Lebenswichtig, aber häufig unterschätzt |
Linsen sind eine gute Quelle für viele B-Vitamine, darunter Folat. / © Adobe Stock/Printemps
Die Klassifizierung der Gruppe der B-Vitamine ist historisch entstanden. Ihre Nummerierung ist nicht fortlaufend, weil sich bei vielen Molekülen, die ursprünglich als Vitamine galten, der Vitamincharakter nicht aufrechterhalten ließ. Die B-Vitamine umfassen heute acht wasserlösliche Vitamine: Thiamin (B1), Riboflavin (B2), Niacin (B3), Pantothensäure (B5), Pyridoxin (B6), Biotin (B7), Folat (B9) und Cobalamin (B12).
Bei den B-Vitaminen handelt es sich pharmakologisch und chemisch um sehr divergente Moleküle; alle stellen jedoch Vorstufen für Cofaktoren dar, die eine Vielzahl von Enzymen regulieren. B-Vitamine spielen eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel von Kohlenhydraten, Lipiden und Proteinen. Im zentralen Nervensystem sind sie an der Reizweiterleitung, der Biosynthese von Neurotransmittern und dem Aufbau nervaler Strukturen beteiligt. Und schließlich sind sie Cofaktoren bei spezifischen Enzymen der DNA- und RNA-Synthese, sodass sie für Zellteilung und Blutbildung essenziell sind.
Ein Mangel an einzelnen B-Vitaminen kann schwerwiegende Auswirkungen auf den Stoffwechsel und die Blutbildung haben und sich vor allem in neurologischen Symptomen äußern.
Wer so vielfältig einkauft, dürfte gut mit Vitaminen versorgt sein. / © Adobe Stock/industrieblick
Den B-Vitaminen ist gemeinsam, dass sie im Körper nicht gespeichert werden können und somit täglich neu zugeführt werden müssen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung nennt dafür Referenzwerte. Eine Ausnahme ist Cobalamin (B12), das in beträchtlicher Menge in der Leber gespeichert werden kann. Wird die Aufnahme unterbrochen, reichen die Körpervorräte normalerweise für drei bis fünf Jahre.
B-Vitamine sind in tierischen Proteinen, Vollkornprodukten, Milcherzeugnissen, grünem Blattgemüse und Hülsenfrüchten enthalten. Nur Cobalamin (B12) wird ausschließlich von Mikroorganismen synthetisiert und findet sich daher vor allem in Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten und kaum in pflanzlichen Lebensmitteln (Tabelle 1).
Vitamin | Vorkommen |
---|---|
Mengenangaben in mg/100 g | |
Thiamin (B1) | Weizenkeime (0,9 bis 1), Sonnenblumenkerne (1,9), Haferflocken (0,5 bis 0,6), Paranüsse (1,0), Erbsen und Linsen getrocknet (0,5 bis 0,6), Naturreis (0,4 bis 0,5), Schweinefleisch (0,6 bis 1,0) |
Riboflavin (B2) | Mandeln (0,8 bis 1,1), Champignons (0,4 bis 0,5), Spinat (0,2 bis 0,3), Brokkoli (0,2), Rinder- und Schweineleber (2,6 bis 3,0), Milch (0,18), Käse (0,4 bis 0,5), Eier (0,4), Fisch (0,3 bis 0,4) |
Niacin (B3) | Erdnüsse (12 bis 14), Haferflocken (1 bis 2), Champignons (3 bis 4), Kartoffeln (1 bis 2), Hühner-/Putenfleisch (10 bis 14), Thunfisch gegart (10 bis 15), Lachs gegart (8 bis 10), Eier (0,1 bis 0,2) |
Pantothensäure (B5) | Sonnenblumenkerne (6 bis 7), Champignons (2 bis 3), Vollkornprodukte (1 bis 2), Avocado (1 bis 1,5), Brokkoli und Blumenkohl (0,5 bis 0,8), Kartoffeln (0,3 bis 0,5), Rinder-/Schweineleber (6 bis 7), Eigelb (2 bis 3), Lachs und Forelle (0,6 bis 1,0), Milch 3,5 % (0,3 bis 0,5), Camembert (0,3 bis 0,4) |
Pyridoxin (B6) | Haferflocken (0,9), Linsen und Erbsen getrocknet (0,5 bis 0,6), Sonnenblumenkerne (1,3), Wal- und Haselnüsse (0,5 bis 0,7), Bananen (0,3 bis 0,4), Avocado (0,3 bis 0,4), Hühnerfleisch (0,5 bis 0,9), Schweinefleisch (0,4 bis 0,6), Lachs gegart (0,5 bis 0,8), Thunfisch gegart (0,8 bis 1,0), Rinder-/Schweineleber (0,9 bis 1,2), Eier (0,1 bis 0,2) |
Mengenangaben in µg/100 g | |
Biotin (B7) | Haferflocken (20 bis 25), Sojabohnen gekocht (15 bis 20), Erdnüsse (30 bis 35), Walnüsse (15 bis 20), Mandeln (15 bis 20), Spinat (5 bis 10), Brokkoli (5 bis 10), Rinderleber (100 bis 200), Eigelb (50 bis 60), Lachs gegart (5 bis 10), Milch (2 bis 5), Camembert (4 bis 6) |
Folat (B9) | Spinat (145 bis 190), Grünkohl (140 bis 180), Rucola (100 bis 150), Brokkoli (90 bis 110), Linsen und Erbsen (130 bis 150), Avocado (60 bis 80), Wal-/Erdnüsse (100 bis 150), Kalbsleber (200 bis 300), Eier (50), Milch-/Käseprodukte (5 bis 20) |
Cobalamin (B12) | Schweine-/Rinder-/Kalbsleber (25 bis 70), Lachs gegart (3 bis 8), Thunfisch gegart (4 bis 9), Eier (1 bis 2), Milch 3,5?% (0,4 bis 0,6), Käse (2 bis 3), nicht/in Spuren in pflanzlichen Lebensmitteln |
Thiamin (B1) hat eine zentrale Bedeutung im Kohlenhydrat-, Aminosäure- und Lipidstoffwechsel und ist für den antioxidativen Schutz der Zellen verantwortlich.
