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Brincidofovir und Tecovirimat

Erster Bericht über Virostatika bei Affenpocken

Vor dem aktuellen Ausbruch waren Affenpocken äußerst selten. Deshalb gibt es auch kaum Erfahrungen zur Wirksamkeit von Virostatika. Im Fachjournal »The Lancet« erschien jetzt ein Bericht über den Einsatz von Brincidofovir und Tecovirimat.
Annette Rößler
25.05.2022  11:45 Uhr

Tecovirimat (Tecovirimat Siga®) ist derzeit der einzige Wirkstoff, der in der EU zur Behandlung von Patienten mit Affenpocken zugelassen ist. Außer bei Affenpocken darf Tecovirimat auch bei Pocken und Kuhpocken eingesetzt werden sowie in Fällen, in denen es nach einer Pockenimpfung infolge der Replikation des Impfvirus zu Komplikationen kommt. Allerdings wird seit den 1980er-Jahren nicht mehr gegen Pocken geimpft, weil der Erreger ausgerottet ist, und Infektionen mit Affen- oder Kuhpocken kommen in Europa bislang nur sporadisch vor.

Daher wurde Tecovirimat unter »außergewöhnlichen Umständen« zugelassen, ohne dass es klinische Studien mit Menschen gegeben hätte. Bislang haben nur wenige gesunde Freiwillige das Medikament im Rahmen der Prüfungen eingenommen, die Wirksamkeitsbelege stammen aus Tierversuchen. Hersteller Siga erhielt die Auflage, weitere Daten nachzureichen, sobald das möglich ist.

Diese Gelegenheit bietet sich jetzt, da die Fälle von Affenpocken außerhalb Afrikas steigen – wenn auch momentan auf sehr niedrigem Niveau. Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) ist die Erkrankung selbstlimitierend und die Therapie erfolgt in erster Linie symptomatisch und unterstützend, um bakterielle Superinfektionen zu verhindern. Insbesondere für immungeschwächte Personen ist aber eine direkte antivirale Therapie wünschenswert. Insofern ist der Bericht von Ärzten um Dr. Hugh Adler, Tropenmediziner an der Universitätsklinik in Liverpool, über den ersten Einsatz von Tecovirimat bei einem Patienten mit Affenpocken sehr interessant.

Bis 2021 nur sieben Fälle

Zwischen 2018 und 2021 waren in Großbritannien lediglich vier Männer und drei Frauen an Affenpocken erkrankt, heißt es im Fachjournal »The Lancet«, wo zunächst die klinischen Eckdaten der Patienten referiert werden. Demnach waren von diesen sieben Patienten vier Reiserückkehrer aus Westafrika und drei hatten sich in Großbritannien angesteckt: Einer war ein Klinikmitarbeiter, der einen Patienten mit Affenpocken betreut hatte, und zwei waren Familienangehörige eines Patienten, der die Affenpocken aus Nigeria importiert hatte.

Als antivirale Mittel kamen Tecovirimat und Brincidofovir zum Einsatz. Letzteres ist ein oral einzunehmendes Breitspektrum-Virostatikum, das zur Behandlung und Prophylaxe von Cytomegalievirus-Infektionen bei Patienten nach Stammzelltransplantation entwickelt und auch während der Ebola-Epidemie in Westafrika zwischen 2014 und 2016 getestet wurde, aber bislang noch nicht zugelassen ist.

Von den sieben britischen Affenpockenpatienten wurden drei mit Brincidofovir in der Dosierung 200 mg einmal wöchentlich behandelt. Bei allen dreien stiegen daraufhin die Leberwerte so stark an, dass die Therapie beendet wurde. Eine klinische Wirksamkeit gegen die Affenpocken war nicht zu verzeichnen. Allerdings merken die Autoren an, dass ein früherer Therapiestart oder ein anderes Dosierschema möglicherweise einen positiven Effekt gehabt hätten – die Behandlung mit Brincidofovir war erst sieben Tage nach dem Auftreten der Hautsymptome begonnen worden.

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