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Interview

Bloß nicht weiter abnehmen!

Die Entfernung des Magens stellt die Patienten vor große Herausforderungen, denn die Umstellung ist gewaltig. Umso wichtiger ist eine gute Nachsorge. Worauf dabei zu achten ist und welche Tipps das Apothekenpersonal an die Betroffenen weitergeben kann, erklärt Privatdozent Dr. Thomas Widmann, Chefarzt der Asklepios Rehabilitationsklinik Triberg, im Gespräch mit der PZ.
Marion Hofmann-Aßmus
14.03.2021  12:00 Uhr

PZ: Mit welchen Problemen haben Patienten nach der Operation eines Magenkarzinoms zu kämpfen?

Widmann: Bei den meisten unserer Patienten wurde der Magen komplett entfernt und die Speiseröhre direkt mit dem Zwölffingerdarm verbunden. Dadurch fehlt nicht nur ein wichtiger Verdauungsschritt, sondern auch das Aufnahmevolumen für die Nahrung. Das bedeutet, dass die Menschen pro Mahlzeit nur noch sehr kleine Portionen zu sich nehmen können – oft nur etwa 300, zum Teil auch bis 500 ml.

Vor allem in der ersten Zeit nach der Operation haben die Betroffenen große Probleme, denn sie müssen ihre Ernährungsgewohnheiten vollständig umstellen. Da eine Nahrungsaufnahme im gewohnten Umfang nicht möglich ist, lässt sich der Kalorienbedarf nicht mehr mit drei Mahlzeiten decken. Wir raten daher zu Zwischenmahlzeiten, die vormittags, nachmittags und spätabends eingenommen werden.

PZ: Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Widmann: Das Hauptthema stellt die Ernährung dar und das wichtigste Ziel besteht darin, nicht weiter abzunehmen, um eine enterale oder parenterale Ernährung zu vermeiden. Es besteht durchaus Aussicht, dass sich die Menge der Nahrungsaufnahme langsam wieder steigern lässt, langfristig bis hin zu fast normalen Portionen. Aber hier ist Geduld gefragt.

PZ: Welche weitere Folgen hat die Entfernung des Magens?

Widmann: Eine Folge ist das sogenannte Dumping-Syndrom. Der Begriff leitet sich von »to dump« – »plumpsen« ab und beschreibt sehr passend die Sturzentleerung der Nahrung in den Dünndarm. Ohne Vorverdauung durch den Magen gelangt also eine Masse an hyperosmolarem Speisebrei direkt in den Dünndarm, wodurch die Darmwand ungewohnt stark gedehnt wird. Das kann sehr schmerzhaft sein und Durchfälle auslösen. Zudem kann die von der Darmwand aufgenommene Flüssigkeitsmenge zu Kreislaufstörungen führen, die von Blutdruckabfall mit Schwindelgefühlen bis hin zum Kollaps reichen.

Da diese Reaktionen unmittelbar nach der Nahrungsaufnahme auftreten, spricht man von Frühdumping. Die Betroffenen sollten langsam essen und wenig trinken, schnell resorbierbare Kohlenhydrate, vor allem Zucker, vermeiden und ballaststoffreich essen.

PZ: Welche Auswirkungen hat das Spätdumping?

Widmann: Das Spätdumping macht sich erst einige Stunden nach dem Essen bemerkbar. Durch die fehlende Vorverdauung werden wasserlösliche Kohlenhydrate vom Dünndarm resorbiert und verursachen einen starken Blutzuckeranstieg. Das daraufhin im Übermaß ausgeschüttete Insulin kann eine Hypoglykämie auslösen, die mit Schwindelgefühl, Zittern und Herzklopfen einhergeht. Um dies zu vermeiden, sollten die Betroffenen langsam essen und dazu trinken. Schwere Fälle behandeln wir mit Betablockern, Anticholinergika und Sedativa.

PZ: Wann ist eine künstliche Ernährung notwendig?

Widmann: Tatsächlich macht das Dumping-Syndrom zusammen mit den geringen Nahrungsvolumina den Patienten oft so zu schaffen, dass sie immer weniger essen und stark abnehmen. Lässt sich der Kalorienbedarf mit der normalen Nahrungsaufnahme nicht decken – das heißt: wir sehen weiteren Gewichtsverlust –, gibt es die Möglichkeit der parenteralen Ernährung über die Vene oder der enteralen Ernährung über eine Sonde in den Zwölffingerdarm. Meiner Erfahrung nach benötigen Magenkarzinom-Patienten diese Art der Ernährung oft nur zur Überbrückung, aber nicht auf Dauer. Um die Menschen möglichst kalorienreich zu versorgen, bevorzugen wir eine hochkalorische Infusionslösung.

PZ: Was hilft bei Fettstühlen?

Widmann: Ein anderes Problem sind die Fettstühle. Sie entstehen aufgrund der fehlenden Fettverdauung im oberen Verdauungstrakt. Die unaufgeschlossenen Fettsäuren passieren den Darm so schnell, dass die Gallen- und Pankreas-Enzyme nicht genug Zeit haben, die Fettsäuren zu spalten. Dadurch verlieren die Patienten die energiereichsten Nahrungsbestandteile und leiden zudem unter Durchfällen und Blähungen. Hier hilft die Gabe von Pankreatin, das während der Mahlzeit eingenommen wird. Die Dosierung erfolgt symptomorientiert; man beginnt mit 25.000 Lipase-Einheiten pro Mahlzeit und steigert diese, bis sich die Stuhlfärbung normalisiert.

Wichtig ist auch die intramuskuläre Supplementation von Vitamin B12, da den Patienten der vom Magen gebildete Intrinsic Factor fehlt, der für die Aufnahme des Vitamins im Dünndarm essenziell ist.

PZ: Worauf ist bei der Ernährung zu achten, welche Tipps kann das Apothekenpersonal geben?

Widmann: Das Apothekenteam kann die Betroffenen zum Beispiel in Form einer Ernährungsberatung unterstützen. Hier liegt das Augenmerk nicht auf kalorienarmen Nahrungsmitteln – vielmehr darf es eher die Doppelrahmstufe sein. Anstatt mehr zu essen, sollten die Patienten hochkalorische Kost verzehren wie Schokolade oder Müsli mit einer Extraportion Öl. Als Appetitanreger kann man Pepsinweine oder Tees aus Wermut, Bitterklee, Schafgarbe oder Salbei ausprobieren. Flüssigkeiten werden besser vertragen, wenn sie zwischen den Mahlzeiten getrunken werden. Hilfreich ist auch der Rat, ab und zu den Vitaminstatus überprüfen zu lassen, damit man gegebenenfalls auch andere Vitamine außer B12 supplementieren kann.

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