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Direkt aus dem MediCheck heraus kann der Apotheker die kommentierte Medikationsanalyse per Mail an den Arzt übermitteln. / Foto: Fotolia/WavebreakMediaMicro
Eine 80-jährige Dame namens Cornina Calium erscheint in der Apotheke zum vereinbarten Medikationsanalyse-Gespräch. Neben einer Tasche mit ihren Arzneimitteln legt sie aktuelle Arztberichte sowie ein aktuelles Rezept über Klacid uno 500 zu Beginn des Gesprächs vor. Frau Calium berichtet von erheblichen Problemen. Sie habe Schwindel, Muskelschwäche und ein Kribbeln in den Beinen, insbesondere nachts.
Alle Angaben werden in der Apotheke in das Analyse-Programm MediCheck (pharma4u) eingetragen. Die Apotheke erfasst die weiteren Patientendaten: Die Patientin raucht nicht, ist 1,62 m groß und wiegt 75 kg. Die in der Apotheke gemessenen Blutdruckwerte liegen bei 100 zu 70 mmHg, der Puls bei 55 Schlägen pro Minute. Der Arztbrief benennt einen Kreatininwert von 0,9 mg/dl und eine glomeruläre Filtrationsrate ([e]GFR) von 59 ml/min.
Aus dem Gespräch ergibt sich, dass der Hausarzt alle Arzneimittel verordnet hat. Im Laufe der Jahre sei die Zahl der verordneten Arzneien stetig gestiegen. Die nach Medikationsplan gelisteten Mittel solle sie alle unmittelbar nach dem Essen nehmen, da dies laut Arzt besser für den Magen sei.
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Ein Blick auf die mitgebrachten Laborwerte zeigt: Die gemessenen Kaliumwerte sind mit 5,2 mmol/l erhöht. Der Normbereich sollte zwischen 3,7 und 5,1 liegen. Das Apothekenteam trägt alle erfassten Daten in den MediCheck ein. Bei der Auswertung der Medikationsanalyse ergeben sich drei wichtige Fragen:
Die Symptome lassen sich grundsätzlich in drei Kategorien einteilen: Zunächst Ursachen mit Arzneimittel-Bezug, also beispielsweise unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), die gegebenenfalls durch Interaktionen verstärkt werden. Des Weiteren Ursachen mit Bezug zu Erkrankungen: Zum Beispiel weil Grunderkrankungen oder akute Beschwerden unzureichend therapiert sind. Und drittens Ursachen, die sich anhand der Labor- und Vitalwerte erklären lassen. Beispielsweise weil Blut-, Harn- oder Vitalwerte außerhalb der Norm liegen.
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Der MediCheck sucht bei vorliegenden Problemen in allen drei Kategorien nach Ursachen und Lösungen. Hier wird zunächst angezeigt, dass alle drei geschilderten Symptome Anzeichen einer Hyperkaliämie sind. Im Weiteren stellt sich die Frage, ob die Medikation etwas mit der vorhandenen Hyperkaliämie zu tun haben kann. Mit Ramipril, Eplerenon und Tromcardin® nimmt sie gleich drei Präparate ein, die den Kaliumspiegel ansteigen lassen können.
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Je nach gemessenem Wert ist ein schrittweises Vorgehen möglich. Der Arzt könnte das Kaliumpräparat (Tromcardin) absetzen, die Dosis der kaliumsparenden Arzneimittel Eplerenon und Ramipril reduzieren und/oder zusätzlich Patiromer (Veltassa®) verordnen, falls akuter Handlungsbedarf besteht. Patiromer ist ein seit 2018 in Deutschland verfügbarer, nicht resorbierbarer Ionenaustauscher, der bei peroraler Gabe Kaliumionen im Darm bindet und ausscheidet.
