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ASS-Prophylaxe

Bei Diabetikern mit Pro und Kontra

29.08.2018  10:51 Uhr

Von Annette Mende / Acetylsalicylsäure (ASS) in niedriger Dosis senkt bei Diabetikern das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, erhöht aber zugleich die Gefahr schwerer Blutungen. Die Vor- und Nachteile der ASS-Prophylaxe halten sich somit die Waage. Das ergab eine große Studie, die jetzt beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in München präsentiert wurde.

Verglichen mit der Allgemeinbevöl­kerung erleiden Diabetiker aufgrund ihrer Stoffwechselerkrankung etwa doppelt bis dreimal so häufig kardiovaskuläre Ereignisse. Doch reicht die Diagnose Diabetes bereits als Rechtfertigung für eine ASS-Prophylaxe? Immerhin ist diese auch mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden. Zur Klärung dieser Frage initiierten Forscher der Universität Oxford die ASCEND-Studie (A Study of Cardiovascular Events in Diabetes). Gleichzeitig mit der Vorstellung in München erschienen die Ergebnisse nun im »New England Journal of Medicine« (DOI: 10.1056/NEJMoa1804988).

Vor allem Typ-2-Diabetiker

 

An der Studie nahmen insgesamt 15 480 Diabetiker teil. Sie waren im Schnitt 63 Jahre alt und wurden über 7,4 Jahre beobachtet. Die meisten waren Typ-2-Diabetiker (94,1 Prozent), viele waren übergewichtig (35,7 Prozent) oder adipös (46,5 Prozent). Zu Beginn der Untersuchung nahm die Mehrheit der Probanden Statine ein (75,3 Prozent) und/oder hatte einen erhöhten Blutdruck (61,6 Prozent). Um in die Studie eingeschlossen zu werden, durften die Patienten aber keine manifeste kardiovaskuläre Vorerkrankung haben.

 

Die Teilnehmer erhielten randomisiert täglich entweder 100 mg ASS in Form einer magensaftresistenten Tablette oder Placebo. Zu einem kardiovaskulären Ereignis wie Herzinfarkt, Schlaganfall, transitorische ischämische Attacke oder Herz-Kreislauf-bedingter Tod kam es in der ASS-Gruppe bei 658 Pa­tienten (8,5 Prozent), in der Placebogruppe bei 743 (9,6 Prozent). Dies entsprach einer relativen Risikoreduktion durch ASS um 12 Prozent oder elf verhinderten Ereignissen pro 1000 Probanden.

 

Dem gegenüber standen schwere Blutungen, insbesondere im Magen-Darm-Trakt, bei 314 Teilnehmern unter ASS (4,1 Prozent) und 245 unter Placebo (3,2 Prozent). ASS war somit mit einer relativen Risikozunahme um 29 Prozent oder neun zusätzlichen Blutungen pro 1000 Probanden verbunden. »Es gibt also keinen eindeutigen Benefit«, sagte Professor Dr. Jane Armitage von der Universität Oxford, eine der Haupt­autoren der Studie, in München.

 

Kein Schutz vor Krebs

 

Frühere Studien und Metaanalysen hatten gezeigt, dass niedrig dosierte ASS auch das Krebsrisiko senkt, insbesondere das für Darmkrebs. Dieser Effekt war jedoch in der ASCEND-Studie nicht zu sehen: An Tumoren des Gastrointestinaltrakts erkrankten während des Beobachtungszeitraums in beiden Studienarmen fast gleich viele Patienten (157 beziehungsweise 158, jeweils 2,0 Prozent), an Krebs allgemein insgesamt 897 beziehungsweise 887 (11,6 beziehungsweise 11,5 Prozent).

 

»Einen Krebs-protektiven Effekt, wie er immer wieder diskutiert wird, konnten wir in dieser Studie nicht nachweisen«, so Armitage. Hierfür war möglicherweise die Teilnehmerzahl zu gering. Die Studienteilnehmer sollen daher weiter beobachtet werden, um eventuell vorhandene Langzeiteffekte zu erfassen.

 

Individuell abwägen

 

Ist dieses Ergebnis nun eher ein Argument für die ASS-Prophylaxe oder dagegen? Eine Antwort auf diese Frage bleiben die Autoren schuldig – und sie ist vermutlich so pauschal auch nicht möglich, weil sie immer von der individuellen Situation des Patienten abhängt. So könnten zum Beispiel Magenblutungen, die etwa für ein Drittel des Blutungsrisikoanstiegs verantwortlich waren, durch Protonenpumpenhemmer (PPI) verhindert werden. Diese kommen in der Praxis aber nicht für jeden Patienten infrage, weil auch sie Nebenwirkungen und Kontraindikationen haben. Statt eine Verordnungskaskade aus ASS, PPI und womöglich weiteren Arzneimitteln auszulösen, wäre bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern, wie sie ja die Mehrheit des Studienkollektivs ausmachten, eine Umstellung des adipogenen Lebensstils wahrscheinlich die sinnvollere Maßnahme. /

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