Thiamin wird im Dünndarm über zwei spezifische Thiamin-Transporter aufgenommen und dann zu Thiaminpyrophosphat umgewandelt. In dieser Form ist es Coenzym vieler Enzyme. Hierzu gehört beispielweise die Pyruvatdehydrogenase, die eine Umwandlung von Pyruvat in Acetyl-CoA katalysiert und dadurch eine aerobe Verwertung von Glucose hin zum Citratzyklus ermöglicht, in dem ebenfalls Thiamin-abhängige Enzyme benötigt werden (1).
Im Pentosephosphatweg wird Thiaminpyrophosphat für die Transketolase benötigt. In diesem Stoffwechselweg wird NADPH gebildet, das als Reduktionsäquivalent nicht nur für die Fettsäuresynthese, sondern auch für die Glutathion-Bildung verwendet wird und damit die Zellen vor oxidativem Stress schützt (2).
Neuropathische Schmerzen können eine Folge von schwerem Vitamin-B-Mangel sein. / © Adobe Stock/Zay WIn Htai
Besonders Nervenzellen und Oligodendrozyten, die für die Myelin-Bildung entscheidend sind, reagieren sehr empfindlich, wenn die aerobe Glucoseverwertung nicht gewährleiset ist. Ein Thiamin-Mangel führt daher zu Polyneuropathien, die mit Gedächtnisstörungen und Verwirrungszuständen einhergehen. Bei einem schweren Mangel sind weitere Zellen und Organe mit hohem Glucosestoffwechsel wie Skelett- und Herzmuskelzellen betroffen. Ödeme, Herzinsuffizienz und Muskelatrophie sind die Folge.
Ein B1-Mangel kann aufgrund gestörter Resorption bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vorkommen. Die häufigste Ursache ist jedoch chronischer Alkoholmissbrauch. Denn Alkohol hemmt die Thiamin-Transporter im Duodenum und bei einer Leberzirrhose ist die Umwandlung in das aktive Thiaminpyrophosphat gestört. Bei alkoholkranken Menschen sollte daher eine hoch dosierte Thiamin-Gabe erfolgen, um neurologische Folgeschäden zu verhindern (3).
Riboflavin (B2) ist ebenfalls ein Schlüsselvitamin für die Energiegewinnung und den oxidativen Schutz von Zellen. In Nahrungsmitteln ist Riboflavin an Proteine gebunden und wird im Magen hieraus freigesetzt.
Freies Riboflavin wird in den Mukosazellen aktiv resorbiert. Dann erfolgt eine Metabolisierung zu Flavin-Mononukleotid (FMN) und Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD), die die aktiven Cosubstrate für Flavin-abhängige Enzyme darstellen (4). Diese wiederum spielen in der Atmungskette und der Glutathion-Regenerierung (Glutathion-Reduktase) eine wichtige Rolle. Damit ist Riboflavin an der Verwertung von Kohlenhydraten, Lipiden und Proteinen beteiligt und bietet Schutz vor oxidativem Stress.
Anhaltender übermäßiger Alkoholkonsum ist ein häufiger Grund für Mangelernährung und Vitamindefizite. / © Adobe Stock/Rainer Fuhrmann
Interessanterweise werden Flavoproteine auch für die Aktivierung weiterer B-Vitamine, nämlich Pyridoxin, Folat und Niacin benötigt (5).
Ein B2-Mangel kommt relativ selten vor. Wiederum gehören Menschen mit chronischem Alkoholmissbrauch oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu den Risikogruppen.
Bei einem Riboflavin-Mangel treten zuerst Symptome an Haut und Schleimhäuten auf, zum Beispiel Entzündungen der Mundschleimhaut und der Zunge, Einrisse in den Mundwinkeln und schuppende Ekzeme. Bei einem schweren Mangel kommt es auch zu Störungen des Folat-, Pyridoxin- und Niacin-Stoffwechsels (6).
Aufgrund seiner protektiven Wirkung gegenüber oxidativem Stress und der verbesserten mitochondrialen Energiegewinnung wird Riboflavin auch als Mittel zur Prophylaxe der Migräne, gerade wegen seiner Unbedenklichkeit, bei Kindern und Jugendlichen diskutiert. Allerdings sind die bisherigen Studien nicht eindeutig. Während einige Studien keinen Effekt gegenüber Placebo feststellen konnten, zeigen kleinere Studien eine Verminderung von Häufigkeit und Stärke von Migräneattacken bei pädiatrischen Patienten, wenn eine Dosis von 200 bis 400 mg Riboflavin pro Tag gewählt wird (7, 8).
