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Risdiplam

Erste orale Therapie bei spinaler Muskelatrophie

Mit Risdiplam ist seit Mai das erste orale Medikament für Patienten mit der seltenen Erbkrankheit spinale Muskelatrophie auf dem Markt. Evrysdi ® ist als Pulver erhältlich, das in der Apotheke zu einer Lösung zum Einnehmen rekonstituiert wird.
Brigitte M. Gensthaler
04.06.2021  07:00 Uhr
Erste orale Therapie bei spinaler Muskelatrophie

SMA ist eine seltene, progressive neuromuskuläre Erkrankung, die tödlich verlaufen kann. Sie betrifft etwa eines von 10.000 Babys. Zugrunde liegt eine Mutation im Gen des Überlebensmotorneurons 1 (SMN1), die zu einem Mangel an »Survival-motor-neuron«-Protein führt. Dieses SMN-Protein ist essenziell für die Funktion der Nerven, die Muskeln und Bewegung steuern. Werden elektrische Impulse vom Gehirn nicht mehr an die Muskeln weitergeleitet, kommt es zu fortschreitender Muskelschwäche und –atrophie sowie zu Paresen.

Der klinische Verlauf ist sehr variabel. Die schwerste SMA-Form (Typ 1) führt unbehandelt bei 90 Prozent der Säuglinge bis zum Alter von zwei Jahren zum Tod oder zur ständigen Beatmungspflicht. Es gibt auch eine kindliche und juvenile SMA bis hin zu langsam fortschreitenden Formen, die erst im Erwachsenenalter auftreten. Je nach Art der Erkrankung nehmen die Körperkraft und die Fähigkeit, zu gehen, zu essen oder zu atmen, deutlich ab oder verschwinden ganz.

Das SMN-Protein wird von zwei Genen (SMN1 und SMN2) kodiert. Den meisten Patienten fehlt das SMN1-Gen, aber sie haben wenigstens eine Kopie des SMN2-Gens. Allerdings entsteht daraus nur ein verkürztes SMN-Protein mit deutlich reduzierter Funktion. Als »Spleißmodifikator« der SMN2-Prä-mRNA korrigiert Risdiplam das Spleißen von SMN2 und erhöht die Bildung von stabilem, funktionellen SMN-Protein. In klinischen Studien verdoppelten sich (median) die Proteinspiegel innerhalb von vier Wochen nach Therapiebeginn; dieser Anstieg blieb während der Behandlung (mindestens zwölf Monate) bei allen SMA-Typen erhalten. Dies soll dem Untergang von Motoneuronen und dem fortschreitenden Muskelschwund entgegenwirken.

Rekonstitution in der Apotheke

Zugelassen ist Risdiplam (Evrysdi® 0,75 mg/ml Pulver zur Herstellung einer Lösung zum Einnehmen, Roche) für die Behandlung der 5q-assoziierten spinalen Muskelatrophie (SMA) bei Patienten ab mindestens zwei Monaten, die eine klinisch diagnostizierte Typ-1-, Typ-2- oder Typ-3-SMA oder eine bis vier Kopien des SMN2-Gens haben. Die Lösung wird einmal täglich peroral nach einer Mahlzeit und immer ungefähr zur gleichen Uhrzeit mit einer wiederverwendbaren Applikationsspritze ober über eine Sonde zugeführt. Bei gestillten Säuglingen sollte sie nach dem Stillen gegeben werden (nicht mit Milch oder Formulamilch mischen).

Dosiert wird nach Alter und Körpergewicht, wobei eine Tagesdosis von mehr als 5 mg nicht untersucht wurde. Das Pulver (60 mg Risdiplam in 2 g Pulver) muss vor der Abgabe von Fachpersonal in der Apotheke zu einer Lösung zum Einnehmen rekonstituiert werden. Eine detaillierte Anleitung findet sich hier. Es wird empfohlen, die Vorbereitung der verordneten täglichen Dosis vor der ersten Einnahme mit dem Patienten oder der Pflegeperson zu besprechen. Evrysdi sollte sofort nach dem Aufziehen eingenommen werden. Nach Ablauf von fünf Minuten sollte der Inhalt der Applikationsspritze verworfen und eine neue Dosis zubereitet werden. Wenn Lösung verschüttet wird oder auf die Haut gelangt, ist der Bereich mit Wasser und Seife zu waschen. Nach der Einnahme sollte der Patient Wasser trinken, um sicherzustellen, dass das Arzneimittel vollständig geschluckt wurde.

Risdiplam wird hauptsächlich von den Leberenzymen Flavin-Monooxygenase 1 und 3 (FMO1 und 3) und den Cytochrom-P450-Enzymen 1A1, 2J2, 3A4 und 3A7 metabolisiert. Es ist kein Substrat des humanen Multidrug-Resistance-Proteins 1 (MDR1). Pharmakokinetische Interaktionen, die eine Dosisanpassung von Risdiplam erfordert hätten, wurden nicht beobachtet. 

Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für mindestens einen Monat nach der letzten Risdiplam-Dosis hoch zuverlässig verhüten. Für männliche Patienten und ihre Partnerinnen im gebärfähigen Alter gilt dies sogar bis mindestens vier Monate nach der letzten Dosis.

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