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Überflüssig und Geldverschwendung?

Kritik an Nahrungsergänzungsmitteln

Im »Report Mainz« berichtete die ARD am Dienstag über Nahrungsergänzungsmittel, mit denen Apotheker Kasse machen würden. Auch die Viszeralmediziner äußern sich heute kritisch über die Präparate.
Daniela Hüttemann
11.09.2019  14:08 Uhr

Ein Apotheker aus Baden-Württemberg habe ihrer Mutter versprochen, mit einem teuren Artemisia-annua-Extrakt deren Darmkrebs zu heilen, berichtete am Dienstag eine Angehörige im »Report Mainz« in der ARD. Sehr boulevardesk titelte das TV-Magazin »Wie Apotheken mit Nahrungsergänzungsmitteln Kasse machen«. Zwar könne Beifuß in Zellversuchen das Wachstum von Tumorzellen hemmen, bestätigte die Onkologin Professor Dr. Jutta Hübner vom Universitätsklinikum Jena. Aber es gebe keine einzige Untersuchung am Menschen, ob es wirklich funktioniere. »Egal, ob Apotheker oder Arzt: Wer das Patienten als Heilmittel gegen Krebs anpreist, ist ganz klar auf dem falschen Weg.«

Das würden wohl die meisten Pharmazeuten und Mediziner unterschreiben. Im Namen des Deutschen Apothekerverbands (DAV) verurteilte Vorstandsmitglied Stefan Fink in dem Beitrag solch unseriöse Aussagen. Auch der beschuldigte Apotheker ließ durch seinen Anwalt mitteilen, die Vorwürfe seien schlicht unwahr. »Weder unser Mandant noch dessen Mitarbeiter haben jemals behauptet oder geäußert, dass Artemisia mit Sicherheit gegen Krebs helfe, oder ein ähnliches Heilsversprechen abgegeben.« 

Hübner kritisierte grundsätzlich den stark wachsenden Markt der Nahrungsergänzungsmittel. Gerade im Bereich der Krebstherapie spricht sie von »Geschäftemacherei« und »Scharlatanerie«. Nahrungsergänzungsmittel könnten hier sogar schaden.

42 Millionen Packungen aus Apotheken

Grundsätzlich seien solche Präparate nur für wenige Menschen sinnvoll, zum Beispiel bei ärztlich nachgewiesenem Mangel. »Report Mainz« zufolge sind nach Zahlen von Insight Health und der ABDA im Jahr 2018 rund 104 Millionen Packungen verkauft worden, davon 42 Millionen in Apotheken. Fink betont, dass die Apotheken Nahrungsergänzungsmittel nicht aus rein finanziellem Interesse im Sortiment haben. »Wir verkaufen sie, weil wir es dürfen, sie in manchen Bereichen Sinn machen und wir den Patienten in der Regel dazu beraten«, kommentiert Fink.

Dem widerspricht Hübner. Ihre Patienten kämen teilweise mit vollen Tüten aus der Apotheke. Wenn sie dies abgleiche mit der Tumortherapie, sehe sie, dass entweder keine Beratung stattgefunden habe oder dass diese »inhaltlich schlichtweg falsch« gewesen sei. Sie wünsche sich, dass Apotheken auf den Verkauf unsinniger Nahrungsergänzungsmittel verzichten würden. 

Gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung weist DAV-Vorstandsmitglied Fink daraufhin, dass die Patienten sehr oft mit konkreten Präparatwünschen in die Apotheken kommen würden. »Das kennen sie dann aus der Werbung in Zeitung oder TV – manchmal aber auch von ihrem Arzt«, berichtet Fink. »Was in dem TV-Bericht vergessen wird: Durch die Beratung in den Apotheken werden auch viele Nahrungsergänzungsmittel nicht abgegeben. Stattdessen geben wir Tipps zur Ernährung, suchen gegebenenfalls ein besser geeignetes Medikament oder Nahrungsergänzungsmittel mit belegtem Nutzen heraus oder verweisen den Patienten an den Arzt.«

Kaum belegter Nutzen, mögliche Risiken

Auch die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) und die  Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) warnen in einer Pressemitteilung anlässlich ihres bevorstehenden gemeinsamen Kongresses Anfang Oktober in Wiesbaden vor Geldverschwendung und gesundheitlichen Risiken durch Nahrungsergänzungsmittel. Sie beziffern die Zahl der verkauften Packungen nach Angaben des Lebensmittelverbands sogar auf 225 Millionen im Jahr 2018. Der Umsatz sei von 1,31 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf 1,44 Milliarden gestiegen. »Der Trend steht in deutlichem Gegensatz zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen«, heißt es in der Pressemitteilung. Hochrangig publizierte Studien legten nahe, dass Nahrungsergänzungsmittel ohne Nutzen für die Primärprävention seien und eine langfristige Einnahme sogar mit Risiken einhergehen. Gleiches gelte für rezeptfreie Medikamente wie ASS. 

Die Viszeralmediziner zitieren eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017, in der Forscher 49 Studien mit 290.000 Teilnehmern ausgewertet hatten. »Die Einnahme von Vitamin-C-, Vitamin-D- , Vitamin-K- , Magnesium-, Selen-, oder Zink-Präparaten ebenso wie Omega-3-Fettsäure-Kapseln hat keinen positiven Einfluss auf die Vermeidung von Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Leiden und bewirkt keine Lebensverlängerung«, so die Zusammenfassung.

»In manchen Untersuchungen zeigen sich sehr geringfügige positive Effekte für Nahrungsergänzungsmittel-Präparate, die man jedoch abwägen muss gegen die Risiken, die diese auch haben«, betont Professor Dr. Jürgen Schölmerich, Facharzt für Gastroenterologie und ehemaliger ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Frankfurt am Main. Er nennt hoch dosierte Vitamin-A- beziehungsweise Betacarotin-Präparate als Beispiel, da sie bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko erhöhen.

Nur in bestimmten Fällen sinnvoll

»Die Werbeaussage, wonach jeder Mensch eine Extraportion Vitamine oder Mineralstoffe zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit brauche, ist schlicht und einfach falsch«, sagt Schölmerich. Nur für wenige Personengruppen, etwa Schwangere oder Veganer, seien bestimmte Nahrungsergänzungsmittel tatsächlich empfohlen. Verbraucher sollten sich mit ihrem Arzt besprechen, ob sie ein solches Präparat benötigen und wenn Ja, welches.

Die Fachgesellschaft warnt auch vor dem unkritischen Einsatz von niedrig dosierter ASS in der Primärprävention. Die Datenlage sei mittlerweile ernüchternd: »2018 wurden mehrere große Studien publiziert, die zeigten, dass die vorsorgliche Einnahme von Acetylsalicylsäure die Wahrscheinlichkeit des Auftretens chronischer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Krebs nicht reduzieren kann und insgesamt keinen Einfluss auf die Mortalität hat. Vielmehr wiesen jene Studienteilnehmer, die regelmäßig Acetylsalicylsäure-Präparate einnahmen, eine erhöhte Rate von Blutungen, meist im Magen-Darm-Trakt, auf.«

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