Niacin (B3) umfasst verschiedene wasserlösliche Verbindungen mit ähnlicher chemischer Struktur, darunter Nicotinsäure und Nicotinsäureamid. Im Unterschied zu den anderen B-Vitaminen kann der Körper Niacin aus der Aminosäure Tryptophan selbst bilden: Aus 60 mg Tryptophan können etwa 1 mg Niacin entstehen. Dies reicht allerdings nicht für die Deckung des Tagesbedarfs aus, sodass das Vitamin auch mit der Nahrung aufgenommen werden muss (Tabelle 1) (7).
Niacin-Verbindungen werden als Vorstufen für die Cosubstrate NAD⁺ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid) und NADP⁺ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat) verwendet. Diese sind Cosubstrate für mehr als 400 Enzyme. Niacin ist daher für viele Stoffwechselwege wie Glucosehomöostase, ATP-Gewinnung oder die b-Oxidation von Fettsäuren entscheidend. Auch für den Redoxstatus und damit für den antioxidativen Schutz spielt es eine wichtige Rolle. NAD⁺ wird auch von PARP-Enzymen (Poly-ADP-Ribose-Polymerasen) genutzt, die für die DNA-Reparatur und damit den Zellschutz nötig sind (8).
In Deutschland tritt ein Niacin-Mangel äußerst selten auf. Risikofaktoren sind Alkoholismus, Magersucht, chronischer Durchfall, Leberzirrhose sowie das Hartnup-Syndrom. Bei dieser genetischen Erkrankung liegt eine Funktionsstörung des neutralen Aminosäuretransporters in den Enterozyten vor, sodass Tryptophan nicht ausreichend aufgenommen wird und damit die körpereigene Bildung von Niacin nicht gewährleistet ist.
Der Mangel an Niacin führt zu klinischen Manifestationen der Pellagra, die zum Beispiel bei einer einseitigen Ernährung nur mit Mais- oder Hirseprodukten auftritt. Erste klinische Symptome sind körperliche Schwäche, Appetitverlust und Verdauungsstörungen. Schließlich treten Hautveränderungen an Stellen mit starker Sonnenexposition, Durchfall, Depression und Demenz sowie Schleimhautveränderungen im Verdauungstrakt auf. Unbehandelt verläuft die Pellagra tödlich durch Multiorganversagen (9).
In höheren Dosen kann Niacin auch den LDL-Gehalt senken und zu einer Erhöhung des HDL-Spiegels beitragen. Denn Nicotinsäure hemmt in Adipozyten die Freisetzung von freien Fettsäuren, sodass weniger LDL gebildet wird. Gleichzeitig induziert sie die Bildung von Apolipoprotein A-I, dem Hauptbestandteil des HDL.
Nicotinsäure wurde daher früher als Arzneimittel zur Senkung des LDL- und Triglyceridspiegels eingesetzt, aber 2013 wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses vom Markt genommen. Denn trotz guter Effekte auf das Lipidprofil zeigte Nicotinsäure keine zusätzlichen kardiovaskulären protektiven Eigenschaften, wenn es zu Statinen gegeben wurde (10). In Nahrungsergänzungsmitteln sind Nicotinsäure und Nicotinsäureamid jedoch im Handel.
Tatsächlich unterscheiden sich die unerwünschten Wirkungen der beiden Vitaminformen. Während das Amid nur selten Nebenwirkungen verursacht, führen hohe Mengen an Nicotinsäure zu Gefäßerweiterung mit Flushing-Symptomen (lokale Hautrötungen, Hitzegefühl und Hautjucken). Verantwortlich hierfür ist die Bindung von Nicotinsäure an einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor (GPR109A), der zur Freisetzung von Prostaglandinen führt.
Erhöhte Leberenzymwerte weisen auf eine mögliche Hepatotoxizität sowohl von Nicotinsäure als auch Nicotinamid hin (11). Gemäß der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sollte daher die tägliche Gesamtzufuhrmenge von 10 mg Nicotinsäure und 900 mg Nicotinamid nicht dauerhaft überschritten werden (12).
Pantothensäure (B5) besteht aus Alanin, das über eine Peptidbindung mit Pantoinsäure verknüpft ist. In dieser Form ist es Bestandteil von Coenzym A (CoA) sowie dem Acyl-Carrier-Protein (ACP) und damit an zahlreichen anabolen und katabolen Stoffwechselprozessen beteiligt. Hierzu gehören die Synthese von Cholesterol, Gallensäuren und Fettsäuren sowie der Abbau von Fettsäuren, Kohlenhydraten und Aminosäuren.
Über eine Acetylierung von Histonproteinen beeinflusst das Vitamin auch Genexpression und Zelldifferenzierung. Ebenso ist die Acetylierung eine wichtige Reaktion bei der Metabolisierung von Arzneistoffen (13).
Sehr hilfreich bei oberflächlichen Verletzungen und Brandwunden ist topisches Dexpanthenol. / © Adobe Stock/New Africa
Pantothensäure kommt ubiquitär (pantothen: von allen Seiten her) in Lebensmitteln vor, sodass ein Mangel praktisch nicht beobachtet wird. Trotzdem wird Pantothensäure sehr häufig pharmazeutisch angewendet, nämlich in Form des Provitamins Dexpanthenol bei oberflächlichen Haut- und Schleimhautschäden. Dexpanthenol wird in der Haut zu Pantothensäure metabolisiert, die die Synthese der Hautlipide fördert und die Proliferation und Differenzierung von Fibroblasten und Keratinozyten moduliert. Dies verbessert die Barrierefunktion, Hautstruktur und Hydratation (14).
