistet ist.
Der Mangel an Niacin führt zu klinischen Manifestationen der Pellagra, die zum Beispiel bei einer einseitigen Ernährung nur mit Mais- oder Hirseprodukten auftritt. Erste klinische Symptome sind körperliche Schwäche, Appetitverlust und Verdauungsstörungen. Schließlich treten Hautveränderungen an Stellen mit starker Sonnenexposition, Durchfall, Depression und Demenz sowie Schleimhautveränderungen im Verdauungstrakt auf. Unbehandelt verläuft die Pellagra tödlich durch Multiorganversagen (9).
In höheren Dosen kann Niacin auch den LDL-Gehalt senken und zu einer Erhöhung des HDL-Spiegels beitragen. Denn Nicotinsäure hemmt in Adipozyten die Freisetzung von freien Fettsäuren, sodass weniger LDL gebildet wird. Gleichzeitig induziert sie die Bildung von Apolipoprotein A-I, dem Hauptbestandteil des HDL.
Nicotinsäure wurde daher früher als Arzneimittel zur Senkung des LDL- und Triglyceridspiegels eingesetzt, aber 2013 wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses vom Markt genommen. Denn trotz guter Effekte auf das Lipidprofil zeigte Nicotinsäure keine zusätzlichen kardiovaskulären protektiven Eigenschaften, wenn es zu Statinen gegeben wurde (10). In Nahrungsergänzungsmitteln sind Nicotinsäure und Nicotinsäureamid jedoch im Handel.
Tatsächlich unterscheiden sich die unerwünschten Wirkungen der beiden Vitaminformen. Während das Amid nur selten Nebenwirkungen verursacht, führen hohe Mengen an Nicotinsäure zu Gefäßerweiterung mit Flushing-Symptomen (lokale Hautrötungen, Hitzegefühl und Hautjucken). Verantwortlich hierfür ist die Bindung von Nicotinsäure an einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor (GPR109A), der zur Freisetzung von Prostaglandinen führt.
Erhöhte Leberenzymwerte weisen auf eine mögliche Hepatotoxizität sowohl von Nicotinsäure als auch Nicotinamid hin (11). Gemäß der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sollte daher die tägliche Gesamtzufuhrmenge von 10 mg Nicotinsäure und 900 mg Nicotinamid nicht dauerhaft überschritten werden (12).