Arzneimittel 1 | Arzneimittel 2 | Potenzielles Problem | Bewertung / Relevanz |
---|---|---|---|
Simvastatin | Clarithromycin | Myopathie-Risiko | Rot: Relevant! Gemeinsame Gabe kontra-indiziert |
Eplerenon | Clarithromycin | NW von Eplerenon verstärkt | Orange: Relevant! Gemeinsame Gabe kontraindiziert |
Allopurinol | Ramipril | Risiko für (immunologische) Reaktionen (v.a. Haut-) erhöht | Gelb: Relevanz fraglich à Nur Überwachung: bei Hautreaktion absetzen |
Metoprolol | Viani® | Verminderte Wirksamkeit des Betamimetikums | Gelb: Relevanz fraglich. hier keine erkennbare Indikation für Viani® |
Ein Blick auf die Interaktionen (siehe Tabelle) zeigt: Das Antibiotikum Clarithromycin eignet sich nicht für unsere Patientin. Zwar könnten auch Simvastatin und Eplerenon während der Antibiose abgesetzt werden. Aber gleich auf zwei kardiovaskuläre Arzneimittel zugunsten eines Antibiotikums zu verzichten, das grundsätzlich leicht gegen Azithromycin oder ein Betalactam ausgetauscht werden könnte, erscheint fraglich. Hinzu kommt die unklare Indikation (laut Medikationsplan Stomatitis). Es sollte geklärt werden, ob die Patientin nicht eher unter einem Mundsoor aufgrund der Anwendung des inhalativen Glucocorticoids leidet.
Der mit 100 zu 70 mmHg gemessene Blutdruck erscheint niedrig. Schon um Cornina Calium den nächtlichen Harndrang zu ersparen, sollte auf die abendliche Einnahme von Ramipril/HCT (Diuretikum) verzichtet werden. Damit könnte auch das Problem der Überdosierung von HCT gelöst werden.
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Metoprolol hat als Succinat eine Wirkdauer von 24 Stunden und soll einmal täglich eingenommen werden. In der Praxis kommt es oft zu Verwechslungen, weil das ebenfalls gängige Metoprolol-Tartrat nur eine Wirkdauer von zwölf Stunden hat (→ zweimal täglich). Die abendliche Einnahme gilt ohnehin nicht als Standardstrategie in der Geriatrie, denn sie kann Schwindel und andere hypotone Dysregulationen auslösen, da abends der physiologische Sympathikotonus eher niedrig ist.
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Das Apothekenteam priorisiert die Ergebnisse und übermittelt an den Arzt konkrete Lösungsvorschläge:
Nachdem die Apotheke direkt aus dem MediCheck die kommentierte Medikationsanalyse per Mail an den Hausarzt übermittelt hat, erhalten die Pharmazeuten eine Rückmeldung aus der Praxis.
Folgende Antwort wurde vom Arzt an die Apotheke übermittelt:
»Vielen Dank für die Hinweise im Konsil. Hierzu folgende Stellungnahme beziehungsweise Entscheidung:
Bitte erläutern Sie im bereits vereinbarten Folgetermin folgenden optimierten Medikationsplan. Besten Dank.«
Mit besten Grüßen,
Guido Schmiemann
Die mit dem Arzt konsentierten Änderungen arbeitet das pharmazeutische Personal ein und erstellt auf dieser Basis einen neuen Medikationsplan.
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Im Abschlussgespräch werden die mit dem Arzt vereinbarten Änderungen anhand des neuen Medikationsplans erklärt. Die Symptome der Patientin bessern sich. Cornina Calium ist nun mit ihrer Medikation deutlich zufriedener. Ihre Lebensqualität konnte durch diese interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker erheblich gesteigert werden.
Literatur
ESC Pocket Guidelines, Herzinsuffizienz, Dt. Gesellschaft für Kardiologie (DGK), Version 2016 und NVL Chronische Herzinsuffizienz, 3. Auflage, 10/2019.
FORTA-Liste: Drugs Aging. 2018 Jan; 35(1):61–71. DOI: 10.1007/s40266-017-0514-2.