Pyridoxin (B6) ist eine Sammelbezeichnung für Pyridoxin, Pyridoxamin und Pyridoxal sowie deren phosphorylierte Derivate. Die aktive Form dieser Verbindungen ist Pyridoxalphosphat, das wichtigste Cosubstrat des Aminosäurestoffwechsels.
Zahlreiche Umwandlungsreaktionen von Aminosäuren benötigen Pyridoxalphosphat, beispielsweise Transaminierungen, Decarboxylierungen oder Dehydratisierungen. Dementsprechend ist Pyridoxin auch an der Bildung von Neutrotransmittern wie Dopamin, Noradrenalin, Serotonin oder GABA beteiligt. Ebenso ist die Bildung von Niacin aus Tryptophan ein Pyridoxalphosphat-abhängiger Prozess.
Wichtig ist Pyridoxalphosphat auch als Cosubstrat bei der Bildung von Aminolävulinsäure; das ist die Schlüsselverbindung in der Synthese des Hämoglobins. Daher macht sich ein Mangel des Vitamins in Form einer mikrozytären hypochromen Anämie, ähnlich wie bei einem Eisenmangel, bemerkbar (15). Zudem treten vielffältige neurologische Symptome in Form von Reizbarkeit, Müdigkeit, Taubheitsgefühl in Händen und Füßen bis hin zu kognitiven Beeinträchtigungen wie Verwirrtheit auf. Ein Mangel kommt ernährungsbedingt sehr selten vor, allerdings können Arzneistoffe den Pyridoxin-Spiegel beeinflussen.
Paradoxerweise kann eine langfristige Supplementation mit mehr als 50 mg Pyridoxin pro Tag über mehrere Monate bis Jahre sowie die kurzfristige Einnahme von mehr als 1 g pro Tag auch zu sensorischen Neuropathien führen. Denn in höheren Konzentrationen wirkt Pyridoxin toxisch auf Nervenzellen. Neuropathische Symptome sind Schmerzen und Taubheit in den Extremitäten und in schweren Fällen Probleme beim Gehen. Daneben sind Hautveränderungen und Muskelschwäche Zeichen einer Überdosierung (16).
Um das Auftreten dieser Nebenwirkungen zu verhindern, hat die EFSA tolerierbare Gesamtzufuhrmengen abgeleitet, die nicht dauerhaft überschritten werden sollten. Diese betragen für Erwachsene, Schwangere und Stillende 25 mg Pyridoxin pro Tag und für Kinder und Jugendliche unter Berücksichtigung ihres Körpergewichts zwischen 5 mg und 20 mg pro Tag (17).
Biotin (B7) ist ein schwelfelhaltiges Vitamin, das als Cosubstrat vor allem bei Carboxylasen benötigt wird. Diese Biotin-abhängigen Enzyme sind bei Fettsäuresynthese, Gluconeogenese und Aminosäurestoffwechsel von entscheidender Bedeutung. Eine ganz wichtige Rolle kommt auch der Biotinylierung von Proteinen zu. So wird Biotin kovalent an Lysinreste von Histonen gebunden, was für die Chromatinstruktur entscheidend ist und so die Genexpression beeinflusst.
Auf diese Weise hat B7 einen wichtigen Einfluss auf die Struktur von Haut und Haaren. Dies ist zum einen auf seine Funktion im Lipidstoffwechsel und damit bei den Hautlipiden zurückzuführen. Zum anderen beeinflusst Biotin die Proliferation und Differenzierung von Keratinozyten und damit auch die Keratinbildung (18).
Zu den Symptomen eines Mangels zählen daher Hautveränderungen, Haarausfall sowie unspezifische neurologische Störungen wie Bewegungsstörungen und Lethargie. Ernährungsbedingt kommt es sehr selten zu einem B7-Mangel. Trotzdem wird es aufgrund seiner Wirkungen auf die Haut- und Haarstruktur häufig als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Der Nutzen ist bei gesunden Menschen ohne Biotin-Mangel nicht belegt; Studien zeigen keine eindeutige Wirkung auf Haut, Haare oder Nägel bei ausreichender Versorgung (19).
Eine genetische Erkrankung ist der Biotinidase-Mangel. Dieses Enzym ist eine Hydrolase, die kovalent an Proteine gebundenes Biotin recycelt beziehungsweise aus Nahrungsbestandteilen freisetzt. Nach der Geburt wird das Baby im Neugeborenen-Screening routinemäßig auf einen Biotinidase-Mangel getestet. Biotinidase-Mangel kommt als autosomal rezessive Stoffwechselstörung zwar selten vor (Häufigkeit 1:60.000), ist jedoch mit Störungen des Hör- und Sehvermögens, Entwicklungsstörungen, Hautveränderungen, Krämpfen, niedrigem Blutdruck und Ketoazidose verbunden.
Ohne Behandlung ist ein tödlicher Verlauf möglich. Daher muss eine frühzeitige und lebenslange Supplementation (5 bis 20 mg Biotin pro Tag) erfolgen (20).
