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Weltdiabetestag

Diabetes bleibt lange unentdeckt - Screenings könnten helfen

Fast sieben Millionen Menschen leiden in Deutschland an Diabetes – etwa zwei Millionen dieser Betroffenen wissen nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) nichts von ihrer Erkrankung. Bis zur Erstdiagnose leben Menschen demnach durchschnittlich sieben Jahre lang, ohne etwas von ihrem Typ-2-Diabetes zu merken. 
PZ
14.11.2019  08:00 Uhr

Bleibt eine Diabetes so lange unentdeckt, ist das sehr kritisch, wie Professor Dirk Müller-Wieland, Past-Präsident der DDG, betont.  Denn in dieser Zeit können sich bereits starke Schädigungen an Herz, Nieren, Nerven und Gefäßen bilden. Auch wenn Menschen ins Krankenhaus kommen, werden laut DDG oft nur die Beschwerden behandelt, die unmittelbar Grund für die Einlieferung waren. Als Nebendiagnose werde Diabetes häufig nicht berücksichtigt – im Falle eines unbekannten Diabetes sogar übersehen. Für diese Patienten können beispielsweise eine Kortisontherapie, ein Infekt oder eine Operation schwerwiegende Folgen haben: Der Blutzucker könne entgleisen und der Patient schlimmstenfalls ins diabetische Koma fallen. Auch könnten dem Klinikpersonal etwaige Zusammenhänge zwischen der Erkrankung, die den Krankenhausaufenthalt begründet, und einem bestehenden Diabetes entgehen.

Standard-Screening auf Diabetes

Deshalb fordert die DDG anlässlich des heutigen Weltdiabetestags für Patienten über 50 Jahre ein routinemäßiges Standard-Screening auf Diabetes bei einer stationären Aufnahme. Dabei wird der Langzeitblutzuckerwert, der so genannte HbA1c, im Blut bestimmt. Für die ambulante Versorgung von Risikopatienten sei dieses Prozedere ebenfalls empfehlenswert. So könnten Diabetes-bedingte Komplikationen vermieden und Patienten sicherer behandelt werden.

Auch nach Angaben des Robert Koch Instituts ist das Risiko an Diabetes zu erkranken höher als viele denken. Demnach schätzten 80 Prozent der Befragten, die laut eines Testergebnisses ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes haben, ihr Erkrankungsrisiko als gering ein. 

Etwa jeder vierte Krankenhauspatient leidet nach Angaben der DDG an Diabetes mellitus. Einige wüssten bei der Klinikaufnahme von ihrer Erkrankung noch nichts. Insbesondere in chirurgischen Abteilungen, in denen der Patient lediglich operativ behandelt wird, bleibe ein Diabetes oft unerkannt und folglich unbehandelt. »Dabei ist das Risiko für Komplikationen während eines Krankenhausaufenthalts bei Diabetes-Betroffenen höher als bei Menschen ohne Diabetes.«, betont Professor Baptist Gallwitz, Sprecher der DDG. Während nur jeder sechste Patient Komplikationen infolge seiner stationären Behandlung erleide, sei es unter Diabetespatienten bereits jeder vierte.

Begleit- und Folgeerkrankungen

Häufig haben Patienten über die Stoffwechselerkrankung Diabetes hinaus bereits Begleit- und Folgeerkrankungen, die in der stationären Versorgung mitversorgt werden müssen, wie beispielsweise Bluthochdruck, Gefäß- und Nervenschädigungen oder Herz-Kreislaufbeschwerden erklärt die DDG. Einer Untersuchung zufolge seien es oft diese diabetischen Folgeerkrankungen, weshalb Menschen mit einem unentdeckten Typ-2-Diabetes in die Klinik eingeliefert werden.

Auch haben 25 Prozent der Patienten mit koronarer Herzerkrankung einen Diabetes, ohne es zu wissen. Daher sei es für den Therapieerfolg und einen sicheren Krankenhausaufenthalt essentiell, eine diabetologische Mitbetreuung bei allen betroffenen Patienten zu gewährleisten und so einen möglichen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen zu erkennen, so Müller-Wieland.

Besonders in internistischen stationären Abteilungen haben viele Patienten Diabetes als Nebendiagnose, so die DDG. Eine Untersuchung zeige, dass inzwischen rund die Hälfte aller dortigen Patienten betroffen ist. Nimmt man Folge- und Begleiterkrankungen sowie Adipositas als Mitverursacher von Diabetes hinzu, steige der Anteil dieser Patienten noch weiter an.

Kaum Geld für ganzheitliche Versorgung

Doch fehlen inzwischen immer mehr diabetologische und internistische Betten in Kliniken. »Der Bereich fällt zunehmend dem Rotstift zum Opfer – obwohl der Bedarf durch den Zuwachs multimorbider internistischer Patienten steigt«, kritisiert DDG Präsidentin Professor Monika Kellerer. Eine Ursache sieht die Ärztliche Direktorin des Zentrums für Innere Medizin am Marienhospital Stuttgart darin, dass den Krankenhäusern die gesamtheitliche Krankenversorgung im ambulanten sowie stationären Sektor kaum Geld einbringt.

Um die klinische Versorgung diabetologischer und multimorbider Patienten zu verbessern und auch künftig zu gewährleisten, fordert die DDG mehr eigenständige diabetologische Fachabteilungen in Kliniken, den Ausbau klinischer Lehrstühle mit bettenführenden Abteilungen an allen medizinischen Fakultäten und eine angemessene Finanzierung der »sprechenden Medizin«. Darüber hinaus müsse eine verzahnte und integrierte optimale Diabetestherapie bei mehrfach erkrankten Patienten sichergestellt werden – von der hausärztlichen über die ambulante fachdiabetologische Versorgung bis in die Kliniken, betont Kellerer.

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