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Herzinfarkt und Schlaganfall

Risikofaktor Diabetes verliert an Bedeutung

Diabetiker erleiden häufiger kardiovaskuläre Ereignisse als Menschen ohne die Stoffwechselkrankheit. Das Ausmaß, in dem Diabetes das Risiko für solche Ereignisse erhöht, ist in den verangenen Jahrzehnten aber geringer geworden.
Annette Rößler
19.10.2022  11:30 Uhr

Diabetes egal welchen Typs zählt als unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse. Laut geltender Pocket-Leitlinie der deutschen und europäischen Fachgesellschaften DGK und ESC »Diabetes, Prädiabetes und kardiovaskuläre Ereignisse« haben Diabetiker im Allgemeinen ein doppelt so hohes Risiko für solche Ereignisse wie Nicht-Diabetiker. Bei Typ-1-Diabetikern erhöhen demnach ein früher Krankheitsbeginn und mikrovaskuläre Komplikationen das Risiko zusätzlich, bei Typ-2-Diabetikern vor allem eine unzureichende glykämische Kontrolle und renale Komplikationen.

Insbesondere die Blutzuckereinstellung von Typ-2-Diabetikern – die ja die große Mehrheit der Diabetespatienten ausmachen – ist ein beeinflussbarer Parameter, auf den sich Fortschritte der Therapie direkt auswirken sollten. Vor diesem Hintergrund hat nun ein Team um Professor Dr. Calvin Ke von der University of Toronto in Kanada untersucht, wie sich das kardiovaskuläre Risiko von Diabetikern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung über die vergangenen 25 Jahre entwickelt hat.

Wie die Forscher im Fachjournal »JAMA« erläutern, berücksichtigten sie bei ihrer Analyse die Jahre 1994 bis 2019. Aus Daten der Gesundheitsverwaltung der Provinz Ontario generierten sie fünf Kohorten mit Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 84 Jahren, die jeweils zum Stichtag 1. April der Jahre 1994, 1999, 2004, 2009 und 2014 in der Provinz gelebt hatten. Aus diesen Kohorten wurde randomisiert jeweils ein Viertel ausgewählt, weil sonst die Datenmenge zu groß gewesen wäre. Bei diesen Personen wurden anschließend über bis zu fünf Jahre Krankenhauseinweisungen aufgrund von akutem Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie die Gesamtsterblichkeit erfasst.

Passend zur Altersentwicklung in Kanada stieg das Durchschnittsalter der Probanden zwischen 1994 und 2014 von 44,4 auf 47,5 Jahre und die Prävalenzen von Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen nahmen zu (von 3,1 auf 9,0 Prozent beziehungsweise von 2,5 auf 3,7 Prozent). In der 1994er-Kohorte hatten Diabetiker verglichen mit Personen ohne Diabetes ein doppelt so hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse: 28,4 versus 12,7 Ereignisse pro 1000 Personenjahre, absoluter Risikoanstieg (ARI) 4,4 Prozent, relative Risikoerhöhung (RR) 2,06. Eine vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung (KVE)  bedeutete aber einen noch stärkeren Risikoanstieg für ein Folgeereignis (36,1 pro 1000 Personenjahre, ARI 5,1 Prozent, RR 2,16), wobei Diabetiker am meisten gefährdet waren.

In der 2014er-Kohorte war das kardiovaskuläre Risiko in allen Subgruppen geringer: Unter den Kontrollen kam es zu 8,0 Ereignissen pro 1000 Personenjahre, unter Diabetikern zu 14,0 pro 1000 Personenjahre (ARI 2,0 Prozent, RR 1,58) und unter denjenigen mit KVE zu 23,9 pro 1000 Personenjahre (ARI 3,7 Prozent, RR 2,06). Nach wie vor war das Risiko dabei für Diabetiker mit KVE am höchsten.

Diese Zahlen zeigen aus Sicht der Autoren, dass Diabetes weiterhin einen wichtigen kardiovaskulären Risikofaktor darstellt. Die mit der Erkrankung verbundene Risikoerhöhung sei aber mittlerweile geringer als die mit einer KVE assoziierte. Dies sei wahrscheinlich dem Einsatz von modernen, multifaktoriellen Ansätzen in der Diabetestherapie zu verdanken.

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