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Auf eine Besonderheit sollten Apotheker bei der Abgabe von Biotin-haltigen Produkten hinweisen. Viele moderne Laboranalysen nutzen Biotin-basierte Immunoassays, deren Testprinzip auf einer Streptavidin-Biotin-Wechselwirkung beruht. Wird das Vitamin jedoch supplementiert, kann es die Bindung zwischen Streptavidin und biotinylierten Komponenten verfälschen. Davon sind insbesondere Untersuchungen der Schilddrüsen- und der Sexualhormone sowie Myokardinfarkt-Marker wie Troponin betroffen.
Daher sollten Menschen einige Tage vor einer Laboruntersuchung keine Biotin-haltigen Nahrungsergänzungsmittel supplementieren (21).
Folat (B9) ist eine Sammelbezeichnung von vor allem in Blättern vorkommenden (folium: Blatt) reduzierten Pteroylverbindungen, die meist mehrere Glutamatreste enthalten. Die industriell hergestellte Folsäure ist die synthetische Form des B-Vitamins mit nur einem Glutamatrest.
Die mit der Nahrung aufgenommenen Folate werden im Duodenum erst zu Monoglutamaten hydrolysiert, bevor diese über den protonengekoppelten Folattransporter aufgenommen werden (22). Folsäure dagegen ist zu fast 100 Prozent bioverfügbar. Nach der Resorption wird Folsäure in die biologisch aktiven Folatformen umgewandelt; hierzu gehören neben Tetrahydrofolat auch Methyl-Tetrahydrofolat, der Hauptmetabolit im Plasma, sowie Formyl- und Methylen-Tetrahydrofolat. Diese Verbindungen wirken als Coenzyme in Enzymreaktionen, die Ein-Kohlenstoffgruppen übertragen.
Entscheidend sind solche Reaktionen für die Nukleotidsynthese sowohl von Pyrimidin- (Thymidin) als auch Purinbasen (Adenin und Guanin). Des Weiteren sind die Coenzyme für den Stoffwechsel mehrerer wichtiger Aminosäuren wie Methionin, Cystein, Serin, Glycin und Histidin erforderlich.
Ein Folat-Mangel macht sich aufgrund der gestörten Nukleotidsynthese vor allem in sich schnell teilenden Zellen im Knochenmark bemerkbar und zeigt sich klinisch in einer megaloblastären Anämie (23).
Cobalamin-(B12-)Derivate sind sehr komplex aufgebaute Naturstoffe, die sich durch ein Tetrapyrrol-System (Corrin) mit einem Cobalt-Ion als Zentralatom auszeichnen. Je nachdem, welche chemische Seitenkette an das Cobalt-Ion gebunden ist, werden verschiedene Cobalamine unterschieden.
Cobalamine werden ausschließlich von Mikroorganismen synthetisiert und finden sich daher in tierischen Produkten. Zwar enthalten einige pflanzliche Lebensmittel wie Algen oder Sauerkraut Analoga, die aber nicht zu einer ausreichenden Versorgung beitragen und durch die Blockade der Transportsysteme im Duodenum die Versorgung sogar zusätzlich verschlechtern. Auch die Darmflora des menschlichen Dickdarms synthetisiert Cobalamine, die dort jedoch nicht mehr ausreichend resorbiert werden können (24).
Cobalamine können im Duodenum nur resorbiert werden, wenn die Magenschleimhaut den sogenannten Intrinsic-Faktor sezerniert. Nach der Aufnahme ist Cobalamin vor allem an Umlagerungsreaktionen beteiligt. Dabei besteht ein enger Zusammenhang mit dem Folat-abhängigen Stoffwechsel. Als Coenzym der Methionin-Synthase sind Cobalamine an der Synthese der Aminosäure beteiligt. Dabei kommt die notwendige Methylgruppe vom Methyl-Tetrahydrofolat, sodass hier Tetrahydrofolat entsteht. Dieses wiederum wird für die DNA- und RNA-Synthese benötigt. Ein Cobalamin-Mangel vermindert daher die Tetrahydrofolat-Gehalte und führt zu einer megaloblastären Anämie. Ist die Ursache der fehlende Intrinsic-Faktor, wird diese als perniziöse Anämie bezeichnet (25).
Aber es gibt auch Wirkungen, die nicht mit dem Folat-Stoffwechsel verknüpft sind. Als Coenzym katalysiert B12 die Umwandlung von Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA. Eine Defizienz führt daher zur Anreicherung an Methylmalonsäure, die als neurotoxische Substanz diskutiert wird. Ein Cobalamin-Mangel ist daher auch mit Neuropathien und psychischen Auffälligkeiten wie Gedächtnisschwäche und Aufmerksamkeitsdefiziten verbunden.
Achtung: Eine Supplementation mit Folsäure kann einen Cobalamin-Mangel verschleiern. Denn durch Zufuhr von Folsäure und der damit verbundenen Bildung von Tetrahydrofolat für die DNA-Synthese wird die perniziöse Anämie korrigiert, während die neurologischen Symptome bestehen bleiben und irreversible Schäden an Neuronen resultieren (26).
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat daher 2024 die Höchstmengenvorschläge für die Anreicherung von Lebensmitteln mit Folsäure aktualisiert. Einem Nahrungsergänzungsmittel (Ausnahme speziell für die Schwangerschaft) sollte nicht mehr als 200 µg Folsäure pro Tagesdosis zugesetzt sein (27).
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Nicht nur ein Mangel an Cobalamin und Folat, sondern auch an Pyridoxin kann zu erhöhten Gehalten an Homocystein führen. Denn die nicht proteinogene Aminosäure Homocystein ist ein Zwischenprodukt im Methionin-Stoffwechsel.
