Fokus koronare Herzkrankheit |
Der Arzt erhält per Mail von der Apotheke eine direkt aus dem MediCheck kommentierte Medikationsanalyse mit konkreten Lösungsvorschlägen. / Foto: Adobe Stock/AnnaStills
Die 75-jährige Stammkundin Cora Fahlwasser wirkt seit ihrem Herzinfarkt vor etwa zwei Jahren bei den Besuchen in der Apotheke zunehmend kraftloser. Akut klagt sie über Magenschmerzen, Blässe und Schwäche, auch sei ihr Stuhl sehr dunkel. Zudem belasten sie Knöchelödeme beim Gehen. Es wird ein zeitnaher Gesprächstermin zur Medikationsanalyse vereinbart. Zu diesem Termin soll Frau Fahlwasser alle Arzneimittel mitbringen, die sie derzeit einnimmt.
Zum ausgemachten Termin bringt die Patientin fünf verschiedene Präparate mit. Die Arzneimittel Ramipril, Hydrochlorothiazid und Amlodipin stammen aus der Entlass-Medikation des Krankenhauses nach Myokardinfarkt. Torasemid wurde nach Dosiserhöhung von Amlodipin vom Hausarzt angesetzt. Das Diclofenac nimmt die Patientin bereits seit über fünf Jahren. Der Orthopäde hatte es ihr gegen Schmerzen an der Wirbelsäule verordnet, die nicht operativ zu beheben seien. Pantoprazol schluckt die Dame auf Empfehlung einer Mitarbeiterin der Apotheke im Rahmen der Selbstmedikation. Die ebenfalls mitgebrachten Laborwerte zeigen: Der Hb-Wert liegt mit 10 g/dl unter dem Referenzwert von 12 bis 16 g/dl. Die Blutdruckmessung ergibt einen Wert von 88 zu 59 mmHg und einen Puls von 79 Schlägen pro Minute.
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In der Apotheke sollen die akuten Probleme nach folgenden Prioritäten untersucht werden: Wie erklärt sich der akut niedrige Hämoglobin-Spiegel (Anämie) in Verbindung mit den Symptomen Blässe, Schwächegefühl, dunklem Stuhl und was ist hier zu unternehmen? Wodurch können die beim Gehen sehr belastenden Knöchelödeme gelindert werden? Und ist die koronare Herzkrankheit leitliniengerecht behandelt? Lässt sich die medikamentöse Therapie gegebenenfalls hier optimieren?
Die Medikationsanalyse ergibt, dass die Symptome Blässe und Schwäche mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die vorliegende Anämie mitverursacht werden. Gemäß dem Gespräch mit der Patientin gibt es hier auch einen zeitlichen Zusammenhang. Der MediCheck macht im Ergebnis auf diesen Zusammenhang zwischen Symptomen und Laborwert-Abweichungen aufmerksam (Screenshot Labor-/Vitalwert-Problem).
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Die Angaben der Patientin zu Magenschmerzen und dunklem Stuhl legen den Verdacht gastrointestinaler Blutverluste nahe. Diese wiederum sind als häufige Nebenwirkung von Diclofenac bekannt (Screenshot Nebenwirkungen).
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Das Absetzen von Diclofenac wäre hier eine erste Maßnahme, um den vermuteten gastrointestinalen Blutungen entgegenzuwirken. Zur Stabilisierung der Anämie bieten sich die orale Gabe von zweiwertigem oder die parenterale Gabe von dreiwertigen Eisen-Präparaten an (beispielsweise Ferrologic®). Ersatzweise könnten zur Schmerzlinderung gemäß Leitlinie bei (Spondyl-)Arthrose beispielsweise Paracetamol oder Opioide empfohlen werden.
Wahrscheinlich führt das eingenommene Amlodipin zu den beschriebenen Knöchelödemen (Screenshot siehe unten ). Zum einen gibt es einen zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Dosiserhöhung auf ein ungeeignetes Regime einer zweimal täglichen Einnahme (morgens 10 mg, abends 5 mg). Zudem liegt eine Überdosierung vor, da maximale Dosen im vorliegenden Fall gemäß Fachinformation auf 10 mg, und zwar einmal täglich, zu beschränken sind. Die Wirkdauer von Amlodipin beträgt 40 Stunden.
