Fortschritte und Fragen |
| Annette Rößler |
| 10.04.2025 09:00 Uhr |
Häufig können die Therapieziele allein durch die Basismaßnahmen nicht erreicht oder aufrechterhalten werden. Dann können unterstützend Medikamente eingesetzt werden. Die Pharmakotherapie soll die Basistherapie also ergänzen, nicht ersetzen.
Zugelassen zum Gewichtsmanagement bei Übergewicht/Adipositas und auf dem Markt verfügbar sind Orlistat (Xenical® und Generika), Liraglutid (Saxenda®), Semaglutid (Wegovy®) und Tirzepatid (Mounjaro®). Die Präparate dürfen bei Erwachsenen mit einem BMI ab 30 oder mit einem BMI ab 27 und mindestens einer gewichtsbezogenen Begleiterkrankung eingesetzt werden (Orlistat ab BMI 28 plus assoziierte Risikofaktoren). Liraglutid und Semaglutid sind auch zugelassen für Jugendliche ab zwölf Jahren mit einem Körpergewicht über 60 kg oder einem BMI, der einem Erwachsenen-BMI von 30 entspricht.
Orlistat wird peroral verabreicht, hemmt im Dünndarm Lipasen und reduziert dadurch die Absorption von Fetten. Unangenehme Nebenwirkungen wie Durchfall, öliger Stuhlabgang und Stuhlinkontinenz sind daher sehr häufig, insbesondere wenn die Patienten die empfohlene hypokalorische Diät nicht einhalten. Wegen seiner schlechten Verträglichkeit und der vergleichsweise geringen Wirksamkeit (Gewichtsabnahme placebobereinigt nach einem Jahr 4,2 kg, nach zwei Jahren 3,6 kg) spielt Orlistat in der Therapie der Adipositas nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die Inkretinmimetika sind als »Abnehmspritzen« weltweit bekannt geworden. In den USA (hier in New York) darf öffentlich dafür geworben werden. / © Imago Images/Levine-Roberts
Liraglutid, Semaglutid und Tirzepatid sind Inkretinmimetika. Als Inkretineffekt bezeichnet man das Phänomen, dass bei gleichen Blutzuckerspiegeln die intravenöse Gabe von Glucose einen deutlich geringeren Anstieg der Insulinsekretion verursacht als die orale Aufnahme. Der Unterschied beträgt bis zu 75 Prozent und wird durch die Inkretinhormone Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) und Glucose-dependent Insulinotropic Polypeptide (GIP) vermittelt.
Inkretinmimetika ahmen die Wirkung von GLP-1 beziehungsweise im Fall von Tirzepatid von GLP-1 und GIP nach. Die beiden Inkretinhormone werden im Darm als Reaktion auf eine Nahrungsaufnahme freigesetzt, und zwar GIP in oberen Darmabschnitten und GLP-1 in tieferen. Sie stimulieren bei Hyperglykämie die Insulinsekretion aus den Inselzellen des Pankreas und hemmen die Glucagonausschüttung. Deshalb werden die Inkretinmimetika auch bei Typ-2-Diabetes eingesetzt, Liraglutid (Victoza®) und Semaglutid (Ozempic®) aber unter anderen Handelsnamen als bei Adipositas.
Bei Übergewicht und Adipositas kommt die Wirkung durch eine zentrale Steigerung des Sättigungsgefühls zustande. Diesen Effekt haben interessanterweise sowohl Agonisten als auch Antagonisten am GIP-Rezeptor. Mechanistisch lässt sich das so erklären: Eine Dauerstimulation des GIP-Rezeptors führt zu dessen Internalisierung, wodurch auch GIP-Rezeptoragonisten letztlich eine Drosselung der GIP-vermittelten Wirkung bewirken.
Darüber hinaus verzögern Inkretinmimetika die Magenentleerung, was ebenfalls dazu führt, dass Anwender weniger Hunger haben. Dieser Effekt scheint sich jedoch im Laufe der Behandlung abzuschwächen. Auch die gewichtsreduzierende Wirkung lässt mit der Zeit nach: Nach etwa einem Jahr hat sich das Körpergewicht üblicherweise (auf einem niedrigeren Stand) stabilisiert.
Die Präparate werden parenteral verabreicht. Liraglutid wird einmal täglich subkutan gespritzt, Semaglutid und Tirzepatid einmal wöchentlich. Bei Liraglutid und Semaglutid unterscheiden sich die empfohlenen Dosen indikationsabhängig: Bei Typ-2-Diabetes gelten 1,8 mg Liraglutid täglich beziehungsweise 2 mg Semaglutid wöchentlich als Maximaldosis, zum Gewichtsmanagement sind es 3 mg Liraglutid täglich beziehungsweise 2,4 mg Semaglutid wöchentlich. Tirzepatid wird in beiden Indikationen mit maximal 15 mg wöchentlich dosiert.
Alle Inkretinmimetika wirken stärker gewichtsreduzierend als Orlistat. Innerhalb der Gruppe gibt es weitere Abstufungen: In einem direkten Vergleich zwischen Semaglutid und Liraglutid (STEP-8-Studie) wurde mit Semaglutid nach 68 Wochen ein Gewichtsverlust von –15,8 Prozent des Ausgangskörpergewichts erzielt und mit Liraglutid von –6,4 Prozent. Die Anwendung von Tirzepatid in der höchsten Dosis von 15 mg einmal wöchentlich führte in der Studie SURMOUNT-1 nach 72 Wochen zu einem Gewichtsverlust von durchschnittlich −20,9 Prozent.
Häufige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) der Inkretinmimetika sind gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Sodbrennen. Mögliche UAW sind zudem Entzündungen der Nieren, der Bauchspeicheldrüse und Gelenke, Schlafstörungen, Synkopen und Hypotonie. Ein zwischenzeitlich vermuteter Zusammenhang zwischen der Anwendung und Suizidalität hat sich nicht bestätigt.