Methionin selbst spielt eine zentrale Rolle in der epigenetischen Modulation, denn der Metabolit S-Adenosylmethionin ist der wichtigste Methylgruppendonor für die DNA-Methylierung (28). Nach Abgabe der Methylgruppe ensteht S-Adenosylhomocystein, das zu Homocystein abgebaut wird. Zum einen kann Homocystein wieder zum Methionin methyliert werden. Hierfür werden Cobalamin und Methyl-Tetrahydrofolat benötigt. Zum anderen kann Homocystein zu Cystein abgebaut werden, ein Prozess, an dem Pyridoxin (B6) beteiligt ist.
Ein Mangel dieser Vitamine führt daher zu erhöhten Homocystein-Werten. Bei einem Serumspiegel von mehr als 15 µmol/l spricht man von einer Homocysteinämie. Diese wirkt sich nachweislich schädigend auf das Gefäßendothel aus (29). Damit verbunden ist ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Schlaganfall. Ebenso gibt es Hinweise, dass eine Homocysteinämie mit kognitiven Störungen, Demenz und Alzheimer verbunden ist (30).
Beruht die Homocysteinämie auf einem Vitamin-B-Mangel, sollten die Vitamine unbedingt supplementiert werden. Aber auch ohne Mangel kann der Homocystein-Spiegel weiter gesenkt werden. Allerdings zeigen größere Studien, dass es trotz signifikanter Senkung nicht zu einer klaren Reduktion von vaskulären Ereignissen kommt (31, 32).
Trotz einer ausgewogenenen Ernährung kann ein Mangel an B-Vitaminen auftreten. Ursächlich sind häufig Arzneistoffe der Dauermedikation (Tabelle 2).
Thiamin: Diuretika, insbesondere Schleifendiuretika wie Furosemid, können das Risiko eines Thiamin-Mangels aufgrund einer vermehrten Ausscheidung des Vitamins über den Urin drastisch erhöhen. Zudem fördern Schleifendiuretika die Ausscheidung von Magnesium-Ionen, die für die enzymatische Umwandlung von Thiamin zum aktiven Thiaminpyrophosphat benötigt werden (33). Besonders gefährdet sind älterere Patienten mit Herzinsuffizienz, die dauerhaft Schleifendiuretika einnehmen. Studien belegen, dass mehr als 30 Prozent von ihnen einen subklinischen oder manifesten Thiamin-Mangel aufweisen (34). Symptome wie Müdigkeit, Muskelschwäche, vor allem aber Verwirrtheit sind die Folge.
Zudem verschlimmert ein ausgeprägter Mangel an Thiamin das Krankheitsbild der Herzinsuffizienz, weil der Herzmuskel auf eine kontinuierliche Energiezufuhr, die durch Thiamin gewährleistet wird, angewiesen ist. Die Supplementation verbessert bei diesen Patienten die Auswurfleistung des linken Ventrikels (35). Bei älteren Menschen mit Herzinsuffizienz und Schleifendiuretika sollte der Thiamin-Status daher unbedingt regelmäßig kontrolliert werden.
Vitamin | Arzneistoffe, die Vitaminspiegel beeinflussen | Symptome eines Vitaminmangels |
---|---|---|
Thiamin (B1) | Schleifendiuretika wie FurosemidAntikonvulsiva wie PhenytoinChemotherapeutika wie 5-Fluorouracil (vor allem) | Polyneuropathie (Kribbeln, Taubheitsgefühle, Verwirrtheit, Koordinationsstörungen)kardiovaskuläre Symptome (Herzinsuffizienz, Ödeme)Muskelschwäche, Muskelabbau |
Riboflavin (B2) | Phenothiazin-Derivate wie Chlorpromazin, trizyklische Antidepressiva, TetrazyklineAntikonvulsiva wie PhenytoinProbenecid | Hautveränderungen wie Mundwinkelrhagaden, seborrhoische Dermatitis, Entzündung der Mundschleimhaut, Konjunktivitis |
Niacin (B3) | Chemotherapeutika wie 5-Fluorouracil, Azathioprin, 6-MercaptopurinAntikonvulsiva wie CarbamazepinAntituberkulotika wie Isoniazid, Pyrazinamid | Dermatitis, entzündliche Veränderungen der DarmschleimhautKonzentrationsstörungen, Depression, Halluzinationen, Demenz |
Pantothensäure (B5) | Antibiotika wie Tetrazyklineorale KontrazeptivaAntikonvulsiva wie CarbamazepinChemotherapeutika wie 5-Fluorouracil | brennende, stechende Schmerzen in den Füßen, Taubheit, KältegefühlMüdigkeit, Konzentrationsschwächetrockene Haut |
Pyridoxin (B6) | Isoniazid, Hydralazin, PenicillaminAntiepileptika wie Phenytoinorale Kontrazeptiva | Neuropathie wie Kribbeln und Taubheit in den FüßenVerwirrtheit, Depressionmikrozytäre Anämie |
Biotin (B7) | Antikonvulsiva wie Valproinsäure, Phenytoin, Carbamazepin | Alopezie, seborrhoische Dermatitis, Reizbarkeit, Parästhesien |
Folat (B9) | Methotrexat, Trimethoprim, PyrimethaminAntikonvulsiva wie Phenytoin, Carbamazepin | megaloblastäre Anämie, Müdigkeit, SchwächeNeuralrohrdefekte, angeborene Herzfehler |
Cobalamin (B12) | Protonenpumpenhemmer, MetforminH2-Rezeptor-Antagonisten | perniziöse Anämie, Müdigkeit, Schwäche Neuralrohrdefekteneurologische Symptome wie Parästhesien, Konzentrationsstörungen |
Pyridoxin: Vitamin B6 kann direkt mit Arzneistoffen interagieren und zu unwirksamen Komplexen führen. Insbesondere von Isoniazid ist bekannt, dass es mit Pyridoxalphosphat Hydrazon-Komplexe bildet; dadurch wird die Bioverfügbarkeit von B6 reduziert. Tatsächlich entwickeln Patienten unter der sechsmonatigen Therapie der Tuberkulose mit Isoniazid häufig Neuropathien. Eine Vorbeugung durch die gleichzeitige Gabe von Pyridoxin ist daher vor allem bei Vorerkrankungen und in der Schwangerschaft sinnvoll (36). Isoniazid-Präparate werden zum Teil in fixer Kombination mit Pyridoxin angeboten.
