Fokus Hypertonie und Adhärenz |
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Die 80-jährige Josefine Jammer klagt im Beratungsraum der Apotheke beim Medikationsanalyse-Gespräch über Schwindel und Schwäche. Außerdem hat sie Zweifel, ob die Einnahme so vieler Arzneimittel sinnvoll ist.
Die Patientin ist 165 cm groß und wiegt 76 kg. Den Blutdruck und Puls bestimmt das Apothekenteam in der Offizin. Die gemessenen Werte sind deutlich erhöht. Die aktuellen Laborwerte bringt die Dame auf einem Ausdruck mit. Zum Termin erscheint sie zudem mit ihrem aktuellen Medikationsplan. Auf diesem stehen 13 Medikamente. Die Patientin wirkt beim gemeinsamen Durchgehen der einzelnen Arzneimittel verunsichert. L-Thyroxin habe sie ohne Wissen des Arztes abgesetzt. Auch bei den Antihypertensiva zeigten sich Adhärenz-Probleme. Die Blutdruck-Medikamente nehme sie nur sporadisch, da sich sonst Schwindel und Schwäche verschlimmern würden.
Abbildung 1: Medikationsplan vor der Analyse / Foto: pharma4u
Auffällig ist der beim Gesprächstermin in der Apotheke gemessene stark erhöhte Blutdruck von 183 zu 94 mmHg. Diesen Wert beschreibt die Patientin als typisch bei ihren sporadischen Messungen. Ein Blick auf die mitgebrachten Laborwerte offenbart, dass zudem auch ihre Schilddrüsenwerte außerhalb der Norm liegen. Das fT3 ist mit 1,8 ng/l (Referenz 2,5 bis 4,4 ng/l) ebenso erniedrigt, wie fT4 mit 0,5 ng/l (Referenz 9,9 bis 16,2 ng/l). TSH dagegen ist mit 9 mlU/l über der Referenz von 0,3 bis 4,2 mlU/l.
In der Apotheke sollen die akuten Probleme nach den folgenden Prioritäten untersucht werden: Was könnten konkret Ursache und Lösung des bei geriatrischen Patienten besonders gefährlichen Schwindels in Verbindung mit dem Schwächegefühl sein? Welche Probleme bereitet das Absetzen von L-Thyroxin: Stichwort entgleiste Schilddrüsen-Werte? Und wie kann die offenbar mangelnde Adhärenz der Patientin verbessert werden?
Abbildung 2: AdRisc-Analyse zu Schwindel/Schwäche / Foto: pharma4u
Als Ursache für die Symptome Schwindel und Schwäche detektiert der MediCheck im vorliegenden Fall das Medikament Hydromorphon als wahrscheinlichsten Auslöser. Die Medikationsanalyse-Software berücksichtigt bei der Anzeige der Wahrscheinlichkeit neben der Häufigkeit der Nebenwirkungen auch die hier sehr hohe Tagesdosen von 64 mg. An eine Dosisreduktion bei adäquater Schmerztherapie (gegebenenfalls Kompensation nach Leitlinie (1, 2)) ist zu denken. Wenn sich durch diese Maßnahmen der Schwindel erfolgreich beseitigen lässt, sollte nicht vergessen werden, Betahistin wieder abzusetzen.
Mit Esomeprazol und Pantoprazol detektiert der MediCheck zudem eine Pseudo-Doppelverordnung (Abbildung 3). Dies sollte mit dem Arzt abgeklärt werden. Da die Indikation per se fraglich ist, könnten die Protonenpumpenhemmer (PPI) gegebenenfalls komplett abgesetzt werden. Dies sollte möglichst ausschleichend erfolgen.
Abbildung 3: Pseudo-Doppelverordnung / Foto: pharma4u
Die dauerhafte Einnahme der PPI und Metformin kann zudem zu einer Unterversorgung mit dem Vitamin B 12 führen. Vielleicht ist dieser Mangel auch mitverantwortlich für die von der Patientin beklagte Schwäche. Hier wäre eine Kontrolle des Vitamin-B12-Spiegels ratsam.
Auch eine unzureichend kontrollierte Hypertonie oder eine Hypothyreose (hier wegen fehlender Einnahme des L-Thyroxin bei Thyreoidektomie) können die Symptome Schwindel und Schwäche verursachen. Der MediCheck weist auf diesen Zusammenhang hin (Abbildung 4).
Abbildung 4: Labor/Vitalwert-Problem / Foto: pharma4u
Zur Optimierung der Medikation mit Schilddrüsenhormonen muss das Verständnis zum Nutzen der Einnahme bei der Patientin gefördert und Adhärenz-verbessernde Maßnahmen eingeleitet werden. Auch die Stabilisierung des erhöhten Blutdrucks ist eine Herausforderung, nicht zuletzt, da die aktuellen Werte mit 183/94 mm Hg auch an Kreislaufsymptomen ursächlich beteiligt sein können.
Folgende Optionen kommen infrage:
Ohne aktive Mithilfe der Patientin kann die beste Arzneimitteltherapie ihre Wirkung nicht entfalten. Hier sollten alle Beteiligten im Sinn des Patienten interdisziplinär zusammenarbeiten. Da die gesamte Stoffwechselaktivität durch Schilddrüsenhormone stark beeinflusst wird, ist das Erreichen eines euthyreoten Zustandes von elementarer Bedeutung.
Es wird ein priorisiertes Ergebnis mit konkreten Lösungs-Vorschlägen an den Arzt übermittelt:
Folgende Antwort wurde vom Arzt an die Apotheke übermittelt:
»Vielen Dank für die Hinweise im Konsil. Hierzu folgende Stellungnahme beziehungsweise Entscheidung:
Bitte erläutern Sie im bereits vereinbarten Folgetermin folgenden optimierten Medikationsplan.«
Besten Dank.
Dr. med. Guido Schmiemann
Beim Folgetermin klären die Pharmazeuten Josefine Jammer nochmals ausführlich über den Nutzen und die richtige Einnahme ihrer Medikamente auf, allem voran über die Schilddrüsenhormone. Als Leitfaden nutzen sie einen nach Rücksprache mit dem Arzt aktualisierten Medikationsplan (Abbildung 5). In der Folge betreuen Arzt und Apotheker ihre Patientin noch engmaschiger. Besonders im Fokus sind das Leitsymptom Schwindel, die Schilddrüsenwerte und vor allem der Blutdruck (Blutdrucktagebuch, Messung mittels Oberarmmessgerät).
Abbildung 5: Aktualisierter Medikationsplan
Literatur
(1) S1-Leitlinie Chronischer Schmerz, DEGAM 09/2013, AWMF-Registernr. 053/036
(2) S2k-Leitlinie Gonarthrose, DGOOC, AWMF Registernummer: 033-004, 18.01.2018
(3) 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension
In der Serie »Medikationsanalyse – Apotheker und Arzt im Dialog« liegt der Schwerpunkt auf der Erhöhung der apothekerlichen Kompetenz im Dialog mit dem Arzt. Fall 3 ist von Apothekerin Sylke Bergmann und dem Arzt Dr. Guido Schmiemann verfasst.
Bereits erschienen:
Fall 1: Fokus Interaktionen PZ 23/2020
Fall 2: Fokus koronare Herzkrankheit PZ 26/2020