Erste orale Therapie bei spinaler Muskelatrophie |
Brigitte M. Gensthaler |
04.06.2021 07:00 Uhr |
Wirksamkeit und Sicherheit von Risdiplam wurden in zwei klinischen Zulassungsstudien geprüft, in die junge Säuglinge (Typ 1, FIREFISH-Studie) sowie Patienten zwischen zwei und 25 Jahren mit spät einsetzender SMA (Typ 2 und 3, SUNFISH-Studie) eingeschlossen waren.
Teil 1 von FIREFISH war die Dosisfindungsphase der Studie, während im konfirmatorischen zweiten Teil die Wirksamkeit von Evrysdi bei 41 Säuglingen mit SMA Typ 1 geprüft wurde. Der primäre Endpunkt der Teil-2-Studie war der Anteil der Patienten, die nach zwölf Behandlungsmonaten mindestens 5 Sekunden lang ohne Unterstützung sitzen konnten. Dies gelang knapp 30 Prozent der Kinder. Fast 93 Prozent waren noch am Leben. Zum Vergleich: Unbehandelte Patienten mit infantiler SMA wären nie in der Lage, ohne Unterstützung zu sitzen, und nur bei einem Viertel wäre ein Überleben ohne dauerhafte Beatmung über ein Alter von 14 Monaten hinaus zu erwarten. Auch die FIREFISH-Teil 1-Studie (21 Patienten mit SMA Typ 1) zeigte günstige Effekte auf das Überleben der Säuglinge und deren motorische Entwicklung (wie kurzzeitiges Sitzen ohne Unterstützung oder Aufrechthalten des Kopfs).
In die randomisierte, doppelblinde placebokontrollierte SUNFISH-Teil 2-Studie wurden 180 nicht gehfähige Patienten mit SMA Typ 2 oder 3 aufgenommen. Sie erhielten randomisiert im Verhältnis 2:1 entweder die therapeutische Dosis von Evrysdi oder Placebo. In der Verumgruppe erreichten die Patienten klinisch bedeutsame, statistisch signifikante motorische Vorteile im Vergleich zur Placebogruppe. Nach Abschluss der zwölfmonatigen Studie erhielten 117 Patienten weiterhin das Verum. Patienten, die 24 Monate lang behandelt wurden, zeigten eine anhaltende Verbesserung der motorischen Funktion.
Bei Patienten mit infantiler SMA waren die häufigsten Nebenwirkungen Pyrexie, Ausschlag und Diarrhö, bei Patienten mit später einsetzender SMA auch Kopfschmerzen. Nach Angaben von Hersteller Roche traten in beiden Studien keine behandlungsbedingten Therapieabbrüche auf.
Es liegen keine Daten zur Wirksamkeit oder Sicherheit vor, die die gleichzeitige Anwendung von Risdiplam und Nusinersen stützen. Dieses RNA-Therapeutikum ist seit Mitte 2017 in der EU für SMA-Patienten zugelassen (seit 2020 auch das Gentherapeutikum Onasemnogen-Abeparvovec).
Noch vor fünf Jahren gab es kein einziges zugelassenes Medikament für die Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA). Mit Risdiplam kam innerhalb weniger Jahre nun die dritte Therapieoption für Betroffene auf den Markt. Wie Nusinersen sorgt auch der Spleißmodifikator Risdiplam dafür, dass mehr funktionsfähiges SMN-Protein auf Basis des SMN2-Gens produziert wird. Die Studienergebnisse mit Risdiplam belegen seine Wirksamkeit. Die Ergebnisse der Studie RAINBOWFISH bei präsymptomatischer SMA lassen zwar noch eine Zeit auf sich warten, dürften aber auch von höchstem Interesse sein.
Wichtigster Grund für die Einstufung von Risdiplam als Schrittinnovation ist die Möglichkeit der einfachen oralen Verabreichung mithilfe einer Applikationsspritze ober über eine Sonde. Nusinersen ist alle paar Monate aufwendig intrathekal mittels Lumbalpunktion zu verabreichen. Risdiplam und Nusinersen müssen im Gegensatz zur Gentherapie Zolgensma® allerdings regelmäßig gegeben werden. Bei der deutlich kostenintensiveren Gentherapie genügt möglicherweise eine einmalige Anwendung.
Sven Siebenand, Chefredakteur