Eine direkte Interaktion von Pyridoxin ist auch mit Dihydralazin und Penicillamin möglich. Ähnlich wie Isoniazid bildet Dihydralazin mit Pyridoxalphosphat irreversible Hydrazon-Komplexe (37). In der Dauertherapie der arteriellen Hypertonie kann es dann zu einem Pyridoxin-Mangel kommen, der sich durch Missempfindungen wie Kribbeln und Taubheitsgefühl an den Gliedmaßen äußert. Diese Erscheinungen bilden sich nach Supplementation meist zurück.
Penicillamin ist ein Chelatbildner, der zur Steigerung der Kupferausscheidung bei Morbus Wilson und zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird. Penicillamin kann mit seiner reaktiven Thiolgruppe auch direkt mit Pyridoxalphosphat reagieren und einen funktionellen B6-Mangel verursachen (38). Bei längerfristiger Anwendung ist daher eine regelmäßige Supplementation mit Pyridoxin sinnvoll, um peripheren Neuropathien vorzubeugen.
Folat: Methotrexat gilt als Mittel der ersten Wahl bei der rheumatoiden Arthritis. Als Folsäure-Analogon gehört es zu den Antimetaboliten und inhibiert kompetitiv das Enzym Dihydrofolat-Reduktase, sodass DNA- und RNA-Synthese gehemmt werden. Die Nebenwirkungen sind hauptsächlich auf einen Folsäure-Mangel zurückzuführen. Die zusätzliche Gabe von Folsäure reduziert die Nebenwirkungen und sollte daher standardmäßig erfolgen. Wichtig hierbei ist der zeitliche Abstand von etwa 24 Stunden, um die antiinflammatorische Wirkung zu erhalten. Die Supplementation kann Hepatotoxizität, gastrointestinale Nebenwirkungen und Übelkeit signifikant reduzieren (39).
Auch Trimethoprim, ein Bestandteil der Wirkstoffkombination Cotrimoxazol, hemmt die bakterielle Dihydrofolat-Reduktase. Zwar ist seine Affinität zum bakteriellen Enzym sehr viel höher, dennoch kann es in höheren Dosierungen auch die humane Variante inhibieren (40). Bei einer Langzeitanwendung (Rezidivprophylaxe bei Harnwegsinfektionen) oder bei hohen Dosierungen (Therapie der Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie) kann es zu verminderten Tetrahydrofolat-Spiegeln kommen. Hier sollte eine zusätzliche Folsäure-Einahme erwogen werden.
Auch bei einer längeren Anwendung von Phenytoin kann es zu einem Defizit an Folsäure kommen, denn das Antikonvulsivum hemmt die intestinale Folsäure-Resorption über deren Transporter (41). Deshalb wird bei Langzeittherapie mit Phenytoin eine regelmäßige Kontrolle des Folsäure-Status empfohlen.
Cobalamin: Ein Cobalamin-(B12-)Mangel kann vor allem durch Protonenpumpenhemmer (PPI) und Biguanide (Kasten) ausgelöst werden (42). Beide Arzneistoffklassen vermindern die Aufnahme des Vitamins. Cobalamin liegt in der Nahrung meist in Protein-gebundener Form vor; ein niedriger pH-Wert ist für die Freisetzung notwendig. Dies erklärt einen verminderten Cobalamin-Spiegel nach einer PPI-Langzeitanwendung.
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Metformin ist das Mittel der Wahl für die Behandlung des Typ-2-Diabetes, aber es stört die Cobalamin-Aufnahme.
Freies Cobalamin wird an den Intrinsic Factor gebunden und über den spezifischen Cubilin-Rezeptor im terminalen Abschnitt des Ileums von den Enterozyten aufgenommen. Dieser Prozess ist Calcium-abhängig und wird durch Metformin gestört, da das Biguanid Calcium bindet (43). Tatsächlich haben bis zu 30 Prozent der mit Metformin behandelten Menschen niedrige oder grenzwertige Cobalamin-Spiegel. Besonders hoch ist das Risiko bei einer hoch dosierten Therapie mit täglich mehr als 2000 mg Metformin (44).