Zudem vermutet die Medikationssoftware eine Medikations-Kaskade: Amlodipin führt zu Ödemen, die wiederum mit Torasemid in steigenden Dosen (weil unwirksam) behandelt werden. Es resultiert eine Hypokaliämie, die gegebenenfalls die Gabe von Kalium-Präparaten notwendig macht.
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Gemäß aktuellen Leitlinien zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit von 2019 fällt auf, dass sämtliche dort genannten Mittel der ersten Wahl in der Medikation fehlen. Konkret bietet sich aufgrund der vorliegenden Symptome wie Knöchelödeme, zu niedriger Blutdruck und relativ hohe Herzfrequenz ein Betablocker als Alternative zum Amlodipin an. Die erhöhte Herzfrequenz von 79 Schlägen pro Minute könnte sowohl eine Folge der Amlodipin-Gabe als auch der Anämie sein.
Torasemid sollte abgesetzt werden, wenn es nicht klar indiziert ist. Der Arzneistoff taugt gemäß KHK-Leitlinie nicht einmal als Mittel der Reserve und ist zur Behandlung von Calciumantagonisten-induzierten kolloid-osmotischen Ödemen kaum wirksam. Auch über die dauerhafte Gabe eines Statins zur Senkung des Reinfarkt-Risikos sollte nachgedacht werden. Ebenso könnte nach erfolgreicher Therapie der gastrointestinalen Blutungen und Stabilisierung der Anämie die Gabe von ASS in niedriger Dosierung (50 bis 150 mg) oder Clopidogrel erwogen werden. Die fixe Kombination von Ramipril und HCT ist bei der vorliegenden Nierenfunktion (GFR: 43 ml/min) mit 10 mg/50 mg pro Tag überdosiert. Eine Dosisreduktion auf 5 mg/25 mg sollte erwogen werden. Die Kombination aus NSAR, ACE-Hemmer und Diuretikum kommentiert der MediCheck zudem als »Dreifach-Angriff (Triple-Whammy)« auf die Niere. Da die Funktion mit einer GFR von 43 ml/min bereits eingeschränkt ist, empfiehlt es sich auch aus dieser Perspektive, dringend die Therapie umzustellen.
Es wird ein priorisiertes Ergebnis mit konkreten Lösungsvorschlägen an den Arzt übermittelt:
Nachdem die Apotheke direkt aus dem MediCheck die kommentierte Medikationsanalyse per Mail an den Hausarzt übermittelt hat, erhalten die Pharmazeuten eine Rückmeldung aus der Praxis (siehe Kasten).
Folgende Antwort wurde vom Arzt an die Apotheke übermittelt:
»Vielen Dank für die Hinweise im Konsil. Hierzu folgende Stellungnahme beziehungsweise Entscheidung:
Bitte erläutern Sie im bereits vereinbarten Folgetermin folgenden optimierten Medikationsplan. Besten Dank.«
Mit besten Grüßen,
Guido Schmiemann
Die mit dem Arzt konsertierten Änderungen arbeitet das pharmazeutische Personal ein und erstellt auf dieser Basis einen neuen Medikationsplan.
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Im Abschlussgespräch werden die mit dem Arzt vereinbarten Änderungen der Medikation der Patientin anhand des neuen Medikationsplans erklärt. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass es bis zur Restabilisierung ihres Zustandes ein wenig dauern kann. Dies gilt sowohl für die anämiebedingten Symptome als auch für die ödematösen Stauungen (dies kann mehrere Wochen dauern). In Folgeterminen ist der Blutdruck zu kontrollieren (den die Patientin auch selbst messen sollte). Zu erwarten wäre auch ein Rückgang der Anämie-Symptome und eine höhere Mobilität und Lebensqualität. Ebenso ist die Wirksamkeit der Schmerztherapie zu beobachten und gegebenenfalls medikamentös nachzujustieren.
Literatur
(1) S2-Leitlinie: Spezifischer Kreuzschmerz, Registrierungsnummer: 033-051, Entwicklungsstufe: S2k
(2) Referenz: Handlungsleitlinie zur Therapie von degenerativen Gelenkerkrankungen 3. Auflage 2008, Arzneiverordnung in der Praxis, Band 35
(3) Referenz: NVL Chronische KHK Langf. 5. Auflage, 2019, V1, AWMF-Register-Nr.: nvl-004
(4) 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes, European Heart Journal (2019); doi:10.1093/eurheartj/ehz425