Niemand will es gewesen sein |
13.12.2011 17:40 Uhr |
Von Daniel Rücker und Stephanie Schersch / Auf ihrem Bundesparteitag liebäugelte die SPD mit Apothekenketten. Über den dazu beschlossenen Antrag will sich jetzt aber niemand mehr richtig freuen.
Mit ihrem Antrag will die SPD in der Gesundheitspolitik ein großes Rad drehen. Auf dem Parteitag vergangene Woche in Berlin beschlossen die Genossen, das Gesundheitssystem umzubauen, wenn die Partei wieder an die Regierung kommt. Dann will die SPD die von ihr seit Jahren favorisierte Bürgerversicherung endlich einführen und damit die unterschiedliche Versorgung von gesetzlich und privat Versicherten beenden.
Vermeintliche Nebensache
In dem gesundheitspolitischen Leitantrag ging es aber nicht nur um die Bürgerversicherung, sondern auch um die Arzneimittelversorgung. Hier ließ die SPD ebenfalls eine Idee aus längst vergangenen Zeiten aufleben. Diese vermeintliche Nebensache fliegt nun den Sozialdemokraten um die Ohren: »Den Arzneimittelvertrieb werden wir liberalisieren, um Preisvorteile von größeren Vertriebsstrukturen zu erreichen.« Genauer wird die Partei an dieser Stelle allerdings nicht.
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Dennoch deutet die Formulierung zumindest darauf hin, dass die SPD über eine Aufweichung des Fremd- und Mehrbesitzverbots nachdenkt. Dem gesundheitspolitisch Interessierten mit ausreichendem Langzeitgedächtnis dürfte hier etwas dämmern. In Gestalt ihres gesundheitspolitischen Sprechers Karl Lauterbach hatte die SPD damit vor Jahren bereits kokettiert, den Gedanken dann aber fallen lassen. Spätestens nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Fremd- und Mehrbesitzverbot im Jahr 2009 schien das Thema zumindest vorerst beerdigt. Die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) begrüßte die Entscheidung ausdrücklich.
Die aktuelle Kehrtwende will oder kann bei den Sozialdemokraten niemand so richtig erklären. Die Pressestelle des Parteivorstands hüllt sich in Schweigen, dort gab es trotz mehrmaliger Anfragen der Pharmazeutischen Zeitung (PZ) keine Antwort. Stattdessen verwies die Pressestelle auf das Büro von Karl Lauterbach.
Ein Anruf dort blieb ebenfalls ohne Erfolg. Herr Lauterbach sei außer Lande und könne sich daher nicht zu dem Beschluss äußern, sagte ein Mitarbeiter des Büros. Auch Marlies Volkmer, die für die SPD im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzt, wollte das Thema nicht kommentieren. Dabei steht die Passage zum Arzneimittelvertrieb schon seit vielen Wochen in dem Leitantrag, dem die Delegierten beim Parteitag zustimmten. Zwar wurde damals irritiert anfragenden Vertretern der Apothekerschaft signalisiert, die Passage werde noch gestrichen, passiert ist aber nichts. Womöglich hat hier eine Minderheitenmeinung wegen Unachtsamkeit der Mehrheit persistiert.
Koalition wittert Chance
FDP und Union sehen nun eine gute Gelegenheit, der SPD Wählerstimmen abzujagen. »Die SPD macht sich lächerlich. Sie beschließt die Einführung von Kettenapotheken und dann will es keiner gewesen sein«, kritisiert Ulrike Flach, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit. Aus ihrer Sicht positioniert sich Rot-Grün gegen inhabergeführte Apotheken, den verantwortlich handelnden Heilberuf des Apothekers und gegen die Patienten. Die christlich-liberale Koalition dagegen stehe weiter für die unabhängige und inhabergeführte Apotheke.
Dem pflichtete Heinz Lanfermann bei, gesundheitspolitischer Sprecher der Liberalen. Der SPD-Beschluss sei die Forderung nach Apothekenketten in Deutschland und Verdrängung der bewährten inhabergeführten Apotheken. Arzneimittel seien keine beliebigen Konsumgüter. Die Apotheker müssten den individuellen Bedürfnissen der Patienten Rechnung tragen. Die Liberalen verteidigten die Unabhängigkeit der Heilberufe von Renditeinteressen einzelner Großunternehmen. Die inhabergeführte Apotheke sei am besten geeignet, die hohe Qualität der Arzneimittelversorgung in Deutschland zu sichern. Zudem sei die Vorstellung, dass die Patienten aufgrund größerer Vertriebsstrukturen von einer günstigeren Versorgung bei gleichem Versorgungsniveau profitieren könnten, kurzsichtig.
Beim Koalitionspartner sieht man dies ähnlich. FDP und CSU sind nicht immer einer Meinung. In diesem Fall schon: So sagt der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Max Straubinger: »Ich verurteile es, dass sich die Sozialdemokraten in ihrem Parteitagsbeschluss für Apothekenketten aussprechen. Sie positionieren sich damit klar gegen inhabergeführte Apotheken. Der Beschluss richtet sich ebenso gegen den verantwortlich handelnden Heilberuf des Apothekers und gegen Patientinnen und Patienten.« Inhabergeführte Apotheken dürften nicht verdrängt und das Entstehen von Konzernketten müsse verhindert werden. Wer glaube, dass die Passage zufällig in den Beschluss gekommen sei, der »glaubt auch an den Weihnachtsmann«, sagte Straubinger.
Der falsche Weg
Die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände formuliert es diplomatischer: »Wir haben den Beschluss der SPD zum Apothekenwesen verwundert zur Kenntnis genommen«, sagte ein Sprecher gegenüber der PZ. »Falls die SPD mit ihrem Antrag meinen sollte, den Weg in Richtung größerer, profitorientierter Strukturen gehen zu wollen, ist das der falsche Weg.« Nur inhabergeführte Apotheken praktizierten aktiven Verbraucherschutz mit unabhängiger Beratung wohnortnah um die Ecke.
Das sieht der Landesapothekerverband (LAV) Baden-Württemberg ähnlich. Die von der SPD nicht gewollte aber beschlossene Liberalisierung werde keine Besserung für die Arzneimittelversorgung bringen, schreiben LAV-Präsident Fritz Becker und die Geschäftsführerin Ina Hofferberth an alle baden-württembergischen SPD-Landtags- und Bundestagsabgeordneten. Die flächendeckende Versorgung auf dem Land hänge heute an Apothekerinnen und Apothekern, »die oft bis zur Selbstausbeutung für ihre Patientinnen und Patienten da sind«. Eine Apothekenkette werde diese Versorgungsleistung garantiert nicht übernehmen. Satt einem leistungsfähigen System den Todesstoß zu versetzen, sollte die Politik sich um finanzielle Planungssicherheit für mittelständische Apotheken kümmern. /