Erste Symptome, die noch vor einer perniziösen Anämie auftreten, sind Empfindungsstörungen in Händen und Füßen. Diese werden häufig als typische klinische Symptome einer diabetischen Neuropathie fehlinterpretiert. Mit Metformin behandelte Patienten sollten daher jährlich ihren Cobalamin-Spiegel kontrollieren lassen.
Diese Empfehlung gilt auch für Thiamin. Denn bis zu 75 Prozent der Diabetespatienten haben niedrige Thiamin-Spiegel, ein klinisch relevanter Mangel tritt bei bis zu 20 Prozent auf (45). Grund hierfür ist, dass eine Hyperglykämie die Thiamin-Transporter in Darm und Niere herunterreguliert. In der Folge nimmt die Resorption ab und die renale Clearance zu. Thiamin ist aber für die Insulinfreisetzung wichtig, denn die Glucoseverwertung und ATP-Bildung ist in den b-Zellen der Langerhans-Inseln der entscheidende Mechanismus der Insulinfreisetzung. Damit ist das Risiko für Neuropathien und kardivaskuläre Komplikationen stark erhöht und gegebenfalls eine Substitution mit Thiamin oder dem lipidlöslichen Derivat Benfotiamin indiziert.
Eine besondere Bedeutung haben die B-Vitamine in der Schwangerschaft. Besonders hervorzuheben ist die zentrale Rolle von Folat (B9). Wachstum und Entwicklung des Fetus erfordern eine umfangreiche Zellteilung und ein ausreichender Folatgehalt ist für die DNA- und RNA-Synthese entscheidend.
Neuralrohrdefekte entstehen durch den fehlenden Verschluss des embryonalen Neuralrohrs zwischen dem 21. und 28. Tag nach der Empfängnis, also zu einem Zeitpunkt, an dem viele Frauen nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind. Zu den Neuralrohrdefekten gehören verschiedene Fehlbildungen wie Läsionen des Gehirns (Anenzephalie) oder der Wirbelsäule (Spina bifida).
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Zahl dieser Defekte bei Neugeborenen um mehr als 60 Prozent zurückgeht, wenn Frauen in der Perikonzeption zu einer abwechslungsreichen Ernährung zusätzlich 400 μg Folsäure pro Tag einnehmen (46). Die Frau sollte die Supplementation spätestens vier Wochen vor geplantem Eintritt der Schwangerschaft beginnen und mindestens während des ersten Trimenons beibehalten. Dies gilt auch für Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten.
Folsäure spielt zudem für die Herzentwicklung eine wichtige Rolle. Tatsächlich sind Herzfehler mit rund acht bis zehn Fällen pro 1000 Geburten in Deutschland die häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Die zusätzliche Einnahme von Folsäure-Präparaten kann das Risiko laut aktueller Studien um 18 Prozent verringern (47).
Neben Folat stellt auch ein niedriger Cobalamin-Spiegel ein Risiko für Neuralrohrdefekte dar. Daher sollten vor allem Vegetarierinnen darauf achten, dass genügend Cobalamin gespeichert vorliegt, und das Vitamin supplementieren.
Vor und in der Schwangerschaft sollten Frauen auf eine gute Vitaminversorgung achten. Wenig bekannt ist die Gefahr eines Biotin-Mangels. / © Adobe Stock/Monkey Business
Weniger bekannt ist, dass es in der Schwangerschaft häufig zu einem Biotin-Mangel kommt, was die Folge einer erhöhten Biotin-Metabolisierung zu sein scheint. Aktuelle Untersuchungen deuten darauf hin, dass mindestens ein Drittel der schwangeren Frauen einen marginalen Mangel entwickelt (48). Obwohl dies nicht zu direkten Mangelsymptomen führt, sollte auf eine ausreichende Biotin-Zufuhr, auch in Form von Supplementen, geachtet werden. Denn die Biotinylierung von Histonen ist für die geordnete DNA-Replikation und Transkription essenziell. Tatsächlich deuten Tierversuche darauf hin, dass bereits ein marginaler Biotin-Mangel mit teratogenen Effekten verknüpft ist (49).
Ein ausgeprägtes Schwangerschaftserbrechen ist häufig mit einer verminderten Aufnahme von Thiamin verknüpft. Thiamin ist jedoch auch für die neurologische Entwicklung des Fetus entscheidend, sodass es bei anhaltendem Erbrechen supplementiert werden sollte.
Eine positive Wirkung auf Übelkeit in der Schwangerschaft ist für Pyridoxin belegt. Als Pyridoxalphosphat bindet es an Steroidrezeptoren und kann die Wirkungen von Estrogen und Progesteron abschwächen, was die antiemetische Wirkung erklären könnte. Pyridoxin wird als sicher während der Schwangerschaft angesehen. Für den therapeutischen Einsatz bei Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft wird eine Dosis von dreimal täglich 10 bis 25 mg empfohlen (50).
Burkhard Kleuser studierte Chemie und Lebensmittelchemie sowie Biochemie und Molekularbiologie an den Universitäten Wuppertal und Hamburg. 2002 habilitierte er sich und erhielt die Lehrbefähigung für das Fach Pharmakologie und Toxikologie. Kleuser wurde 2006 zum Professor (W2) für Pharmakologie und Toxikologie an die FU Berlin berufen. Von 2009 bis 2020 bekleidete er den Lehrstuhl für Toxikologie am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Potsdam. Seit August 2020 leitet er die Abteilung Pharmakologie und Toxikologie am Pharmazeutischen Institut der FU Berlin.